Neue Strategien für die Krebstherapie |
15.06.1998 00:00 Uhr |
Medizin
Neue Wirkstoffe und Behandlungstrategien in der Krebstherapie werden
häufig von kleinen, jungen Unternehmen entwickelt. Doch können diese die
Produkte meist weder zur Marktreife bringen noch weltweit vertreiben. Sie
brauchen dazu große, kapitalkräftige Firmen als Kooperationspartner. Auf
einer von RauCon initiierten Veranstaltung am 11. Mai in Heidelberg trafen
sich Forscher kleiner Biotech-Firmen mit Repräsentanten der
Pharmazeutischen Industrie.
Nach wie vor kommen die meisten Biotech-Firmen aus den Vereinigten Staaten.
Mittlerweile gibt es jedoch auch deutsche Existenzgründer, die ihre
Forschungsergebnisse kommerziell nutzen wollen. Viele dieser Unternehmen haben
ihren Sitz in der Umgebung von Heidelberg und München, zwei Schwerpunkten der
molekularbiologischen Forschung in Deutschland.
Die klassische Chemotherapie spielt bei diesen Forschern nicht mehr die dominante
Rolle. Wichtige Targets für die Entwicklung neuer Krebspräparate sind heute das
Immunsystem, die tumorinduzierte Angiogenese und die Multiresistenzmechanismen
von Tumorzellen.
Die Multiresistenz von Tumorzellen begrenzt in vielen Fällen die Wirksamkeit der
Chemotherapie. Durch tumorspezifische Stoffwechselwege gelingt es den
Krebszellen, der cytotoxischen Wirkung von Chemotherapuetika wie Doxorubicin,
Adriamycin, oder Paclitaxel zu widerstehen. Nach Angaben von Dr. Matthew
Harding, Vertex Pharmaceuticals, verfügen mehr als 50 Prozent aller Tumoren über
intrinsische Resistenzmechanismen.
Zumindest mitverantwortlich für die Resistenz seien das P-Glycoprotein (P-gp) und
das Multidrug Resistance associated Protein (MRP). Sie erhöhen den Efflux
cytotoxischer Substanzen aus der Tumorzelle. Beide Eiweiße werden in
verschiedenen soliden Tumoren und hämatologischen Krebszellen exprimiert.
Die von Hardings Unternehmen Vertex, Cambridge, gefundene Substanz Incel
(einen Stoffnamen nannte der Wissenschaftler nicht) soll an P-gp und MRP binden
und so den Transport der Chemotherapeutika aus der Zelle blockieren. In
präklinischen Untersuchungen soll Incel die Wirkung von Doxorubicin und Paclitaxel
auf resistente humane Leukämiezellen deutlich verbessert haben. Nachdem die gute
Verträglichkeit des Präparates nachgewiesen worden sei, habe das Unternehmen
jetzt mit Phase-II-Studien begonnen, so Harding.
An einem gentherapeutischen Ansatz zur Hemmung der Tumorangiogenese arbeitet
die US-amerikanische Firma Megabios. Sie testet einen Lipid-Vektor, der ein
antiangiogenetisches Gen in Endothelzellen einschleusen soll. Der antiangiogenetische
DNA-Abschnitt soll das tumorinduzierte Auswachsen von Blutgefäßen stoppen und
so die Versorgung der Krebszellen blockieren, erläuterte Dr. Simba Gill von
Megabios, Burlingham (Kalifornien), das Konzept.
Tumoren schütten Gefäß-Wachstumsfaktoren aus und sichern so ihre Versorgung
mit Sauerstoff und Nährstoffen. Mit dem vom Unternehmen entwickelten Lewis
Lung Model" konnten die Forscher eine Expression des eingeschleusten
Antiangiogenese-Gens für mindestens vier Tage nachweisen. Von einer etablierten
Behandlungsmethode ist dieses Projekt freilich noch weit entfernt. Klinische Studien
werden nach Gills Ankündigung im nächsten Jahr beginnen.
Einen anderen Weg, die tumorinduzierte Angiogenese zu hemmen bestreitet der
Freiburger Universitätsprofessor Dr. Dieter Marmé. Sein Unternehmen, die SAN
Cancer Research GmbH, hat die Protein-Tyrosinkinase VEGF-R1 als geeignete
Zielstruktur für niedermolekulare Inhibitoren identifiziert. Protein-Tyrosinkinasen
spielen bei der Angiogenese eine wichtige Rolle. Eine von SAN Cancer Research
entwickelte Substanz habe bereits im Tiermodell ein starkes antiangiogenetisches
Potential gezeigt. Im Herbst 1998 will das Unternehmen die klinischen
Untersuchungen starten.
Die kanadische Firma GlycoDesign entwickelt zur Zeit ein Krebstherapeutikum, das
den Stoffwechselweg unterbrechen soll, durch den Tumorzellen das Immunsystem
überlisten. Krebszellen bilden spezielle Carbohydrate, die an die Zelloberfläche
wandern und dort verhindern, daß Immunzellen die entarteten Zellen eliminieren,
erklärte der Vize-Präsident des Unternehmens Christian Frayssignes.
Der von GlycoDesign patentierte alpha-Mannosidase-Inhibitor GD0039 habe sich
im Tiermodell als potenter Blocker dieses Carbohydrat-Stoffwechselweges
bewiesen. Tumorzellen, denen das zuckerhaltige Erkennungsmolekül auf der
Zelloberfläche fehlt, werden vom Immunsystem als Feind erkannt und angegriffen. In
ersten Studien mit Patienten, die an metastasierendem Krebs litten, habe die
Behandlung mit GD0039 zu einer 75prozentigen Reduktion der Tumorgröße geführt.
In diesem Sommer wolle sein Unternehmen klinische Phase-II-Studien mit
Nierenkrebs-Patienten starten, kündigte Frayssignes an.
Neben kleinen Biotechnik-Unternehmen boten sich auf der Heidelberger
Veranstaltung auch Universitäten und Forschungsinstitute als Kooperationspartner
für Pharmaunternehmen an. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ)
arbeitet heute bereits mit sechs lizensierten Partnerunternehmen zusammen.
Forschungsschwerpunkte des Institutes, das zu 90 Prozent vom Bund und zu 10
Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert wird seien unter anderem die
Radiodiagnostik, die Tumorzellregulation und die Immungenetik, erläuterte Dr. Ruth
Herzog, DKFZ. Schwerpunkte der Kooperation mit pharmazeutischen
Unternehmen sind die Apoptose, das Papilloma Virus, die Radiotherapie und
Polyether-substituierte Konjugate für die Tumortherapie, erläuterte Herzog. Mit
insgesamt 198 deutschen, europäischen und internationalen Patenten ist das DKFZ
eine der erfolgreichsten deutschen Forschungseinrichtungen.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Heidelberg
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