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Wahnsinns-Bilder

04.04.2005  00:00 Uhr
Museum der anderen Art

Wahnsinns-Bilder

von Ulrike Abel-Wanek, Heidelberg

Der »Irre« ist eine der wichtigsten Figuren im Expressionismus. Beeindruckende Werke, die den »Wahnsinn« thematisieren sind noch bis 19. Juni 2005 in der Sammlung Prinzhorn der Heidelberger Universitätsklinik zu sehen. Bildern berühmter Maler wie Kirchner, Heckel, Kubin und Dix sind zeitgleich entstandene Werke psychisch Kranker gegenübergestellt.

Der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn sammelte in den Jahren 1919 bis 1922 über 5000 Arbeiten von etwa 450 Patienten psychiatrischer Anstalten aus Deutschland und Europa. Prinzhorn war Assistent an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg. Deren Leiter, Karl Wilmanns, hatte ihn beauftragt, eine bereits bestehende kleine Kollektion künstlerischer Arbeiten von Patienten mit Werken aus anderen Anstalten zu erweitern. In den Archiven fast aller psychiatrischen Kliniken befanden sich zu dieser Zeit ähnliche Sammlungen wie in Heidelberg. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitstudie entstand Prinzhorns berühmtes Buch über die »Bildnerei der Geisteskranken«, das dieses Gebiet erstmals einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machte.

Die Sammlung sollte zu einem Museum ausgebaut werden, um die Bedeutung dieser Kunstform zu dokumentieren. Stattdessen wurde sie ab 1937 in der NS-Ausstellung »Entartete Kunst« als pathologischer Beweis gegen die Kunst der Moderne instrumentalisiert. »Die nationalsozialistischen Regisseure der damaligen Ausstellung beschimpften die vorgeführten Künstler nicht nur als Irrsinnige und Psychopathen. Auf den späteren Stationen dieser Schau versuchten sie, die Verunglimpfung noch zu steigern, indem sie expressionistische und abstrakte Bilder sowie Skulpturen neben künstlerische Werke psychisch Kranker stellten (...). Obwohl die Verleumdungskampagne mehr als 60 Jahre zurückliegt, fürchten einige noch heute, dass eine Thematisierung der Beziehung zwischen Expressionismus und Wahnsinn gefährlich sein und ewig Gestrige in ihren Vorurteilen bestätigen könnte. Die Ausstellung ist mit großem Vertrauen in die Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft zeitgenössischer Kunstbetrachter zusammengestellt worden«, sagt Herwig Guratzsch, Herausgeber des Ausstellungskatalogs.

Der »Irre« in der Kunst stand im extremen Kontrast zur Normalität des von den Expressionisten gehassten Bürgertums. Bildende Künstler, Dichter und Schriftsteller der Zeit thematisierten in ihren Werken den »Wahnsinn«. Seelisches Leid, fremdartiges Fühlen und Denken hatten eine hohe Anziehungskraft, man suchte nach verdrängten Gedanken und unbewussten Gefühlen und bannte sie auf Papier und Leinwand. Die Künstler konfrontierten ihr Publikum mit mitfühlenden, aber auch erschreckenden Darstellungen von »Verrückten«. »Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar«, sagte Paul Klee.

Kunst und Psychiatrie verquickt

Die Wege der Kunst- und Psychiatriegeschichte kreuzten sich in der Zeit von 1900 bis etwa 1940 immer wieder. Am Anfang stand die Entdeckung der Patienten durch die Künstler. Sie identifizierten sich mit den »Außenseitern« der Gesellschaft, gingen in die Anstalten und zeichneten sie. Manche stellten sie in ihren Werken verklärt als rauschhaft glücklich dar, andere betonten ihr Leiden. Stark beeinflusst wurden diese Darstellungen von literarischen Werken, beispielsweise Büchners, Dostojewskis oder Nietzsches. Psychiater bemühten sich anfangs intensiv um eine Annäherung an die Maler und luden sie ausdrücklich in ihre Anstalten ein. Noch vor den Nazis begannen jedoch auch von Seiten einiger Ärzte Diffamierungskampagnen, die die Künstler der Moderne selber zu »Irren« abstempelten.

