Kein Organhandel trotz liberaler Regeln |
22.03.2004 00:00 Uhr |
Da die Zahl der Organspenden in Deutschland stagniert, möchte die Bundesärztekammer (BÄK) die gesetzliche Regelung zur Lebendspende von Nieren, Leber- oder Lungenteilen lockern. Bisher muss nach dem Transplantationsgesetz ein Spender dem Empfänger „in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen“. Laut BÄK sollte nun auch die anonyme Spende an einen Sammelpool möglich werden.
Immer wieder erschrecken Zeitungsberichte über Organhandel in der Dritten Welt. In Entwicklungsländern kommt es etwa vor, dass Arbeitslosen in angeblichen Eingangsuntersuchungen für einen neuen Job eine Niere entnommen wird. Solche kommerziellen und kriminellen Organspenden wollte und konnte das Transplantationsgesetz (TPG) aus dem Jahr 1997 in Deutschland vermeiden, sagte Professor Dr. Günter Kirste, Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der BÄK, auf einem Presseseminar der Bundesärztekammer in Berlin.
„Das Gesetz muss nun nachjustiert werden“, ergänzte Professor Dr. Christoph Fuchs. Nach Ansicht des BÄK-Hauptgeschäftsführers solle die Lebendorganspende für Spendewillige gesetzlich erleichtert werden. Denn die Zahl der Patienten, die auf ein Organ warten – 2003 waren es 12 000 Deutsche –, nimmt stetig zu und somit auch die Nachfrage nach Lebendspenden. Deren Anteil wuchs in den letzten zehn Jahren bezogen auf Nierentransplantationen von 2,7 auf 16 Prozent im vergangenen Jahr. Grund dafür seien auch die klinischen Erfolge. So komme es zu weniger Komplikationen, wenn die Zeitspanne zwischen Organentnahme und Transplantation kurz und die Organe nicht beschädigt sind – was bei Unfalltoten möglich ist. Zudem wird ein Organ von Blutsverwandten in der Regel besser vertragen.
Hilfe oder Handel
„Wir sehen eine deutliche Tendenz in Richtung Lebendspende, wobei man diese Entwicklung sehr sensibel und verantwortungsvoll begleiten muss“, mahnte Fuchs. Gerade Ärzte begingen häufig eine Gratwanderung, da das Prinzip ärztlichen Handelns, keinen Schaden zuzufügen, durchbrochen wird. Denn der Eingriff erfolgt ausschließlich zum Wohl eines anderen. Ethisch legitimiert sein kann dies mit dem persönlichen Verhältnis der Beteiligten und mit dem Respekt vor der freien Entscheidung des Spenders. Doch gerade hier liegt die Gefahr, wenn nämlich eine Spende aus finanzieller Not geschieht, also erkauft wird.
Um dem vorzubeugen, gestattet der Paragraf 8 TPG eine Lebendspende nur, wenn kein postmortal gewonnenes Organ verfügbar ist und die Spende auf Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte und „andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen“ übertragen wird. Dies soll gewährleisten, dass die Betroffenen freiwillig und unentgeltlich handeln.
Aus Spendersicht Wer einem anderen Menschen ein Organ/-teil überlassen will, muss volljährig und einwilligungsfähig sein. Der verantwortliche Arzt muss gemeinsam mit einem weiteren Arzt den Spender ausführlich rechtswirksam aufklären. Dies umfasst sowohl die Gefährdung durch die Operation an sich, die nicht über die Risiken eines vergleichbaren Heileingriffs hinausgehen darf, als auch die Nachsorge sowie die Übernahme der anfallenden Kosten. Um einen Organhandel zu verhindern, ist die Spende generell unentgeltlich. Für den Krankenhausaufenthalt, Nachsorgemaßnahmen, Reisekosten und den jeweiligen Verdienstausfall kommt jedoch die Krankenkasse des Empfängers auf, was allerdings vor dem Eingriff im Detail abzuklären ist. Zudem ist der Spender automatisch in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.
Im TPG müsse nun auch festgelegt werden, wer die Kosten für eventuelle spätere Folgeschäden übernimmt. Auch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit und spendebedingte Einkommensausfälle sollten abgedeckt werden, forderten die Experten.
