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Spannender Blick in die Geschichte der Medizin

Datum 11.11.1996  00:00 Uhr

- Magazin

  Govi-Verlag

Spannender Blick in die Geschichte der Medizin

  Das Karl-Sudhoff-Institut der Universität Leipzig beherbergt eine medizinhistorische Rarität: eine Sammlung von fast 1500 medizinischen Geräten und Instrumenten. Bei den ältesten Stücken handelt es sich um originalgetreue Nachbildungen aus der Römerzeit. Ergänzt wird der Fundus durch medizinische Schriften, Urkunden, Medaillen und Porträts berühmter Ärzte. Den Grundstein für die Sammlung legte vor 90 Jahren der Arzt und Forscher Karl Sudhoff.

„Ein junger Arzt muß drei Kirchhöfe haben", sagt ein altes Sprichwort über die Skepsis, mit der in früheren Jahrhunderten Patienten das Bücherwissen von Ärzten betrachteten. Die studierten Doktoren waren im Mittelalter in der Minderheit. Neben ihnen gab es eine bunte Mischung der verschiedensten medizinischen „Handwerker". Die Palette reichte vom Bader und fahrenden Heilkundigen bis hin zu Kräuterfrauen und Quacksalbern. Die handwerklich ausgebildeten Wundärzte und Chirurgen machten den Wissenschaftlern Konkurrenz. Obwohl ihr Berufsstand lange Zeit als unehrenhaft galt, waren sie oft die erste Anlaufstelle für Hilfesuchende mit vereiterten Zähnen, mit Geschwüren und Knochenbrüchen.

Die Vielseitigkeit im damaligen Berufsbild der Ärzte und Heilkundigen spiegelt sich auch in der großen Zahl angewandter Heilmethoden, Instrumente und Arzneimittel wider. Allgemein beherrschten Aberglaube und abenteuerliche Verfahren die Medizin. Im Gegensatz dazu erscheinen uns noch heute viele Instrumente als wohldurchdacht und zweckmäßig. Ein großer Teil von ihnen ist in Art und Form erhalten geblieben und wird bis in die Gegenwart verwendet. Was dem Betrachter beim Anblick von mittelalterlichen Amputationsbestecken, von zahnärztlichen und gynäkologische Instrumenten eisige Schauer über den Rücken laufen läßt, sind vielmehr die überlieferten Umstände ihrer Anwendung. Zangengeburten, Zahnextraktionen oder gar Schädelöffnungen ohne schmerzstillende Mittel waren vor mehreren hundert Jahren an der Tagesordnung. Wer die damaligen Torturen überlebte, mußte eine ausgesprochen starke Konstitution oder gleich mehrere Schutzengel haben.

Ein wirklichkeitsgetreues Stück dieser medizinischen Historie ist am Karl-Sudhoff-Institut der Universität Leipzig zu finden. Auf den ersten Blick läßt die nüchterne Bürohausatmosphäre des Universitäts-Hauptgebäudes am Leipziger Augustusplatz nichts von den Schätzen vermuten, die in grauen Stahlschränken und einfachen Regalen verwahrt sind. Ihr Hüter ist seit fast 20 Jahren Kustos Dr. Klaus Gilardon. Den Grundstein für die Sammlung legte vor 90 Jahren der bekannte Arzt, Forscher und Professor Karl Sudhoff (1853 bis 1938). Eine Stiftung des Wiener Medizinhistorikers Theodor Puschmann (1844 bis 1899) bildete die finanzielle Ausgangsbasis. Mit den Mitteln der Stiftung erwarb Sudhoff die ersten Exponate.

Am 14. Februar 1906 hielt er seine Antrittsvorlesung in Leipzig. Im April 1906 bezog das Institut erstmals eigene Räume. Von diesem Zeitpunkt ab konnten die Sammlungsbestände gezielt aufgebaut werden. Durch die Inflation geriet das Institut nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Es konnten nur noch wenige Stücke angekauft werden. Die geringen Mittel wurden vor allem für den Erwerb von Büchern genutzt. Der weitaus größere Teil der Exponate kam durch Schenkungen und Tausch nach Leipzig. In den Jahren 1926/27 gliederte sich die Sammlung bereits in sieben Abteilungen: Urkunden, Briefe, Münzen, Medaillen und Siegelabdrücke, Gegenstände, Bilder und Diapositive.