Nicht nur in der Literatur und Kunstgeschichte fanden die Maler Vorlagen für ihre Werke. Psychisch Kranke waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr präsent. Seit Ende des 19. Jahrhunderts stieg ihre Zahl in deutschen Anstalten stark an. Immer weniger Familien waren wirtschaftlich in der Lage, ihre kranken Angehörigen zu Hause zu versorgen. Außerdem wurde abweichendes und störendes Verhalten in der zunehmend durchorganisierten und -rationalisierten Industriegesellschaft weniger toleriert. Es kam zur Überfüllung der Kliniken und Überlastung des Personals, die »Irrenhäuser« gerieten in Verruf. Nicht zuletzt die zum Teil menschenverachtende Umgangsweise mit kriegsverletzten und -traumatisierten Soldaten des Ersten Weltkriegs motivierten die Künstler zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema in ihren Werken. Max Beckmann und Ernst Ludwig Kirchner standen selber unter starkem Eindruck eigener Kriegserlebnisse.

Die Ausstellung »Expressionismus und Wahnsinn« in Heidelberg zeigt über 90 Werke. Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken illustrieren eindringlich, in welcher Weise sich Expressionisten mit dem Thema »Wahnsinn« auseinandergesetzt haben.

Erich Heckel stellt das Moment der räumlichen Isolation mit aufgerissenen Augen, starren Körpern und hartkantigen Strukturen heraus. Christian Schad sucht nicht nach Krankheitsbildern, sondern die Individualität seiner Modelle: Mit dem betrübt wirkenden Patienten »In der Wanne« von 1918 hatte er sich angefreundet. »Der große Irre mit der Fahne« ist hingegen unschwer als Antikriegsbild zu erkennen. So wird der seelisch verwundete »Irre« auch Bedeutungsträger des kollektiven Wahnsinns im Ersten Weltkrieg: etwa bei Otto Dix und Conrad Felixmüller.

Patienten als Künstler

Auch die Patienten sind als Künstler in die Ausstellung eingebunden. Sie waren zum Teil künstlerisch gebildet und setzten ihre Arbeit in der Anstalt fort. Bleistiftzeichnungen und gestische Schriftzeichen des Mannheimer Schuhmachers Johann Faulhaber beispielsweise erinnern an die düstere Bildwelt Alfred Kubins. Auch als Psychiatriepatienten nahmen die »Patienten-Künstler« zum Teil aktiv am öffentlichen Kunstleben teil.

Der Gegenüberstellung Ernst Ludwig Kirchners mit der Patientin Else Blankenhorn ist ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung gewidmet. Existenzangst und Verlassenheitsgefühle sucht Kirchner 1913 mit Alkohol und Drogen zu übertünchen. Beim Militärdienst 1915 bricht er zusammen und hält sich bis 1918 mit wechselnden Diagnosen in verschiedenen Sanatorien auf. 1917 sieht er zum ersten Mal die Bilder der Mitpatientin Else Blankenhorn und ist begeistert. Fasziniert beschreibt er ihr Werk in Briefen und Skizzenbüchern. Ihre Gemälde beeinflussen sein eigenes künstlerisches Schaffen. Kirchner und andere Künstler distanzieren sich aber schon in den zwanziger und dreißiger Jahren von den psychiatrischen Außenseitern aus Angst, selber als geisteskrank angesehen zu werden. Dass ihre Ängste berechtigt waren, zeigte die weitere Entwicklung unter den Nationalsozialisten. Schon früh warnte Prinzhorn vor Vergleichen zwischen expressionistischer Kunst und Geisteskrankheit: »...dieser Maler malt wie jener Geisteskranke, also ist er geisteskrank, ist keineswegs beweisender und geistvoller als der andere: Pechstein, Heckel und andere machen Holzfiguren wie Kamerunneger, also sind sie Kamerunneger.«

 

Universitätsklinikum Heidelberg
Sammlung Prinzhorn: Expressionismus und Wahnsinn
bis 19. Juni 2005
Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr
Mittwoch bis 20 Uhr
Telefon (06221) 56-4725
monika_jagfeld@med.uni-heidelberg.de

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