Medikament weg, Vertrauen weg, Mitarbeiter weg |
Jennifer Evans |
31.01.2025 14:00 Uhr |
Europas Apothekenteams sind am Limit: Der Frust und die Arbeit, die durch anhaltenden Arzneimittelmangel entstehen, machen ihnen zu schaffen. / © Adobe Stock/auremar
Im Jahr 2024 waren weiterhin alle europäischen Länder von Medikamentenknappheit betroffen. Zudem berichten 61 Prozent der insgesamt 28 befragten Länder, dass sich die Situation im Vergleich zur Vorjahresumfrage nicht verbessert hat. Der Dachverband der europäischen Apothekerverbände PGEU spricht von einem »besorgniserregenden Trend«.
Die Apothekenteams verbringen dem Bericht zufolge inzwischen dreimal so viel Zeit mit dem Engpass-Management als noch vor zehn Jahren, nämlich nun im Schnitt fast elf Stunden pro Woche. Das reduziere nicht nur die Ressourcen für andere wichtige Gesundheitsdienste, sondern verspiele auch das Vertrauen der Patientinnen und Patienten, so die Kritik des Dachverbands.
»Wir haben einen Dauerzustand erreicht, der für Patienten, Apotheker und Verordner inakzeptabel ist«, betonte die PGEU-Präsidentin Clare Fitzell. Schließlich stehe hinter jedem Medikamentenmangel ein besorgter Patient sowie eine fleißige Apothekerin oder ein fleißiger Apotheker, der nach alternativen Lösungen suche.
Am häufigsten haben – wie im Vorjahr auch – fehlten Medikamente für das Herz-Kreislauf-System, Antiinfektiva sowie Arzneimittel für das Nervensystem. Außerdem berichteten 64 Prozent der befragten Länder von Engpässen bei Medizinprodukten aus allen Kategorien. Generell haben die Apotheken aber das Gefühl, dass zumindest die Anzahl der Engpässe inzwischen etwas geringer geworden ist. Aber: Die Behebung der Probleme nimmt ihrer Einschätzung nach mittlerweile mehr Zeit in Anspruch, weil immer weniger Alternativen zur Verfügung stehen.
Fitzell begrüßt zwar, dass einige Länder es den Offizinen inzwischen erleichtern, indem sie Substitution, Herstellung oder Anpassung von Dosierungen ermöglichen und so das Fachwissen der Pharmazeutinnen und Pharmazeuten stärker nutzen. Aber ihrer Ansicht nach könnte die Umsetzung weiterer Kompetenzerweiterungen deutlich schneller gehen: »Apotheker können so viel mehr tun, wenn ihnen die notwendigen Instrumente, Möglichkeiten und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden«, stellte sie klar.
Die Engpässe sind laut Report in allen Ländern gleichermaßen ein großes Ärgernis für die Patientinnen und Patienten. Als gravierendste Folgen nennen die Umfrageteilnehmer eine Behandlungsunterbrechung (82 Prozent), höhere Zuzahlungen aufgrund teurerer oder nicht erstattungsfähiger Alternativen (61 Prozent) sowie ein geringeres Vertrauen in Arzneimittel, Apotheken und das gesamte Gesundheitssystem (61 Prozent).
Auch die Mitarbeitenden in den Apothekenteams belastet die angespannte Versorgungssituation zunehmend. Durch den gestiegenen Zeit- und Energieaufwand sowie die erhöhten administrativen Anforderungen sind sie weniger zufrieden in ihrem Job, wie der Report belegt.
An die Ergebnisse der Umfrage knüpft die PGEU auch eine Reihe politischer Forderungen für den Berufsstand. Demnach sollten die Regierungen in Zukunft stets die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in den Vordergrund stellen, wenn sie nationale Gesetze beschließen. Ziel sollte es sein, »eine rechtzeitige und angemessene Versorgung« mit Arzneimitteln sicherzustellen. Diese Grundsätze sollten ebenfalls Vorrang vor kommerziellen Interessen haben.
Außerdem müssten politische Entscheidungsträger bedenken, welche Auswirkungen die Preispolitik auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sowie sichere Lieferketten hat. Als unabdingbar erachtet die PGEU zudem, alsbald die Fachkompetenz des Berufsstands zu erweitern, um im Fall von Engpässen eine kontinuierliche Behandlung zu gewährleisten. Dazu gehört nach Auffassung der Organisation ebenfalls eine sichere elektronische Zwei-Wege-Kommunikation zwischen Apotheken und Arztpraxen.
Auf europäischer Ebene fordert die PGEU eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Arzneimittelagentur – EMA. Hintergrund ist, die Berichterstattung, Überwachung und Kommunikation zu Arzneimittelengpässen ständig zu verbessern. Und auch auf nationaler Ebene müssten Strukturen stehen, über die ein zeitnaher Austausch zwischen allen Akteuren der Lieferkette sowie den zuständigen Behörden möglich sei, heißt es.
Im Zuge dessen müssten alle Beteiligten der Lieferkette einen gleichberechtigen Zugang zu relevanten und verfügbaren Informationen haben, um die Menschen in ganz Europa bestmöglich schützen zu können, so die Forderung. Nicht zuletzt sollte das Engpass-Management in allen EU-Ländern entsprechend gewürdigt und honoriert werden.