Während des Zweiten Weltkrieges mußte das Institut geschlossen werden. Die Bestände der Sammlung wurden in Luftschutzkellern gelagert und teilweise aus Leipzig weggebracht. Ein Teil der Exponate konnte bis heute nicht wieder gefunden werden. Im Sommer 1945 begann am Institut wieder die Arbeit. Auch die Sammlungsgegenstände wurden zusammengetragen und in den folgenden Jahren von der Bibliothekarin des Instituts betreut. 1978 erhielt die medizinhistorische Sammlung einen Kustos. Der damalige Bestand gegenständlicher Exponate konnte bis heute auf mehr als das Doppelte (fast 1.500 Geräte und Instrumente) erweitert werden.

Schädelbohrer und Cholera-Rezeptur

Zu den Glanzstücken der Sammlung gehören zwei Trepanationsbestecke mit Instrumenten zum Öffnen der Schädeldecke. Das eine Besteck mit einer Vielzahl von Bohrern, Feinsägen, Schabeisen und Linsenmessern stammt etwa aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und ist das Geschenk eines Kölner Arztes aus dem Jahr 1936. Die Trepanation gehört zu den ältesten chirurgischen Eingriffen. Sie geht in ihren Anfängen bis in die Jungsteinzeit zurück. Damals wurden die Schädel von Toten während religiöser Zeremonien geöffnet. Später wurde das Schädelöffnen neben Aderlaß, Schröpfen und Klistier zu einer Art „Modetherapie" bei undefinierbaren Kopfschmerzen, Geistesstörungen und Kopfverletzungen.

Der zweiseitige Zirkelschnitt als Amputationsmethode kann mit einem Besteck aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchgeführt werden. Es kam 1938 durch eine Schenkung an das Institut und enthält neben anderen Instrumenten zwei sichelförmige Messer. Mit ihrer Hilfe konnte die Amputation in großer Geschwindigkeit durchgeführt werden, was aufgrund der damals unzureichenden Schmerzbetäubung notwendig war.

1926 schenkte der Leipziger Anatom Karl Spalteholz dem Institut eine große Spritze aus Zinn mit Zubehör, die noch im 19. Jahrhundert zum Setzen von Klistieren benutzt worden war. Die eigentliche Klistierspritze soll gegen Ende des 15. Jahrhunderts konstruiert und angewendet worden sein. Ursprünglich aus Holz, wurde sie später mehr und mehr aus Zinn gefertigt. Mit ihr konnten die verschiedensten Flüssigkeiten mit Druck in den Darm gespritzt werden. Üblich waren Kräutersude mit unterschiedlichen Zusätzen, aber auch Branntweineinspritzungen, um Ohnmächtige, Ertrunkene oder Erstickte wiederzubeleben.. Noch im 17. und 18. Jahrhundert gehörte das Setzen von Klistieren zu den Aufgaben der Apotheker und brachte ihnen so manchen Spott ein.

Neben der Instrumentensammlung wurde am Institut seit 1980 der Bestand an medizinischem Schriftgut ausgebaut. Er umfaßt Exponate wie Promotions- und Prüfungsordnungen, Collegebücher von Medizinstudenten, Krankenjournale, Rezepte und Ausstellungskataloge. Wer ein altes Mittel gegen Cholera oder Knochenleiden sucht, wird in der Sammlung ebenso fündig wie der Interessent an Patientenlisten alter Militärhospitäler.

Die Porträtsammlung besteht aus mehr als 1100 grafischen Arbeiten (Kupferstichen, Lithographien, Radierungen) mit Abbildungen namhafter Ärzte, auf medizinischem Gebiet tätiger Naturwissenschaftler und medizingeschichtlich interessanter Persönlichkeiten. Unter ihnen befinden sich Bildnisse ehemaliger Dekane der medizinischen Fakultät an der Leipziger Universität aus der Werkstatt der Leipziger Stecherfamilie Bernigeroth aus der Zeit um 1700.

Parallel zu den genannten Exponaten baute Karl Sudhoff eine medizinhistorische Bibliothek auf, die heute von Bibliothekar Thomas Gruner betreut wird. Sie enthält viele seltene medizin- und kulturhistorische Quellenwerke. Im Jahr 1909 umfaßte der Bestand der Institutsbibliothek bereits 30,5 Regalmeter. Heute besteht er aus 65000 Bänden, die auf eine ebenso bewegte Geschichte zurückblicken können wie die gesamte medizinhistorische Sammlung.

PZ-Artikel von Gisela Dietz, Leipzig
   

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