Medikationslisten sollen Komplikationen verhindern |
Lukas Brockfeld |
26.06.2024 14:00 Uhr |
Gesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte am Dienstag die Vorteile der geplanten ePA. / Foto: PZ/Lukas Brockfeld
Nach dem E-Rezept steht das nächste große Digitalisierungsprojekt der Bundesregierung in den Startlöchern. Im kommenden Jahr soll für 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland eine elektronische Patientenakte eingerichtet werden. Für die Bürgerinnen und Bürger erfolgt das Anlegen der Akte automatisch, sie haben allerdings die Möglichkeit, der ePA zu widersprechen (Opt-out Lösung). Die ePA kann in Arztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken über die elektronische Gesundheitskarte (EGK) aufgerufen werden. Die Patienten haben außerdem die Möglichkeit, ihre ePA über die Krankenkassen-App einzusehen und zu bearbeiten.
Da die Gesundheitsakte sensible Daten enthält, müssen sich die Patienten vor der ersten Anmeldung mit ihrem elektronischen Personalausweis und der dazugehörigen PIN oder der EGK mit PIN authentifizieren. Alternativ soll eine erste Authentifizierung auch in der Apotheke möglich werden. Die PIN für die EGK wird meist per Post von den Versicherungen an die Versicherten übermittelt. Hierfür müssen die Versicherten in einer Postfiliale ihre Identität mit einem Reisepass oder einem Personalausweis nachweisen. Zukünftig soll auch die Authentifizierung für das Beantragen der PIN in der Apotheke möglich werden.
Die ePA soll unter anderem Medikationslisten, Befundberichte, Arzt- und Entlassungsbriefe, Labordaten und Abrechnungsdaten enthalten. Für Ärzte und Krankenhäuser wird das Befüllen der ePA verpflichtend. Dafür erhalten Sie, solange der Patient nicht widerspricht, mit dem Lesen der EGK für 90 Tage Zugriff auf die Akte. Patienten haben außerdem die Möglichkeit, zum Beispiel ihrem Hausarzt einen dauerhaften Zugriff freizuschalten. Apotheken dürfen standardmäßig für drei Tage auf die ePA ihrer Kunden zugreifen.
Die Medikationslisten werden automatisch mit den Daten des E-Rezepts befüllt. Die ePA erfasst sowohl das Ausstellen als auch das Einlösen des Rezepts. Ab Juli 2025 sollen Apotheken außerdem die Möglichkeit erhalten, auf Wunsch der Patienten nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Akte zu ergänzen. Die Patienten erhalten die Option, ihre gesamte Medikationsliste zu löschen. Es wird allerdings nicht möglich sein, gezielt einzelne Verschreibungen zu löschen. So soll die Aussagekraft der Medikationslisten gewährleistet bleiben.
Die Patientinnen und Patienten bekommen die Möglichkeit, über die Krankenkassen-App selbst Dokumente, zum Beispiel von älteren Befunden, in ihrer ePA zu ergänzen. Außerdem können sie dem Hochladen bestimmter Daten widersprechen. Zum Schutz der Privatsphäre wird es zusätzlich möglich, den Zugriff zeitlich und inhaltlich zu begrenzen. Die Patienten können bestimmte Ärzte auch gänzlich vom Zugriff auf die ePA ausschließen.
Um die sensiblen Gesundheitsdaten vor unerlaubten Zugriffen zu schützen, werden sie verschlüsselt auf Servern innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) gespeichert. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Komponenten erfolgt immer mit einer Ende-zu-Ende Verschlüsselung. Die einzelnen Daten werden getrennt gelagert, um einen Einbruch in den gesamten deutschen Datensatz zu verhindern. Es soll sichergestellt werden, dass nur die Patienten und die Gesundheitseinrichtungen auf die ePA zugreifen können. Die Krankenkassen werden vom Zugriff ausgeschlossen.
