Medizin
Im Gegensatz zu gewöhnlichen
Arzneimitteln helfen Impfstoffe nicht nur dem einzelnen.
Da sie übertragbare Krankheiten abwehren, spielt bei
ihrer Anwendung immer auch der Schutz der Gesellschaft
eine Rolle. Logische Konsequenz ist ein starker
staatlicher Einfluß in Form von Empfehlungen oder
Vorschriften. Die dritte Konferenz der Vereinigung
Europäischer Impfstoffhersteller in Berlin beschäftigte
sich daher nicht nur mit wissenschaftlichen, sondern auch
mit politischen Fragestellungen.
Eine Vereinheitlichung der Impfbestimmungen innerhalb der
Europäischen Union wäre wünschenswert, so wurde auf
der Konferenz betont. Die Gefährlichkeit einzelner
Krankheiten wird zwar in den Mitgliedsstaaten ähnlich
eingestuft, aber die Empfehlungen zu Zeitraum und Anzahl
der Auffrischimpfungen variieren. Darüber hinaus gibt es
in manchen Ländern nicht nur Impfempfehlungen, sondern
eine gesetzlich vorgeschriebene Impfpflicht für
bestimmte Krankheiten. Italien beispielsweise schreibt
seit 1992 eine Hepatitis B-Impfung vor.
Impfaufklärung besser als Impfpflicht
Verena Butalikakis, Staatssekretärin für Gesundheit und
Soziales im Berliner Senat, sprach sich gegen die
Impfpflicht aus. Werbung und Aufklärung könnten
ebenfalls sehr effektiv sein, solange es sich nicht um
"hausbackene Zeigefingerkampagnen" handele. Dr.
David Salisbury vom Department of Health in London
stellte mehrere Fernseh-Werbespots vor, die in
dramatischer Weise mit Protagonisten wie schluchzenden
Müttern oder Puppen die Gefahren von Masern oder
Hämophilus-Infektionen darstellen. Plakate mit Slogans
wie "Grippe, Kater oder Meningitis? - Beobachte
Deinen Freund." sollen auch bei Jugendlichen das
Bewußtsein für eventuell gefährliche Symptome
schärfen.
Noch wird der Impfstatus bei 80 Prozent aller Arztbesuche
nicht automatisch überprüft. Diese Möglichkeit der
Kontrolle sollte jedoch nach Ansicht von Butalikakis
eingeführt werden. Umfragen zufolge genießt der Arzt
außerdem in der Impfberatung das größte Vertrauen der
Patienten. Ihm kommt also nicht nur aus logistischen
Gründen eine Schlüsselrolle zu.
Meist sei ein Impfschutz schwächer als der natürliche
Schutz nach durchgestandener Krankheit, erklärte Dr.
Elisabeth Bouvet vom Hôpital Bichat in Paris. Die
nötigen Auffrischimpfungen werden aber im späteren
Lebensalter oft vernachlässigt. Die Häufigkeit von
Windpocken beispielsweise ging zwar dank der Impfungen
bei den 5- bis 14jährigen zurück, stieg jedoch
gleichzeitig bei Heranwachsenden und Erwachsenen an.
18jährige haben zu 90 Prozent einen ausreichenden
Impfschutz gegen Tetanus, unter den 80jährigen sind es
nur noch 50 Prozent. Gegen Polio sei kaum noch einer der
Senioren geschützt.
Masern, Mumps und Röteln sollten mindestens einmal
aufgefrischt werden, Tetanus und Diphtherie nach wie vor
alle zehn Jahre, empfahl Professor Dr. Max Just vom
Kinderkrankenhaus in Basel. Die Bedeutung eines
ausreichenden Diphtherie-Impfschutzes wurde durch den
Ausbruch der Epidemie in Rußland erneut bestätigt. Erst
seit die Weltgesundheitsorganisation 1995 mit einem
konsequenten Impfprogramm intervenierte, ist die
Krankheit zurückgegangen.
Natürliche Immunabwehr altert mit
Nicht nur der Impfschutz nimmt mit dem Alter ab, auch die
natürliche Immunabwehr läßt nach: Professorin Dr.
Beatrix Grubeck-Loebenstein von der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften in Innsbruck stellte fest,
daß sich Bildung und Funktion der T-Zellen im Alter
verändern. Die Reifung im Thymusgewebe ist gestört, die
Reaktivität auf Stimuli nimmt ab, und apoptotische
Vorgänge werden früher eingeleitet. Bestimmte
T-Zell-Klone vermehren sich auf Kosten anderer, wodurch
die Variabilität der Abwehr gegen verschiedene
Virus-Stämme eingeschränkt wird. Indirekt ist auch die
Funktion der B-Zellen betroffen.
Die Ergebnisse erklären, weshalb der Anteil älterer
Patienten bei Erkrankungen wie Grippe, Herpes zoster oder
Pneumokokken-Infektionen so hoch ist. Die Grippe-Impfung
älterer Menschen gehört in der Bundesrepublik zu den
Empfehlungen der ständigen Impfkommission. Länder wie
England, Belgien oder Schweden führen auch vermehrt
Pneumokokken-Impfungen durch.
Viele Todesfälle
nicht nötig
Infektionskrankheiten sind weltweit immer noch die
Todesursache Nummer eins. Allein neun Millionen Kinder
sterben jährlich an Infektionen, vor allem Malaria und
Durchfallerkrankungen. Ein Viertel der Kinder, betonte
Professor Sir Gustav Nossal vom Walter and Eliza Hall
Institute of Medical Research, Melbourne, stirbt jedoch
immer noch an Masern, Keuchhusten oder Tetanus -
Krankheiten also, gegen die es eigentlich Impfstoffe
gibt.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin
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