Therapiekonzepte bei Heuschnupfen |
21.07.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Die vor wenigen
Jahren erfolgte Einführung von topisch applizierbaren
H1-Blockern hat die Behandlungsmöglichkeiten bei der
allergischen Rhinokonjunktivitis erweitert, weil diese
Substanzen hinsichtlich ihres schnellen
Wirkungseintritts, der bedarfsgerechten
Anwendungsmöglichkeit und wegen der geringen
Nebenwirkungsquote einige Pluspunkte aufweisen.
Nach wie vor gilt, daß bei Heuschnupfen und ähnlichen
allergischen Erkrankungen die Allergenkarenz ein
zuverlässiges, aber oft nicht praktikables Verfahren und
die Hyposensibilisierung eine zwar meist wirksame, aber
nicht risikofreie Methode darstellen. Auf einer von
Janssen-Cilag organisierten Pressekonferenz in Köln wies
Professor Dr. Friedrich A. Bahmer aus Bremen darauf hin,
daß bei einer Hyposensibilisierungstherapie nicht nur
lokale Nebenwirkungen und Kreislaufstörungen, sondern
selten auch lebensbedrohliche Komplikationen bis hin zum
tödlichen anaphylaktischen Schock auftreten können.
Nach einer amerikanischen Statistik sind innerhalb von
zehn Jahren bei 20 Millionen Hyposensibilisierungen 71
Todesfälle aufgetreten. Sie konnten allerdings in keinem
Fall den Allergenextrakten zur Last gelegt werden,
sondern waren iatrogen verursacht, das heißt es wurde
nicht fachgerecht injiziert, oder interkurrente
Infektionen wurden nicht beachtet. Auch wenn tödliche
Zwischenfälle nur selten auftreten, sollte ein Arzt, der
Hypersensibilisierungen durchführt, eine Schockapotheke
in greifbarer Nähe haben und in Notfallmedizin
ausgebildet sein.
Durch tierexperimentelle Untersuchungen und klinische
Beobachtungen ist eindeutig belegt, daß Histamin die
wichtigste auslösende Substanz der Rhinokonjunktivitis
ist, weshalb bei der symptomatischen Behandlung orale
Antihistaminika seit Jahren eine führende Rolle spielen.
Da bei der Rhinokonjunktivitis die betroffenen
Schleimhäute von außen zugänglich sind, können sie
mit topisch applizierbaren Medikamenten auch direkt
beeinflußt werden. Bislang wurde die Lokaltherapie vor
allem mit vasokonstriktorisch wirksamen Substanzen, mit
topisch anwendbaren Corticosteroiden und mit
Mastzellen-Stabilisatoren vom Typ der Cromoglicinsäure
durchgeführt. Bei der Überprüfung einiger
Antihistaminika hinsichtlich ihrer topischen
Anwendbarkeit auf Nasenschleimhaut und Augenbindehaut
erwies sich Levocabastin als sehr gut wirksam, hieß es
in Köln. Die mit anderen Antihistaminika chemisch nicht
verwandte Substanz weist eine vergleichsweise starke
blockierende Wirkung auf die H1-Rezeptoren der
Zelloberflächen auf, diese werden für die Beschwerden
bei Rhinokonjunktivitis verantwortlich gemacht.
Bei der Bewertung des als Augentropfen oder Nasenspray
verfügbaren Levocabastins wurde eine statistische
Methode verwendet, bei der der Schweregrad der Erkrankung
zu bestimmten Zeitpunkten erfaßt und in einem
Koordinatensystem aufgetragen wurde. Im Vergleich mit
systemischen Antihistaminika zeigten sich im Hinblick auf
die Effektivität der Behandlung Vorteile unter
Levocabastin. Aufgrund des schnellen Wirkungseintritts
und der prolongierten Wirkung erwies sich eine zweimal
tägliche Anwendung bei den meisten Patienten als
ausreichend.
In einem ergänzenden Beitrag ging Dr. Andreas Schapowal,
Davos, unter anderem auf genetische Probleme,
Lebensgewohnheiten und Umweltfaktoren ein. Die Bedeutung
der Erbanlagen sei daran zu erkennen, daß die Atopie
polygenetisch, autosomal rezessiv bedingt ist, während
andere Erkrankungen, beispielsweise die zystische
Fibrose, nur durch eine einzige Genabnormalität
autosomal rezessiv vererbt werden. Aus Zwillingsstudien
ist bekannt, daß monozygote Zwillinge eine Konkordanz
(Übereinstimmung) für Atopie von 50 bis 65 Prozent
aufweisen, während sie bei zweieiigen Zwillingen 20 bis
25 Prozent beträgt. Es sind also nicht nur genetische
Ursachen für allergische Erkrankungen relevant.
Studien zur Lebensgewohnheit zeigten, daß die
Allergenexposition zwar bei der Sensibilisierung eine
Rolle spielt, nicht aber im Hinblick auf die Prävalenz
allergischer Rhinokonjunktivitiden. Stillen hat einen
vorübergehenden protektiven Effekt auf die Inzidenz
allergischer Erkrankungen, jedoch nur für die ersten
drei Lebensjahre. Nach wie vor wird kontrovers
diskutiert, welche Rolle diätetische Faktoren wie
beispielsweise ungesättigte Fettsäuren spielen.
Seit der Wiedervereinigung wurde in mehreren
Untersuchungen die Bedeutung der Umweltfaktoren
analysiert mit teilweise überraschenden Ergebnissen. Die
1990 bis 1994 publizierten Ost-West-Studien ergaben beim
Vergleich von neun- bis elfjährigen Kindern eine
Prävalenz der Rhinokonjunktivitis von 8,6 Prozent in
München gegenüber 2,4 Prozent in Leipzig. Hingegen fand
sich in Leipzig eine doppelt so hohe Prävalenz
unspezifischer Atemwegserkrankungen wie Husten und
Bronchitis. Schadstoffe wie Schwefeldioxid und
Schwebstäube prädisponieren also offenbar für
Bronchitiden, während Schadstoffe wie Stickoxide und
verkehrsbedingte Emissionen (Dieselruß, Benzol,
Kohlenmonoxid) Risiken für Allergien sind.
PZ-Artikel von Dieter Müller-Plettenberg, Köln
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