Medizin wird individueller und präziser |
Brigitte M. Gensthaler |
23.12.2024 13:35 Uhr |
Die Medizin der Zukunft wird immer präziser und individueller werden, aber auch die Prävention wird größeren Stellenwert bekommen. / © Adobe Stock/RFBSIP
Digitalisierung, patientenindividuelle Therapie, Zell- und Gentherapie sowie One Health: Megatrends in der Medizin stellte Jochen Maas, Vizepräsident des House of Pharma & Healthcare, Frankfurt, bei der Pharmazeutischen Tafelrunde der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg am 17. Dezember in Stuttgart vor. »Die Prävention wird immer wichtiger und die Therapie immer individueller und stratifizierter.«
Dass Apotheker bereit sind für Veränderungen, die sinnvoll für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem sind, hatte einleitend Kammerpräsident Dr. Martin Braun betont. »Aber Konzepte, die das Apothekennetz gefährdet, lehnen wir ab. Wir wollen die Apotheke vor Ort flächendeckend erhalten.« Er plädierte dafür, die heilberuflichen Ressourcen zusammenzutragen und besser einzusetzen, »sonst wird es sehr schwierig, vor allem für die ältere Generation«. Apotheker könnten mit ihrer Kompetenz die Ärzte und das Gesundheitssystem entlasten, wollten aber auch ihre soziale Kompetenz einbringen, so Braun. »Menschliche Interaktion wird auch in 100 Jahren nötig sein und kann nie durch Callcenter und KI ersetzt werden.«
Künstliche Intelligenz, synthetische Biologie und die »Sensorisierung« hätten enorm an Bedeutung gewonnen. Gerade Letztere werde die Prävention vorantreiben, ist Maas überzeugt. So gebe es bereits Toiletten, die die Ausscheidungen überprüfen und Alarm schlagen, wenn etwas nicht stimmt. In den USA gebe es einen Kühlschrank, bei dem man morgens einprogrammiert, wie viele Kalorien man tagsüber aufnehmen will; ist das Maß verbraucht, wird die Tür abgesperrt.
Professor Dr. Jochen Maas bei der Pharmazeutischen Tafelrunde der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg / © LAK BaWü/Elias Hoh
Der Forscher sieht in der individuellen Präzisionsmedizin einen Zukunftstrend. »Wir wollen hin zur individuellen Therapie.« Bislang gebe es eher die stratifizierte Therapie, bei der Patienten mit gleicher Erkrankung anhand eines genotypischen Merkmals in Subgruppen unterteilt und entsprechend behandelt werden. Prominentes Beispiel ist der Antikörper Trastuzumab für Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs. Diese Strategie ist hoch effektiv. »Mit Antikörper-Drug-Konjugaten und Vakzinen werden bis 2028/29 viele – nicht alle – Tumoren zur chronischen Krankheit werden«, prognostizierte Maas.
Tests auf CYP2D6-Polymorphismen hält der Biologe auch für Apotheken für wichtig, zum Beispiel für Patienten mit Antidepressiva. Apotheken könnten ihnen einen Speicheltest anbieten, der Metabolisierungs-relevante Polymorphismen erkennt. Dann könne man gegebenenfalls die Dosierung oder den Wirkstoff anpassen.
Großes Potenzial sieht er in der Gentherapie. In Deutschland finde »eine hervorragende Grundlagenforschung in der Gentherapie« statt, aber klinische Studien liefen ganz überwiegend in China und den USA. »Irgendwann werden wir zum Technologiemuseum für diese Länder.« Mehr Technologieoffenheit würde Deutschland guttun, denn »ohne Gentechnik hätten wir heute noch keinen Corona-Impfstoff«, sagte der Wissenschaftler.
Die erste CRISPR/Cas9-basierte Gentherapie gegen Thalassämie und Sichelzellanämie ist bereits in der EU zugelassen. Dass die Patienten nach der Behandlung geheilt sind, müsse man bei der Kostendiskussion beachten.
In Deutschland werde oft mehr über Risiken als über Chancen diskutiert, monierte Maas. Tatsächlich sei noch nichts bekannt über Langzeitfolgen einer Gentherapie. Und es gebe ethische Bedenken: Darf man den Menschen gentherapeutisch optimieren, wenn es einmal diese Möglichkeit gäbe?
Abschließend erinnerte der Referent an das One-Health-Konzept. »Es gibt nur eine Gesundheit, nicht mehrere.« Die Klimaforschung sollte intensiviert werden, denn Vektoren von Malaria und Denguefieber könnten inzwischen in Deutschland überleben und neue Pflanzen brächten neue Allergene und Allergien. In diesem Zusammenhang plädierte Maas dringend für eine fakultätsübergreifende Forschung.