Statt Chemo- bald schon Gentherapie bei Krebs? |
11.08.1997 00:00 Uhr |
Medizin
"Leben wär' eine prima Alternative", schrieb die an Krebs erkrankte
Autorin Maxie Wander in ihren Aufzeichnungen. Trotz mehrerer
Operationen und Folgetherapien starb die Schriftstellerin an der tückischen
Krankheit. Heute suchen Krebsforscher wie Professor Dr. Bernd Dörken
vom Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) in
Berlin-Buch, dort wo Maxie Wander in den 70er Jahren erfolglos behandelt
wurde, nach ganz neuen Alternativen zu den herkömmlichen
Therapieformen.
Die Zukunft liege in der Gentherapie, erklärte Dörken in seinem Vortrag, den er
anläßlich des fünfjährigen Bestehens des MDC hielt. Für ihn wecken die aktuellen
Forschungsergebnisse die Hoffnung, mit Hilfe der Gentechnik Ansätze für die
Krebstherapie zu finden.
Den Medizinern gelang zwar in den 70er Jahren mit Hilfe der Chemotherapie die
erfolgreiche Behandlung leukämiekranker Kinder. Seit zehn Jahren ließen sich, so
Dörken, mit der Chemotherapie jedoch keine Verbesserungen mehr erreichen. Bei
der Behandlung setzten die Ärzte immer höhere Dosen der Chemotherapeutika ein.
Die damit einhergehende Schädigung des Knochenmarks glichen sie durch die
Transplantation von Blut-Stammzellen nach dem Ende der Therapie aus.
Trotz der Möglichkeit, jetzt einer an Brustkrebs erkrankten Patientin eine 50mal
höhere Dosis der Therapeutika zu verabreichen, waren alle Hoffnungen vergebens.
Die "medizinische Überlebenszeit" der Patienten war nicht länger als nach einer
herkömmlichen Chemotherapie. Mit neuentwickelten, hochempfindlichen Verfahren
zeigten die Forscher, daß den Erkrankten mit den transplantierten
Blut-Stammzell-Präparaten auch einige wenige Krebszellen zurückgegeben wurden.
Tumorpathogenese bildet die Basis
Erfolgversprechende Ansätze für eine Gentherapie von Krebserkrankungen leitet
Dörken aus einem mittlerweile vorliegenden "klaren Konzept der
Tumorpathogenese" ab. Starke Zellvermehrung und verminderter programmierter
Zelltod (Apoptose) kennzeichne bösartige Tumore. Wissenschaftler in aller Welt
haben mittlerweile die Moleküle, die über die Zellteilung und Apoptose wachen,
gefunden und charakterisiert.
Eine entscheidende Rolle bei diesen Prozessen spielen das Retinoblastoma-Protein
(Rb) und die p53- und p16-Proteine, wobei das p16-Eiweißmolekül die Aktivität
des Retinoblastom-Proteins steuert. 10 bis 15 Prozent aller Tumore gehen mit einem
Funktionsverlust des Retinoblastoma-Moleküls einher. Änderungen im Gen für das
p53-Eiweiß lassen sich sogar in 50 Prozent aller menschlichen Krebsherde
nachweisen.
Vektoren sollen intakte Gene einschleusen
Deshalb schleuste die Arbeitsgruppe von Dörken die Gene des p53- und des
p16-Proteins mit Hilfe von Vektoren in das Tumorgewebe von Mäusen, die an
Darmkrebs oder einem Leberkarzinom litten. Die Vektoren werden von murinen
Retro-Viren oder Adeno-Viren abgeleitet, die in diesem Fall zusätzlich die
genetische Information der p16- und p53-Eiweißmoleküle trugen. Im Experiment
löste das in den Tumor eingeschleuste genetische Material die Synthese der beiden
Proteine aus. Die verursachten wiederum die Apoptose der Tumorzellen, die
Karzinome bildeten sich zurück. Inzwischen konstruieren Dörkens Mitarbeiter
Vektoren, die mit den entsprechenden menschlichen Genen ausgestattet sind und für
einen ersten klinischen Versuch am Menschen eingesetzt werden sollen.
Sehr unterschiedliche Strategien für eine Gentherapie von Krebserkrankungen
wurden von den Forschern mittlerweile entwickelt. Außer dem Einschleusen von
Genen, die die Funktion der geschädigten zellulären Moleküle übernehmen sollen
(gene correction), verfolgt Dörken auch einen weiteren immuntherapeutischen
Ansatz. Bei der Immuntherapie werden Tumorzellen so verändert, daß sie dem
Immunsystem die richtigen Signale senden. Die Immunzellen können dann die
malignen Zellen erfolgreich bekämpfen. Um Tumorzellen zu zerstören, brauchen die
T-Zellen des Immunsystems verschiedene Signale. Versetzen die Biomediziner die
Tumorzellen nun gentechnisch in die Lage, bestimmte Botenstoffe (Cytokine) und
spezielle Oberflächenproteine zu bilden, erkennen und bekriegen die T-Zellen des
Immunsystems die krebsauslösenden Zellen.
Phase-I-Prüfung in Sicht
Mäuse zeigten die gewünschte Immunität, wenn sie mit Tumorzellen behandelt
wurden, die das Cytokin Interleukin-7 und das Liganden-Gen B7.1 trugen. Für die
Übertragung dieser Therapie auf den Menschen seien die notwendigen Vektoren
schon konstruiert, so Dörken. Eine klinische Untersuchung der Phase 1 stehe
unmittelbar bevor.
Da die bei dieser Therapieform verwendeten Vektoren unter das Arzneimittelrecht
fallen und die Voraussetzungen für deren Zulassung die Möglichkeiten eines
Forschungslabors übersteigen, wurde auf dem Biomedizinischen Forschungscampus
in Berlin-Buch eine Firma gegründet. Für die klinische Studie sicherte sich der
Wissenschaftler die Unterstützung von Boehringer Mannheim. Dörken glaubt, daß
die gentherapeutischen Alternativen schon bald das Leben von Krebskranken
verlängern werden.
PZ-Artikel von Angela Haese, Berlin
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