Neue Enzymhemmstoffe ergänzen die Therapie |
01.02.1999 00:00 Uhr |
Die Aids-Therapie ändert sich laufend. Die 6. Münchner Aids-Tage im Juli 1997 waren geprägt von dem Eindruck "teilweise erdrutschartiger Erfolge" der neuen Protease-Inhibitoren. Ende Januar ging es bei den 7. Aids-Tagen unter anderem um Feinheiten der virustatischen Therapie wie Resistenzmessung, Pharmakokinetik, Compliance oder Vermeidung von Langzeitnebenwirkungen. Die Lehrmeinung "Hit hard and early" ist nicht mehr unumstritten.
Dank medikamentöser Behandlungserfolge leben Aids-Kranke in den Indutrienationen heute länger. Doch trotz einer "highly active antiretroviral therapy" - HAART - ist die Infektion bis heute nicht heilbar, und das Virus kann nicht eradiziert werden. Bei einer verbleibenden Lebenserwartung von 10 bis 20 Jahren "empfehlen wir unseren Patienten, ihre Lebensplanung so zu führen wie ohne HIV", sagte der Münchner Aids-Spezialist Dr. Hans Jäger. Zu den Münchner Aids-Tagen vom 29. bis 31. Januar kamen etwa 1800 Teilnehmer in die bayerische Landeshauptstadt.
Jäger meldete Zweifel an der geltenden Lehrmeinung an: "Der ganz frühe Beginn einer antiretroviralen Therapie ist wahrscheinlich nicht für jeden Patienten das beste." Er tendiere dazu, nicht so früh und nicht so scharf zu therapieren. Doch wenn behandelt wird, dann mit einer Dreifachkombination - meist ein Proteasehemmer und zwei nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer. Welche Medikamente zur Ersttherapie gehören, ist nach wie vor umstritten. Substanzen oder Substanzklassen zu sparen, um Langzeitnebenwirkungen einzugrenzen und wirksame Therapieoptionen "für später" zurückzuhalten, erscheint vielen Ärzten sinnvoll (1).
In Deutschland verläuft die HIV-Epidemie relativ stabil, während sie sich weltweit dagegen rasant ausbreitet. Man rechnet mit 33 Millionen HIV-infizierten Menschen; 5,8 Millionen steckten sich 1998 neu an. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts leben in Deutschland etwa 37.000 Infizierte, sagte Dr. Osamah Hamouda vom Aids-Zentrum des RKI.
Während die Zahl der Aids-Erkrankungen und -Todesfälle auf einen historischen Tiefstand sinkt, gebe es keine Hinweise für einen Rückgang der Neuinfektionen. Hamouda: "Damit treten wir in eine neue Phase ein: Je besser wir die Infektion behandeln können, umso stärker steigt die Zahl der HIV-Patienten."
Wer steckt sich mit der Immunschwächekrankheit an? Die größte Gruppe - etwa die Hälfte der Neuinfizierten - sind laut Hanouda homo- oder bisexuelle Männer. Etwa 17 Prozent infizieren sich auf heterosexuellem Weg, etwas größer ist der Anteil der neuinfizierten Personen aus Hochprävalenzgebieten. Intravenöser Drogengebrauch stellt ebenfalls ein bedeutendes Risiko dar (14 Prozent). 1998 waren etwa 22 Prozent der Neuinfizierten Frauen.
Neuer NNRT-Inhibitor Efavirenz
Als erster Vertreter der nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) wurde in Deutschland Nevirapin zugelassen. Die Vertreter dieser Stoffgruppe blockieren nicht-kompetitiv das für die Virusvermehrung notwendige Enzym Reverse Transkriptase (2). In den Startlöchern - sprich bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA - steht Efavirenz (DMP-266), dem eines der zwölf Satellitensymposien gewidmet war. Nach Aussagen des Herstellers DuPont Pharma soll es noch in diesem Jahr auf den deutschen Markt kommen. Seine Pluspunkte: einmal tägliche Gabe und gute Liquorgängigkeit.
DMP-266 ist unter dem Namen Sustiva in den USA zugelassen zur Kombitherapie der HIV-1-Infektion (Kapseln mit 50, 100 und 200 mg) (3, 4). Dank einer Halbwertszeit von 40 bis 55 Stunden nach Mehrfachgabe genügt die einmal tägliche Einnahme unabhängig von den Mahlzeiten (600 mg). Die Bioverfügbarkeit soll etwa 50 Prozent betragen. Efavirenz bindet stark an Plasmaproteine. Die Liquorkonzentrationen sind etwa dreimal höher als die des freien Anteils im Plasma.
Die neue Substanz interagiert mit zahlreichen Arzneistoffen, da sie die Aktivität des Cytochrom-P450-Isoenzyms 3A4 anregt. Damit beschleunigt Efavirenz nicht nur seinen eigenen Abbau zu inaktiven Metaboliten, sondern auch den der Protease-Inhibitoren Indinavir und Amprenavir sowie von Clarithromycin. Dagegen wird die Konzentration von Nelfinavir erhöht. Das Tuberkulose-Medikament Rifampicin beschleunigt den Abbau von Efavirenz.
