Bettnässen: Ansätze, um Abhilfe zu schaffen |
16.03.1998 00:00 Uhr |
Medizin
Das Bettzeug ist triefend naß, aber das Kind wird weder durch den
Harndrang noch durch das nasse Bett wach, und auch das Geräusch der
Klingelhose kann es nicht wecken. Tagsüber ist das Kind bereits trocken.
So könnte die typische Beschreibung einer Mutter lauten, deren Kind an
Enuresis nocturna, dem nächtlichen Bettnässen, leidet.
Im Gegensatz zur Harninkontinenz versteht man unter Bettnässen eine normale
Entleerung der Blase, nur am falschen Ort und zur falschen Zeit, und zwar bei
Kindern ab fünf Jahren. Immerhin sieben bis zehn Prozent der siebenjährigen Kinder
nässen nachts; zwei bis drei Prozent tun es auch tagsüber. Von den Jugendlichen ist
noch etwa ein Prozent betroffen. In Interviews geben siebzig Prozent der Kinder an,
daß sie sich durch ihr Leiden unbehaglich und benachteiligt fühlen; zwei Drittel der
Eltern fühlen sich erheblich belastet. Dennoch verschweigen viele das Problem und
zögern den Arztbesuch aus Scham hinaus.
Das kürzlich von Ärzten gegründete Enuresis-Informationszentrum EINZ
(Haupstraße 93a, 61440 Oberursel) will hier aufklärend tätig werden. Es bietet Rat
und Information für Betroffene, Ärzte und Journalisten, erklärte Vorstandsmitglied
Alexander von Gontard, Köln, bei der Pressekonferenz in München. EINZ hält
unter anderem einen Anamnese-Fragebogen und ein Merkblatt über
Behandlungsformen bereit, verweist Patienten an den nächstliegenden Experten und
will Fortbildungen für Fachpersonal veranstalten.
Oft Folge anderer Erkrankungen
Einnässen kann ein Symptom verschiedener Krankheiten sein, zum Beispiel von
Dranginkontinenz, Harnwegsinfekten, neurogener Blasenstörung oder organischen
Ursachen. Vor Beginn der Therapie ist daher die genaue Diagnosestellung wichtig.
Dazu sei keine aufwendige apparative Diagnostik notwendig, erklärte Dr. Bernhard
Lettgen aus Darmstadt. Mit Hilfe des Anamnese-Fragebogens können verschiedene
Erkrankungen differenziert werden. Weiterhin empfiehlt der Kinderarzt die
körperliche Untersuchung, die Sonographie der Nieren und ableitenden Harnwege
sowie eine Harnuntersuchung. Seine Erfahrung: Viele Kinder werden schon bald
nach dem Arztbesuch, daß heißt, wenn das Problem angesprochen wurde, trocken.
Und für die Eltern ist es wichtig zu erfahren, daß ihr Kind gesund ist und sie keine
"Schuld" am Einnässen haben.
Gontard stellte dabei zwei häufige Vorurteile klar: Nächtliches Einnässen ist nicht
immer auf psychische Probleme und Konflikte zurückzuführen, was der bildhafte
Spruch von der "weinenden Blase" unterstellt. Auch sind betroffene Kinder meist
nicht verhaltens- oder psychisch gestört. Daher sind reine Spiel- oder
Verhaltenstherapien nicht indiziert, wenn keine zusätzlichen psychischen Störungen
vorliegen.
Klingelhosen-Alarm und Spray
Therapie der ersten Wahl ist die apparative Verhaltenstherapie. Darunter versteht
man die sogenannte Klingelhose oder -matte mit Sensor und Alarmgerät. Das Gerät
läutet, wenn der Sensor Feuchtigkeit spürt. Da bettnässende Kinder in der Regel
Tiefschläger sind, hören sie den Alarm nicht. Vielmehr müssen die Eltern sie wecken
und zur Toilette schicken.
Kernpunkt der Methode ist das ständige Aufwachen des Kindes. Wie können die
Eltern dies überprüfen? Lettgens Tip: dem Kind jede Nacht ein anderes Kennwort
sagen, an das sich das Kind am nächsten Morgen erinnern muß. Nur die
Kombination von Klingelhose und komplettem Aufwecken sichert den Erfolg bei 70
bis 90 Prozent der Kinder mit normaler Blasenfunktion innerhalb von 12 bis 15
Wochen. Diese Therapie erfordert also eine genaue Unterweisung der Eltern. "Die
Verordnung der Hose alleine genügt nicht."
Wenn diese Therapie von Eltern oder Kind nicht akzeptiert wird oder ein schnelles
Trockenwerden, zum Beispiel wegen einer Klassenfahrt, nötig ist, kann man zu
Medikamenten greifen. Trizyklische Antidepressiva wie Imipramin sind jedoch
obsolet. Die Gabe von Desmopressin-Spray (Minirin) reduziert die Harnbildung und
kann die Zeit bis zum Trockenwerden überbrücken. Etwa 70 Prozent der Kinder
sprechen darauf an, allerdings nur solange das Antidiuretikum gegeben wird. Beim
Absetzen näßt die Hälfte der Kinder wieder ein. Bringt die Klingelhosen-Therapie
keine Erfolg, kann man sie mit Desmopressin kombinieren. Manchmal müsse man
dem Kind aber einfach Zeit lassen, sagte Gontard. Ohnehin sei eine Behandlung des
Einnässens nur gemeinsam mit dem Kind möglich.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München
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