Da in der Regel zum Zeitpunkt der Nachfrage kein passendes Organ für den Empfänger vorhanden ist, grenze das Subsidiaritätsprinzip die Zahl der Lebendspenden kaum ein. Es sei aber prinzipiell nötig, da es die Leichenorganspende stärkt. Momentan diskutiert werde vielmehr, wie man die Formulierung „persönliche Verbundenheit“ interpretieren darf und ob das Gesetz die Spender nicht grundsätzlich auf den sozialen Nahraum begrenzen sollte. Denn gerade die Spende eines Familienangehörigen könne von Zwängen beeinflusst sein, sei es durch einen allgemeinen Erwartungsdruck oder den väterlichen Befehl, so Fuchs. Dies müsse ein Psychologe in den vorausgehenden Gesprächen hinterfragen und dem Betroffenen etwa die Möglichkeit bieten, die Spende mit einer medizinischen Begründung abzuweisen. Zusätzlich schreibt das Gesetz vor, dass eine unabhängige Kommission mit einem Gutachten zur Lebendspende Stellung nimmt. Sie soll prüfen, ob begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt ist oder Organhandel vorliegt.
Mittlerweile habe auch schon ein langjähriger Arbeitskollege eines Patienten in seiner Klinik gespendet, berichtete Kirste von seinen Erfahrungen als Leiter der Abteilung Transplantationschirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik Freiburg. Ein verwandtschaftliches Verhältnis hält er nicht für nötig, im Gegenteil: Eine Umfrage habe ergeben, dass die Deutschen eher bereit sind, ihrem Ehepartner oder Freunden ein Organ zu spenden als den Geschwistern. Man solle daher dem Wunsch der Spendewilligen nachkommen, um so die Zahl der Spenden zu erhöhen. Hier sei noch viel Spielraum. So machten in den USA Lebendspenden etwa die Hälfte aller Organspenden aus und auch in Skandinavien sei deren Anteil sehr hoch.
Mit dem Erhalt einer Lebendspende kann ein Patient seine Lebenserwartung deutlich verbessern, so der Mediziner. Eine amerikanische Studie habe gezeigt, dass Nierenkranke, die nach einem Jahr Dialyse transplantiert werden, viel schlechtere Prognosen hatten als diejenigen, die ein Transplantat schon vor einer Dialysepflichtigkeit erhielten. Berücksichtige man, dass in Deutschland die Wartezeit für eine Spenderniere sehr lang ist und die Dialyse durchschnittlich über sechs Jahre geht, werde die gezielte Lebendspende für den Patienten „zu einem ganz gewichtigen Argument“.
Varianten der Lebendspende
Somit sollte das Transplantationsgesetz auch so genannte Cross-over-Spenden generell erlauben. Wenn etwa der Partner eines Patienten auf Grund seiner Blutgruppe nicht als Spender infrage kommt und ein weiteres Paar mit entgegengesetzter Konstellation existiert, dürfe einer Überkreuz-Spende nichts im Wege stehen. Hier könne man laut Kirste einen kommerziellen Organhandel ausschließen; zudem hat das Bundessozialgericht kürzlich eine solche Spende erlaubt. In dem europäischen Verbund Eurotransplant werden auf diese Weise bereits Organe nach festen Regeln innerhalb von sieben Ländern ausgetauscht.
Doch schon jetzt könne die Medizin auch die AB0-Grenze überschreiten, was auf lange Sicht eine Cross-over-Spende überflüssig mache. So werden beim Empfänger die Blutgruppenantikörper mittels Plasmapherese ausgewaschen, bevor das eigentlich blutleere Organ transplantiert wird. Zwar sei der Erfolg nach dieser spezifischen, intensivierten Immunsuppression nicht so groß wie bei gleicher Blutgruppe, jedoch weit besser als nach sechs Jahren Wartezeit und Dialyse.