Eine Dreifachkombination mit Efavirenz ist effektiver als andere Therapieregime. Dies zeigte Dr. Christian Rottmann, Frankfurt, anhand der 24- und 36-Wochen-Daten der Studie DMP266-006. 450 Patienten erhielten in dieser dreiarmigen Phase-III-Studie entweder Efavirenz plus Indinavir oder Efavirenz plus Zidovudin plus Lamivudin (3TC) oder Indinavir plus Zidovudin plus 3TC.
Nach 24 Wochen hatten rund 63 Prozent, 76 Prozent und 72 Prozent der Patienten weniger als 50 HIV-1-RNA-Kopien pro ml Plasma. Nach 36 Wochen hatten drei Viertel der Patienten mit der Efavirenz-Dreifachkombination weniger als 400 Kopien/ml (64 Prozent unter 50 Kopien/ml); in den beiden anderen Gruppen erreichten jeweils 20 Prozent weniger diese Ziele, sagte Rottmann. Die CD4-Zellzahlen nahmen in allen drei Gruppen vergleichbar zu. Auffälliger Nebeneffekt: Die HDL-Spiegel stiegen unter Efavirenz um beachtliche 15 mg/dl an.
Wie alle potenten Stoffe ist auch Efavirenz nicht frei von Nebenwirkungen. Die häufigsten sind zentralnervöse Störungen und Hautausschläge. Zwischen 45 und 50 Prozent(!) der Patienten entwickeln im ersten Monat ZNS-Symptome wie Schwindel, heftige Träume, Kopfschmerzen, Konzentrations- und Schlafstörungen. Diese sind meistens mild und verschwinden nach zwei bis vier Wochen, erklärte Dr. Graeme Moyle vom Chelsea Westminster Hospital in London. Unbedingt sollte man die Patienten aufklären und sie vor dem Auto fahren oder dem bedienen von Maschinen warnen, sagte Moyle. Weiterer Tip: Tagesdosis abends einnehmen.
Ebenfalls häufig (in Studien 27 Prozent) sind Hautausschläge, die nach 11 bis 14 Tagen auftreten und in der Regel nach zwei Wochen verschwinden. Etwa 2 bis 3 Prozent der Patienten brachen die Therapie wegen dieser Nebenwirkungen ab.
Delavirdin wirkt synergistisch
Der dritte NNRTIs ist Delavirdin, das seit März 1997 in den USA und seit Juli 1998 in Kanada zugelassen ist (Rescriptor, 100 mg)(5). Auch dieser Arzneistoff ist nur als Kombinationspartner geeignet und wirkt synergistisch mit nukleosidischen RTIs wie Zidovudin und Lamivudin. Seine Pluspunkte: Delavirdin ist wasserlöslich und erhöht die Serumspiegel von Protease-Inhibitoren.
Delavirdin ist nach oraler Gabe zu 80 bis 85 Prozent bioverfügbar und wird zu 98 Prozent an Plasmaproteine gebunden (3, 5). Die Resorption sinkt jedoch bei einem Magen-pH-Wert über 3; daher sollte das Arzneimittel nüchtern und nicht zusammen mit Antacida oder H2-Rezeptorantagonisten eingenommen werden. Die Halbwertszeit schwankt individuell und dosisabhängig stark und beträgt bei der Standarddosierung von dreimal 400 mg zwischen 2 und 11 Stunden (im Mittel 6 Stunden).
Anders als die beiden anderen NNRTIs Efavirenz und Nevirapin hemmt Delavirdin das Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 und damit den Abbau verschiedener Stoffe (2,3,5). So können die Serumspiegel und damit die Toxizität von Benzodiazepinen, Astemizol, Calcium-antagonisten vom Nifedipin-Typ oder Ergotalkaloiden steigen. Umgekehrt können Stoffe wie Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin oder Rifabutin die Plasmaspiegel von Delavirdin deutlich senken.
Diese Cytochrom-Effekte kann man therapeutisch nutzen. Delavirdin erhöht die Plasmaspiegel von Protease-Hemmern erheblich: Indinavir und Nelfinavir plus 100 bis 150 Prozent, Ritonavir plus 70 Prozent, Saquinavir plus 400 bis 500 Prozent. Möglicherweise kann man durch die Kombination Protease-Inhibitoren einsparen und damit die Compliance verbessern.
Auch hier gibt es Licht und Schatten: Noch häufiger als bei Efavirenz, nämlich bei etwa 30 Prozent der Patienten, tritt ein Exanthem auf, sagte Dr. Graeme Boyle bei einem Satellitensymposium in München. Der Hautausschlag erscheint in der ersten bis dritten Therapiewoche und kann symptomatisch mit Antihistaminika und Corticosteroiden behandelt werden. In den meisten Fällen kann die Therapie fortgeführt oder wieder begonnen werden. Weitere Nebenwirkungen: Übelkeit, Müdigkeit und Lebertoxizität.
Literatur
© 1999 GOVI-Verlag
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