Maßgeschneiderte Antikörper für die Therapie |
27.04.1998 00:00 Uhr |
Medizin
Bislang sind in Deutschland erst wenige Antikörpepräparate für
therapeutische Zwecke zugelassen. Fast einhundert dieser neuartigen
Wirkstoffe befinden sich weltweit in der Entwicklung. Neun Techniken
ermöglichen die Herstellung von immer wirkungsvolleren Varianten der
monoklonalen Antikörper. Die außergewöhnlichen Substanzen erweitern die
Therapiemöglichkeiten bei Krebs, nach Organtransplantationen und bei
Gefäßerkrankungen.
Der schwedische Immunologe Professor Dr. Hans Wigzell verglich das
Immunsystem in einem Aufsatz mit einem Bergwerk, das noch viele Schätze birgt.
Ein Juwel stellen die Mitte der siebziger Jahre von César Milstein und Georges
Köhler erstmals gewonnenen monoklonalen Antikörper dar. Die beiden Forscher
immunisierten Mäuse mit einem Antigen und entnahmen einige Wochen später deren
Milz. Anschließend fusionierten sie die Zellen der Milz im Reagenzglas mit
Myelomzellen der Maus. Aus dem Gemisch isolierten die beiden Forscher homologe
Antikörper produzierende Zellen und kultivierten sie weiter. 1984 erhielten Milstein
und Köhler für ihre bahnbrechende Entwicklung den Nobelpreis. Zwei Jahre später
ließ das Paul-Ehrlich-Institut das erste Antikörperpräparat unter der Bezeichnung
Orthoclone in Deutschland für den Einsatz nach Lebertransplantationen zu.
Inzwischen steht auch ein erstes Antikörperpräparat zur Krebsbehandlung zur
Verfügung. Die Antikörper von Panorex greifen die Metastasen des kolorektalen
Karzinoms an. Die Epithelzellen der Metastasen weisen eine besonders große
Anzahl von Antigen-17-1A -Molekülen an ihrer Oberfläche auf. Diese
Eiweißmoleküle erkennt der Panorex-Antikörper; er markiert die Tumorzellen und
lockt körpereigene Immunzellen an, die dann die Krebszellen der Metastasen
zerstören.
Ein weiteres zugelassenes Präparat (ReoPro) enthält nicht vollständige
Antikörpermoleküle, sondern nur Antigen-bindende Fragmente (FAB), die
bestimmte Rezeptoren der Blutplättchen blockieren und so die Plättchen am
Verklumpen hindern. Sie werden bei Eingriffen nach Arterienverschlüssen eingesetzt
und verhüten das Entstehen von Blutgerinnseln.
Diese Antikörper stammen ursprünglich aus der Maus und unterscheiden sich in ihrer
Zusammensetzung von den humanen Antikörpern. Gelangen die Eiweißmoleküle aus
der Maus wiederholt in den menschlichen Stoffwechsel, können sie dort das
Immunsystem alarmieren und werden relativ schnell abgebaut - Eigenschaften, die
den therapeutischen Einsatz von Antikörpern bislang einschränkten.
Maus-Moleküle werden humanifiziert
Seit Ende der achtziger Jahre versuchen daher Wissenschaftler die Maus-Moleküle
den menschlichen anzupassen. Sie entwickelten neuartige humanifizierte und chimäre
monoklonale Antikörper. Für die Erzeugung chimärer Antikörper übertragen die
Forscher den kleinen Teil eines Maus-Antikörpers, der für die Erkennung eines
Antigens verantwortlich ist, auf einen humanen IgG-Antikörper. Die resultierenden
Antikörper modifizieren sie häufig noch weiter und passen einzelne Bausteine des
Maus-Anteils dem humanen Vorbild an. Diese Antikörper gleichen weitgehend den
humanen und werden als humanifiziert bezeichnet. Nach ersten Studienergebnissen
vertragen Patienten diese Immunstoffe besser. Außerdem aktivieren sie, so die
Vorstellung von vielen Immunologen, nach der BindungRezeptor gezielter das
körpereigene Immunsystem.
Seit Anfang dieses Jahres sind in Europa zwei mit den neuen Verfahren konstruierte
Antikörper zugelassen, die die Abstoßungsreaktion nach Lebertransplantationen
verhindern sollen. Während die Experten noch darüber streiten, welchen
Antikörpern der Vorzug zu geben ist, wurden mittlerweile Verfahren zur Erzeugung
von humanen Antikörpern etabliert, die keinerlei Mausanteile enthalten. Von den
humanen Antikörpern fanden allerdings erst wenige den Weg in klinische Tests.
Dagegen wird die Wirksamkeit und Verträglichkeit zahlreicher humanifizierter
Antikörper zur Zeit in Kliniken überprüft.
Weltweit größte klinische Studie
Bei Professor Dr. Gerhard Schaller und seiner Arbeitsgruppe am Berliner
Universitätsklinikum Benjamin Franklin erhalten 4 von weltweit über 400
Brustkrebspatientinnen einmal pro Woche neben der herkömmlichen Chemotherapie
eine Antikörperinfusion. Die Patientinnen nehmen an der Studie der amerikanischen
Firma Genentics, bei der die US-Arzneimittelbehörde FDA die Aufsicht führt, teil.
Die in Berlin behandelten Frauen leiden an einer besonders aggressiven und schnell
metastasierenden Form von Brustkrebs, von der ungefähr ein Drittel aller
Patientinnen betroffen. Die bislang zur Behandlung der Metastasen zur Verfügung
stehende Chemotherapie vergleicht der Mediziner Schaller mit einem "Holzhammer,
mit dem man ein Uhrwerk reparieren möchte". Der neu entwickelte Wirkstoff greift
dagegen gezielt die Krebszellen an. Die von Schaller und seiner Gruppe getesteten
monoklonalen Antikörper sind gegen die Eiweißmoleküle HER2/-neu gerichtet.
Diese Proteine sitzen in der Wand von Tumorzellen, die nur bei der besonders
aggressiven Form von Brustkrebs auftreten. Die Rezeptormoleküle HER2/-neu
steuern das rasante Tempo der Vermehrung der Krebszellen und deren Ablösung
vom Zellverband. Die den Patientinnen verabreichten Antikörper spüren die
Rezeptoren an der Zelloberfläche auf, docken dort an und leiten die Zerstörung der
Krebszelle durch das Immunsystem ein. "Die Auflösung so großer Metastasen" hatte
Schaller zuvor "noch nie gesehen". Bei einigen Patientinnen erhöhe das neue
Präparat die Überlebenschancen gewaltig. Die Firma Genentics hofft nun, das
Präparat Ende dieses Jahres auf den amerikanischen Markt zu bringen.
Aber die Entwicklung der neuartigen Wirkstoffe geht weiter. Das Darmstädter
Unternehmen Merck testet einen bispezifischen Antikörper für die Krebstherapie.
Das in den USA entwickelte Antikörpermolekül EMD 82633 besitzt zwei
verschiedene Greifarme. Während ein Arm an die Tumorzelle bindet, fixiert der
andere Arm die körpereigenen Killerzellen und leitet die Zerstörung der Krebszelle
ein. In anderen Labors planen Wissenschaftler Antikörper mit Radionukleotiden und
Chemotherapeutika zu beladen, um diese Verbindungen gezielt zu den Krebszellen
zu transportieren. Die Y-förmigen Juwele des Immunsystems bergen noch viele
Anwendungsmöglichkeiten.
PZ-Artikel von Angela Haese, Berlin
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