Riskante Leberspende Weist ein Spender bestimmte Risikofaktoren wie Alter oder Übergewicht auf, können Komplikationen wie Venenthrombosen, Lungenembolien oder Infektionen vermehrt auftreten. So sind Diabetiker, Patienten mit Koronarstents oder älter als 70 Jahre von einer Spende auszuschließen. Generell beinhaltet jedoch eine Nierenlebendspende kalkulierbare und eher geringe Risiken.
Anders bei der noch jungen Leberspende. Erst in den letzten 25 Jahren habe es eine Revolution in der Leberchirurgie gegeben, die das 1-Jahres-Überleben nach Tumor-bedingter Teilresektion von 35 auf 90 Prozent erhöht habe, sagte Professor Dr. Peter Neuhaus aus Berlin. Vor zehn Jahren sei daraufhin in der ersten Lebendspende für Kinder ein linker Leberlappen verpflanzt worden. Dieser kleinere Leberlappen umfasst 15 bis 20 Prozent der Leberzellmasse, auf die der Spender relativ risikolos verzichten kann, zumal die Leber ein regenerationsfähiges Organ ist. Problematisch war jedoch, dass mehr Erwachsene als Kinder auf eine Transplantation angewiesen sind und hier der kleine Lappen nicht ausreicht.
Nach erfolgreichen Rechtsleberresektionen bei Tumorpatienten, begannen japanische Mediziner, rechte Leberlappen und damit circa 60 Prozent der Leberzellmasse für Erwachsene zu transplantieren. Diese Lebendspende sei zwar riskanter, „aber eine Alternative für Leute, die auf der Warteliste versterben“, so Neuhaus. Der Umstand, dass der Empfänger vor der Transplantation auch in die Warteliste für Leichenorgane aufgenommen werde, ermögliche ihm im Fall des Organversagens eine schnelle Retransplantation. Das Verfahren der Lebendleberspende sei jedoch noch sehr jung und müsse evaluiert werden. Der Mediziner plädierte dafür, logistischer zu handeln und den rechten Teil einer Leichenspende für einen Erwachsenen zu verwenden und parallel den linken für ein Kind. Auf diese Weise könne man auf risikoreiche Lebendspenden für Kinder vollständig verzichten.
Ein Teil der BÄK-Kommission befürworte, dass die Cross-over-Spende auch explizit im Gesetz verankert wird, sagte der Kommissionsvorsitzende Professor Dr. Hans-Ludwig Schreiber. Insbesondere trete sie jedoch dafür ein, die unentgeltliche anonyme Lebendorganspende an einen Sammelpool zuzulassen, was derzeit in Deutschland nicht erlaubt ist. So erhaltene Organe würden wie bei der Leichenspende über Wartelisten verteilt. Auch hier sei ein Organhandel auszuschließen, da dem Spender keine Vorteile entstehen. „Ob das viel bewirken wird, weiß ich nicht“, räumte Schreiber ein. Und auch von der Cross-over-Spende erwartet er nur einen geringen Zuwachs an Organspenden, trotz einem möglichen Tausch innerhalb des europäischen Netzwerks Eurotransplant.
Einer anonymen Spende fehle schließlich der nötige Anreiz. Diskutiert werde derzeit eine zielgerichtete Spende an den Pool, um etwa einem Freund mit anderer Blutgruppe als Gegenleistung ein passendes Lebend- oder Leichenspendeorgan aus dem Pool zu garantieren. Hier handelt der Spender zwar nicht mehr nur altruistisch, auf diese Weise werde die Lebendspende jedoch für viele attraktiver. „Bei der Öffentlichkeit, die wir aufgebaut haben, können wir uns trauen, auch solche Fälle zuzulassen“, sagte Kirste.
Vor allem müsse aber die Leichenorganspende gestärkt werden, wobei etwa
Intensivmediziner in Krankenhäusern Organspender melden sollten. Eine
Widerspruchslösung wie in Österreich, Belgien, Spanien und der früheren DDR
hielten die Experten jedoch für keine Alternative. Dort können Angehörige bei
einer Befragung der Organspende widersprechen, grundsätzlich geht man aber von
einer Spende aus, wodurch der Familie eine positive Entscheidung erleichtert
wird.
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