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Virtuoses Können und
musikalische Entdeckerfreude
Pharmacon Davos
Zum Rahmenprogramm
des Pharmacon Davos 1997 gehört ein Klavier-Recital des
Russen Konstantin Scherbakov am 22. Januar im
Kongreßzentrum von Davos. Der 33jährige Pianist ist
Absolvent des Moskauer Konservatoriums und vielfacher
Preisträger internationaler Wettbewerbe. Seit 1992 lebt
er in der Schweiz. Scherbakov stellt sich mit einem
reichhaltigen Programm vor, das Klavierwerke von Domenico
Scarlatti, Ludwig van Beethoven, Robert Schumann, Sergej
Ljapunow, Sergej Rachmaninow und Johann Strauß enthält.
Natürlich liegt ein Schwerpunkt seines
Repertoires auf der russischen Klaviermusik, erklärt
Scherbakov offen in einem Gespräch: Sie liegt mir
am Herzen, und das wird auch so bleiben." Mit dem
Gesamtwerk für Klavier solo von Sergej Rachmaninow gab
er in Westeuropa sein Debüt 1990 beim
Kammermusikfestival in Asolo (Venetien). Dieser furiose
Einstand hatte Folgen. Es gab Einladungen zu Konzerten in
bedeutenden europäischen Musikzentren und im Rahmen
anderer renommierter Festivals.
Mit der Konzerttätigkeit reifte in Scherbakov
allmählich der Entschluß, Moskau zu verlassen und sein
Glück im Westen zu versuchen. Das russische Musikleben
in den Jahren der Perestroika habe ihm keine Perspektiven
geboten, zum Teil wären noch nicht einmal die
elementaren Voraussetzungen gegeben: Es gibt viele
schöne Säle, aber kaum gute Klaviere." Und da er
zielstrebig eine Laufbahn als Konzertpianist ansteuerte,
mußte er das Land, das ihm nur etwa ein halbes Dutzend
Auftritte pro Jahr ermöglichte, verlassen.
Gemeinsam mit seiner Frau entschied er sich für Zürich,
wo die beiden inzwischen Fuß gefaßt haben. Er gibt
Klavierabende und spielt Solokonzerte, wobei er versucht,
Orchestern und Dirigenten auch weniger geläufiges
russisches Repertoire anzubieten, etwa die hervorragenden
Klavierkonzerte von Nikolaj Medtner, doch finden solche
Vorschläge selten Anklang. Neues einzustudieren,
bedeutet in der Regel mehr Arbeit.
Enkelschüler von Heinrich Neuhaus
Aus der russischen Pianistenschule
hervorgegangen zu sein, ist immer noch ein Markenzeichen.
Eine zentrale Figur der Moskauer Talentschmiede war
Heinrich Neuhaus. Er bildete jahrzehntelang spätere
Berühmtheiten aus, darunter Emil Gilels oder Swjatoslaw
Richter. Auch Scherbakovs Lehrer Lev Naumov war Schüler
und Assistent von Neuhaus. Von dem inzwischen über
Siebzigjährigen spricht Scherbakov mit großem Respekt:
Er habe ihm neue Horizonte eröffnet. Das betreffe
übrigens weniger technische als stilistische Fragen.
Naumov sei kein Konzertvirtuose, sondern repräsentiere
als Pianist, Lehrer, Wissenschaftler und Komponist einen
umfassend gebildeten, universalen Musikertypus. Sieben
Jahre ging Scherbakov bei Naumov in die Schule,
anschließend war er noch drei Jahre lang sein Assistent.
Daneben nahm er, wie es für einen aufstrebenden
Virtuosen unerläßlich ist, an internationalen
Klavierwettbewerben teil.
Brilliantes Spiel und mehr
Der erste große Erfolg war 1983 sein Sieg im
ersten Rachmaninow-Wettbewerb in Moskau - 20 Jahre war er
damals alt. Aus Montreal und Bozen
(Busoni-Klavierwettbewerb) brachte er weitere Preise nach
Hause. Beim Concours Géza Anda in Zürich, den er 1991
gewann, erntete er außerdem eines der schönsten
Komplimente seiner noch jungen Karriere. Es stammt von
keinem Geringeren als dem Jury-Vorsitzenden Sándor Vegh.
Ich war tief beeindruckt von diesem hervorragenden
Pianisten, der nicht nur das gewohnte"
brillante Können der russischen Musikausbildung
präsentierte, sondern er hat die allerbeste
Mozart-Interpretation des Wettbewerbs dargeboten. Es war
einfach ein Gewinn, ihm zuzuhören."
Mozart gibt es in Davos zwar nicht zu hören, dafür aber
Beethoven; die 32 Variationen c-moll über ein eigenes
Thema. Zusammen mit zwei Scarlatti-Sonaten und dem
spritzigen Faschingsschwank aus Wien" von
Robert Schumann bilden sie den ersten, eher klassischen
Teil des Klavierabends. Nach der Pause wird es dann
russisch-virtuos: mit Preziosen von Rachmaninow und von
Ljapunow.
Der Petersburger Pianist und Komponist Sergei Ljapunow
hat etliche Klavierwerke hinterlassen, unter anderem die
wertvollen zwölf Etudes d`éxecution
transcendante", die an die gleichnamige
Etüdensammlung Franz Liszts anknüpfen und dessen Weg
durch die (24 möglichen) Tonarten des Dur-Moll-Systems
fortsetzen und abschließen. In Davos stellt Scherbakov
zwei der unbekannten Klavierkostbarkeiten Ljapunows vor.
Abgerundet wird der Abend durch die Bearbeitung eines
Walzers von Johann Strauß.
PZ-Artikel von Nike Keisinger, Saarbrücken
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