Medizin
Laut Statistik werden in Deutschland jedes Jahr etwa 70 Kinder mit
einem Harnstoffzyklus-Defekt geboren. Die Erkrankung wird jedoch häufig
nicht richtig diagnostiziert, so die Meinung von Experten. Besonders
kritische Phasen mit erhöhtem Stoffwechselstreß für die Manifestation
seien die Neonatalperiode, das späte Säuglingsalter (Umstellung auf
proteinreiche Nahrung) und die Pubertät.
Bei Harnstoffzyklus-Defekten ist die Elimination von überschüssigem Stickstoff aus
dem Organismus durch genetisch bedingten Mangel eines der beteiligten Enzyme,
am häufigsten der Ornithin-Transcarbamylase (OTC), gestört. Aufgrund des
Enzymmangels reichert sich der Stickstoff-Metabolit Ammoniak im Körper an.
Meist verursacht dies bereits beim Neugeborenen schwere Symptome. Da
Ammoniak extrem neurotoxisch ist, können schon wenige Stunden bis Tage, die ein
Neugeborenes in einem hyperammonämischen Koma verbringt, katastrophale
Gehirnschäden nach sich ziehen. Deshalb sollte bei Verdacht auf einen
Harnstoffzyklus-Defekt unverzüglich der Ammoniakspiegel bestimmt werden.
Verdächtige Leitsymptome sind nach Meinung der Experten Appetitverlust,
Erbrechen und Bewußtseinsstörungen. Das klinische Bild ähnele oft dem einer
Sepsis. Jedes Kind mit Hyperammonämie müsse anschließend für die
weiterführende Diagnostik und Therapie sofort ein Stoffwechselzentrum verlegt
werden. Je früher der Ammoniakspiegel gesenkt werde, desto weniger
Entwicklungsschäden treten später auf.
Die Notfalltherapie besteht aus sofortigem Unterbrechen der Proteinzufuhr, Gabe
von Glukose, Arginin und Carnitin sowie Hämofiltration oder -dialyse. Sie muß
bereits parallel zur Diagnostik beginnen, um möglichst rasch von einer spezifischen
Therapie - je nach Art des Defekts - abgelöst werden zu können. Als wichtigste
Ziele der Langzeittherapie müssen der Ammoniakspiegel auf einem niedrigen Niveau
(unter 80 mmol/l) und die Patienten in einem anabolen Zustand gehalten werden. So
kann eine gewisse Proteinmenge zugeführt werden, denn die Kinder brauchen
Eiweiß und Aminosäuren, um altersgerecht zu wachsen. Die Langzeittherapie umfaßt
die Substitution von Aminosäuren, Carnitin sowie Vitaminen, Mineralien und
Spurenelementen. Die in einigen Fällen durchgeführten Lebertransplantationen
zeigten bisher umstrittene Ergebnisse, so die Experten.
In der Notfall- und Langzeittherapie werden außerdem auch Natriumbenzoat oder
Phenylbutyrat eingesetzt. Diese Substanzen ermöglichen eine Entsorgung des
Stickstoffs auf alternativen Stoffwechselwegen. Während Natriumbenzoat nur ein
Stickstoffatom abfängt, neutralisiert Phenylbutyrat zwei Stickstoffatome. Beide
Substanzen sind als Chemikalien in Pulverform erhältlich.
Für die Chemikalien besteht keine Zulassungspflicht, wenn sie nachweislich ärztlich
angewendet, von Apothekern hergestellt und nur auf Verschreibung abgegeben
werden. Phenylbutyrat ist in den USA als zugelassenes Arzneimittel erhältlich. Die
europäische Zulassung läuft derzeit.
Artikel von der PZ-Redaktion
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