Bei Asthma werden Weichen früh gestellt |
20.07.1998 00:00 Uhr |
Medizin
Für die Entwicklung von allergischem Asthma im Kindesalter scheinen
Einflußfaktoren maßgeblich zu sein, mit denen das Kind vor Ende seines
dritten Lebensjahres konfrontiert wird. Die Entstehung von Heuschnupfen
und Atopien wird dagegen offenbar auch durch später einwirkende
Allergene beeinflußt.
Diesen Schluß ziehen Mediziner der Universitäts-Kinderkliniken in München,
Münster und Leipzig aus einer Studie, die sie 1995/96 mit 2334 neun- bis elfjährigen
Leipziger Schulkindern durchgeführt haben. Die Kinder hatten durchschnittlich ihre
ersten drei Lebensjahre unter DDR-Bedingungen verbracht. Für die Untersuchung
werteten die Wissenschaftler Elternfragebögen mit Angaben über allergische
Erkrankungen der Kinder sowie über Wohn- und Ernährungsgewohnheiten aus. Bei
den Kindern selbst führten sie Lungenfunktionstests (unter Extrembedingungen wie
kalter Atemluft) durch sowie Hauttests mit den gängigsten Luftallergenen (darunter
Gras-, Birken- und Haselnußpollen).
Die Studie erfolgte nach dem gleichen Muster wie eine bereits 1991/92 kurz nach
dem Mauerfall durchgeführte Untersuchung. Die Autoren hatten bei damals neun-
bis elfjährigen Leipziger Schulkindern, die also bis dato ihr gesamtes Leben im Osten
verbracht hatten, eine deutlich geringere Prävalenz von Asthma, Heuschnupfen und
Atopien festgestellt als bei gleichaltrigen Kindern in München.
In der neuen Studie zeigten sich nun je nach Allergieart unterschiedliche
Entwicklungstendenzen: Während sich mit zunehmender Lebensdauer unter
westlichem Lebenstil auch die Prävalenz von Heuschnupfen und Atopien in Richtung
Westniveau bewegte (jeweils signifikante Zunahmen), blieb die Prävalenz von
kindlichem Asthma und bronchialer Hyperreaktivität scheinbar unbeeinflußt von den
nach dem Mauerfall geänderten Bedingungen.
Über die Elternfragebögen hatten die Autoren sowohl Änderungen in punkto
Lebensstil und Innenraum-Allergenbelastung erfaßt als auch etwaige
Zusammenhänge mit familiärer Allergieanamnese, Bildungsstand der Eltern, Anzahl
der Geschwister, Stilldauer im Säuglingsalter et cetera. Die Pädiater kommen dabei
zu dem Schluß, daß die Häufigkeitszunahme von Heuschnupfen und Atopien sich
weder mit einem einzelnen dieser Faktoren noch mit einer bestimmten Kombination
erklären läßt. Im Gegenteil: Teilweise ließen sich sogar inverse Effekte zwischen
Allergenbelastung und Allergieprävalenz beobachten. So nahm beispielsweise die
Verbreitung von Heuschnupfen zu, trotz Reduktion der Innenraumallergene durch
die Umstellung vieler Haushalte von Kohle- oder Holz- auf Zentralheizung.
Plausible Zusammenhänge ließen sich dagegen zwischen der Allergiehäufigkeit und
den Ernährungsgewohnheiten nach der Wende herstellen. So kam Heuschnupfen bei
den Kindern signifikant öfter vor, deren Eltern eine Steigerung des
Margarinekonsums angaben. Bei gesteigertem Butterkonsum zeigte sich ein
umgekehrter Trend. Die Autoren vermuten, daß die Heuschnupfen-begünstigende
Wirkung von Margarine an deren hoher Konzentration an mehrfach ungesättigten
Fettsäuren liegen könnte. Dadurch könne es zu einer gesteigerten Synthese von
Prostaglandin E2 kommen. Dieses wiederum könne die Bildung von Immunglobulin
IgE fördern, das in allergische Reaktionen des Imunsystem involviert ist. Keine
Auswirkungen zeigte die Höhe des Butter- oder Margarinekonsums auf Atopie- und
Asthmahäufigkeit sowie auf bronchiale Hyperreaktivität.
Die scheinbare Unempfindlichkeit von kindlichem Asthma gegen die Einflüsse
westlichen Lebensstils führen die Pädiater darauf zurück, daß für die
Asthmaentstehung offenbar Faktoren verantwortlich sind, mit denen Kinder im
frühesten Lebensalter oder schon vor der Geburt konfrontiert werden. Bei der
einbezogenen Studienklientel kam die Lebensstiländerung demnach zu spät, um eine
Änderung der Asthmaprävalenz nach sich zu ziehen. Umgekehrt könnte die
beobachtete Prävalenzzunahme von Heuschnupfen und Atopien nach Einschätzung
der Autoren damit zusammenhängen, daß diese beiden Allergieformen auch von
später einwirkenden Umgebungsfaktoren geprägt werden, die sich zu den Einflüssen
im Säuglings- und Kleinkindalter addieren.
Quelle: Lancet, Vol 351, 21. März 1988, 862-65
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Bad Vilbel
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