Die Daten der ePA sollen außerdem in der medizinischen Forschung eingesetzt werden. Das BMG spricht hier von einem »enormen Potential für die Verbesserung der Versorgung«. Die Inhalte der Patientenakte sollen daher pseudonymisiert an das Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weitergeleitet werden. Die Patienten bekommen die Möglichkeit, der Weiterleitung der Daten zu widersprechen. Forschende, die die Daten nutzen wollen, müssen einen entsprechenden Antrag beim FDZ stellen. Die Daten sollen ab Juli 2025 verfügbar werden.
Zur Zeit wird im BMG noch an der ePA gearbeitet. Im Oktober will das Ministerium damit anfangen, die breite Öffentlichkeit, zum Beispiel mit Plakaten und Anzeigen, über die elektronische Patientenakte aufzuklären. Ab dem 15. Januar sollen die Patientenakten für vier Wochen in den Modellregionen Franken und Hamburg getestet werden. Anschließend soll die ePA in ganz Deutschland zur Verfügung stehen.
Andere Digitalisierungsprojekte legten in der Vergangenheit holprige Starts hin. Sebastian Zilch, der im BMG unter anderem für die Gematik und die TI verantwortlich ist, versprach daher auf einem Presseseminar am Dienstag: »Wenn wir nach den vier Wochen feststellen sollten, dass wir noch nicht an dem Punkt sind, wo wir die ePA bundesweit skalieren können, dann werden wir das auch nicht machen.«
Man habe außerdem aus den Erfahrungen des E-Rezept-Rollouts gelernt und darauf geachtet, Fehlerquellen zu reduzieren. »Die elektronische Patientenakte und die Medikationsliste wurden bewusst so designt, dass die Relevanz der Primärsysteme reduziert wurde. Die Medikationsliste wird durch die unmittelbare Kopplung mit dem E-Rezept befüllt. Sie brauchen dafür nicht zwangsläufig das PVS und sie brauchen auch keine super gut integrierte EPA«, erklärte Zilch.
Doch wozu der Aufwand? Die ePA soll es den behandelnden Ärzten ermöglichen, schnell und verlässlich alle relevanten Gesundheitsinformationen der Patienten zu bekommen. So ließe sich die Arbeit des Arztes erleichtern und die Qualität der Behandlungen verbessern.
Auch die Medikationslisten könnten die Sicherheit der Patienten deutlich verbessern. Susanne Ozegowski ist Abteilungsleiterin für »Digitalisierung und Innovation« im Gesundheitsministerium und erzählte auf dem Presseseminar von einer Studie aus dem Jahr 2019: »Die Autoren haben 10.000 Krankenhauseinweisungen untersucht und festgestellt, dass 6,5 Prozent der Einweisungen auf unerwünschte Arzneimittelereignisse zurückgehen. Andere Studien gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der unerwünschten Arzneimittelereignisse vermeidbar wären«, erklärte die Abteilungsleiterin.
Wenn es gelänge, 80 Prozent der Versicherten mit einer ePA auszustatten, ließen sich allein durch die Medikationslisten etwa 500 000 Krankenhauseinweisungen pro Jahr vermeiden. Ozegowski wies allerdings darauf hin, dass es sich nur um grobe Schätzungen handelt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ging am Dienstag noch einen Schritt weiter und sprach von den Chancen, die künstliche Intelligenz (KI) in Kombination mit der ePA biete. In naher Zukunft könnten KI-Anwendungen das Niveau hochspezialisierter Fachärzte erreichen und dabei helfen, die Daten in der ePA auszuwerten. »Man hat dann enorm gute Ärzte jederzeit um sich herum und kann sich Dinge erklären lassen. Das wird zu einem ganz anderen Verständnis der Menschen, was Gesundheit und Krankheit angeht, führen«, so Lauterbach.
Auch die durch die ePA gewonnen Daten haben laut Lauterbach ein enormes Potential für den Forschungsstandort Deutschland. »Wir wollen Deutschland als einen Forschungsweltmeister aufbauen. Dazu haben wir die Kombination mit einmaliger Datenstruktur, einmaliger Datenauswertbarkeit und KI-Training«, schwärmte der Gesundheitsminister. Schon heute sähe man daher erhebliche Investitionen, die Pharmaunternehmen aus aller Welt in der Bundesrepublik tätigen.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.