Iodprophylaxe und Erkrankungen derSchilddrüse |
28.07.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Die in Deutschland häufigste Schilddrüsenkrankheit ist die endemische
Struma, eine Anpassungshyperplasie der Schilddrüse an nahrungsbedingten
Iodmangel, landläufig auch bekannt als Kropf. Bei Andauern des Ioddefizits
entwickelt sich aus der einfachen Hyperplasie schließlich eine regressiv
veränderte Struma mit Zysten, Fibrosen und gutartigen Knoten. Parallel zu
der sich wandelnden Morphologie kann es in diesen Strumen zu einer
funktionellen Entgleisung durch Zunahme von Zellen mit autonomer
Hormonproduktion kommen.
Bei einer Prävalenz der Iodmangelstruma von 10 bis 20 Prozent besteht in
Deutschland medizinisch und volkswirtschaftlich erheblicher Bedarf an einer
Iodprophylaxe, die das Entstehen der Anpassungshyperplasie und ihrer
Folgekrankheiten verhindern kann. Wie der Endokrinologe Professor Dr. Georg
Benker von der Merck AG, Darmstadt, auf einer dezentralen
Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammern Niedersachsen und Bremen
ausführte, hat sich die medizinische Lehrmeinung zur Indikation der Iodidgabe in den
letzten Jahren gewandelt.
Als eindeutig angezeigt gilt die Iodprophylaxe für Kinder und Jugendliche, für
Schwangere und stillende Mütter und bei positiver Familienanamnese. Die zur
Verfügung stehenden Präparate enthalten Iodid in bedarfsgerechten Tagesdosen
oder auch in Depot-Form zur wöchentlichen Einnahme. Die Dosierung für Kinder
bis zum 10. Lebensjahr beträgt 100 µg, für ältere Kinder und Erwachsene 200 µg
pro Tag.
Therapeutischer Einsatz von Iodid
Iodid wird aber nicht nur prophylaktisch, sondern auch therapeutisch zur
Verkleinerung bereits vorhandener Strumen eingesetzt. Die Dosierung liegt in diesem
Fall etwas höher: für Kleinkinder 100 µg, für Schulkinder 200 bis 300 µg und für
Jugendliche sowie für Erwachsene 300 bis 500 µg Iodid pro Tag.
Ist bereits eine Kropfbildung eingetreten, muß vor der Therapie eine Diagnostik mit
bildgebenden Verfahren (wie Sonographie) sowie eine Labordiagnostik zur Klärung
des Funktionszustandes erfolgen. Zeigt das Sonogramm Knoten oder regressive
Veränderungen, wird zusätzlich ein Szintigramm der Schilddrüse angefertigt, das
eventuell vorhandene Autonomien als stark speichernde Bezirke darstellt. Treten
derartige Veränderungen auf, so ist die Zufuhr größerer Iodidmengen mit der Gefahr
einer Hormonüberproduktion verbunden. In diesem Fall sollte operiert oder -
besonders bei sehr alten und multimorbiden Patienten - mit Radio-Iod behandelt
werden. Auch die Struma bei Morbus Basedow stellt keine Indikation für die
Iodidgabe dar. Sie ist eine Autoimmunerkrankung, die, wenn sie mit einer
Schilddrüsenüberfunktion einhergeht, den Einsatz von Thyreostatika erfordert.
Wenn es sich dagegen bei der vergrößerten Schilddrüse um eine Iodmangelstruma
mit normaler Funktion handelt, und dies ist der häufigste Fall, dann ist durch
Iodidgabe eine Verkleinerung um bis zu 30 Prozent, zumindest aber ein
Wachstumsstillstand zu erreichen.
Die Verwendung des handelsüblichen iodierten Speisesalzes mit 20 µg Iodid pro
Gramm Kochsalz reicht weder zur Behandlung der endemischen Struma noch zu
deren Prophylaxe aus. In Deutschland ist Iodid rechtlich ein Arzneimittel und darf
Nahrungsmitteln und dem Trinkwasser nicht obligatorisch zugesetzt werden
(Freiwilligkeitsprinzip). Es fehlt daher oft in Grundnahrungsmitteln wie Brot, Käse
und Fleischwaren. Als deklarierter Bestandteil ist Iodid zwar seit wenigen Jahren
zugelassen, in den Geschäften aber noch recht selten zu finden.
Iodid zur erfolgreichen Strumaprophylaxe
Günstige Erfahrungen mit einer allgemeinen Iodprophylaxe liegen in Österreich vor:
Iodid gilt hier nicht als Medikament, sondern als Lebensmittelzusatz und wird
grundsätzlich Speisesalz zugesetzt. Die Zahl der Schilddrüsenerkrankungen ist
seitdem stark gesunken, Probleme mit der allgemeinen Iodidzufuhr traten kaum auf.
Die in der Prophylaxe eingesetzte Iodidmenge ist so gering, daß selbst bei Personen
mit Iodüberempfindlichkeit im allgemeinen keine Reaktionen oder Iodallergien zu
erwarten sind. Auch durch die geringe Dosierung werden weder Iodakne oder
Schilddrüsenentzündung ausgelöst. Interaktionen mit anderen Medikamenten gibt es
praktisch nicht.
PZ-Artikel von Halmut Renz, Bremen
© 1997 GOVI-Verlag
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