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Spannender Blick in die
Geschichte der Medizin
Das
Karl-Sudhoff-Institut der Universität Leipzig beherbergt
eine medizinhistorische Rarität: eine Sammlung von fast
1500 medizinischen Geräten und Instrumenten. Bei den
ältesten Stücken handelt es sich um originalgetreue
Nachbildungen aus der Römerzeit. Ergänzt wird der
Fundus durch medizinische Schriften, Urkunden, Medaillen
und Porträts berühmter Ärzte. Den Grundstein für die
Sammlung legte vor 90 Jahren der Arzt und Forscher Karl
Sudhoff.
Ein junger Arzt muß drei Kirchhöfe
haben", sagt ein altes Sprichwort über die Skepsis,
mit der in früheren Jahrhunderten Patienten das
Bücherwissen von Ärzten betrachteten. Die studierten
Doktoren waren im Mittelalter in der Minderheit. Neben
ihnen gab es eine bunte Mischung der verschiedensten
medizinischen Handwerker". Die Palette reichte
vom Bader und fahrenden Heilkundigen bis hin zu
Kräuterfrauen und Quacksalbern. Die handwerklich
ausgebildeten Wundärzte und Chirurgen machten den
Wissenschaftlern Konkurrenz. Obwohl ihr Berufsstand lange
Zeit als unehrenhaft galt, waren sie oft die erste
Anlaufstelle für Hilfesuchende mit vereiterten Zähnen,
mit Geschwüren und Knochenbrüchen.
Die Vielseitigkeit im damaligen Berufsbild der Ärzte und
Heilkundigen spiegelt sich auch in der großen Zahl
angewandter Heilmethoden, Instrumente und Arzneimittel
wider. Allgemein beherrschten Aberglaube und
abenteuerliche Verfahren die Medizin. Im Gegensatz dazu
erscheinen uns noch heute viele Instrumente als
wohldurchdacht und zweckmäßig. Ein großer Teil von
ihnen ist in Art und Form erhalten geblieben und wird bis
in die Gegenwart verwendet. Was dem Betrachter beim
Anblick von mittelalterlichen Amputationsbestecken, von
zahnärztlichen und gynäkologische Instrumenten eisige
Schauer über den Rücken laufen läßt, sind vielmehr
die überlieferten Umstände ihrer Anwendung.
Zangengeburten, Zahnextraktionen oder gar
Schädelöffnungen ohne schmerzstillende Mittel waren vor
mehreren hundert Jahren an der Tagesordnung. Wer die
damaligen Torturen überlebte, mußte eine ausgesprochen
starke Konstitution oder gleich mehrere Schutzengel
haben.
Ein wirklichkeitsgetreues Stück dieser medizinischen
Historie ist am Karl-Sudhoff-Institut der Universität
Leipzig zu finden. Auf den ersten Blick läßt die
nüchterne Bürohausatmosphäre des
Universitäts-Hauptgebäudes am Leipziger Augustusplatz
nichts von den Schätzen vermuten, die in grauen
Stahlschränken und einfachen Regalen verwahrt sind. Ihr
Hüter ist seit fast 20 Jahren Kustos Dr. Klaus Gilardon.
Den Grundstein für die Sammlung legte vor 90 Jahren der
bekannte Arzt, Forscher und Professor Karl Sudhoff (1853
bis 1938). Eine Stiftung des Wiener Medizinhistorikers
Theodor Puschmann (1844 bis 1899) bildete die finanzielle
Ausgangsbasis. Mit den Mitteln der Stiftung erwarb
Sudhoff die ersten Exponate.
Am 14. Februar 1906 hielt er seine Antrittsvorlesung in
Leipzig. Im April 1906 bezog das Institut erstmals eigene
Räume. Von diesem Zeitpunkt ab konnten die
Sammlungsbestände gezielt aufgebaut werden. Durch die
Inflation geriet das Institut nach dem Ersten Weltkrieg
zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Es konnten nur
noch wenige Stücke angekauft werden. Die geringen Mittel
wurden vor allem für den Erwerb von Büchern genutzt.
Der weitaus größere Teil der Exponate kam durch
Schenkungen und Tausch nach Leipzig. In den Jahren
1926/27 gliederte sich die Sammlung bereits in sieben
Abteilungen: Urkunden, Briefe, Münzen, Medaillen und
Siegelabdrücke, Gegenstände, Bilder und Diapositive.
Während des Zweiten Weltkrieges mußte das Institut
geschlossen werden. Die Bestände der Sammlung wurden in
Luftschutzkellern gelagert und teilweise aus Leipzig
weggebracht. Ein Teil der Exponate konnte bis heute nicht
wieder gefunden werden. Im Sommer 1945 begann am Institut
wieder die Arbeit. Auch die Sammlungsgegenstände wurden
zusammengetragen und in den folgenden Jahren von der
Bibliothekarin des Instituts betreut. 1978 erhielt die
medizinhistorische Sammlung einen Kustos. Der damalige
Bestand gegenständlicher Exponate konnte bis heute auf
mehr als das Doppelte (fast 1.500 Geräte und
Instrumente) erweitert werden.
Schädelbohrer und Cholera-Rezeptur
Zu den Glanzstücken der Sammlung gehören zwei
Trepanationsbestecke mit Instrumenten zum Öffnen der
Schädeldecke. Das eine Besteck mit einer Vielzahl von
Bohrern, Feinsägen, Schabeisen und Linsenmessern stammt
etwa aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und ist das
Geschenk eines Kölner Arztes aus dem Jahr 1936. Die
Trepanation gehört zu den ältesten chirurgischen
Eingriffen. Sie geht in ihren Anfängen bis in die
Jungsteinzeit zurück. Damals wurden die Schädel von
Toten während religiöser Zeremonien geöffnet. Später
wurde das Schädelöffnen neben Aderlaß, Schröpfen und
Klistier zu einer Art Modetherapie" bei
undefinierbaren Kopfschmerzen, Geistesstörungen und
Kopfverletzungen.
Der zweiseitige Zirkelschnitt als Amputationsmethode kann
mit einem Besteck aus der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts durchgeführt werden. Es kam 1938 durch eine
Schenkung an das Institut und enthält neben anderen
Instrumenten zwei sichelförmige Messer. Mit ihrer Hilfe
konnte die Amputation in großer Geschwindigkeit
durchgeführt werden, was aufgrund der damals
unzureichenden Schmerzbetäubung notwendig war.
1926 schenkte der Leipziger Anatom Karl Spalteholz dem
Institut eine große Spritze aus Zinn mit Zubehör, die
noch im 19. Jahrhundert zum Setzen von Klistieren benutzt
worden war. Die eigentliche Klistierspritze soll gegen
Ende des 15. Jahrhunderts konstruiert und angewendet
worden sein. Ursprünglich aus Holz, wurde sie später
mehr und mehr aus Zinn gefertigt. Mit ihr konnten die
verschiedensten Flüssigkeiten mit Druck in den Darm
gespritzt werden. Üblich waren Kräutersude mit
unterschiedlichen Zusätzen, aber auch
Branntweineinspritzungen, um Ohnmächtige, Ertrunkene
oder Erstickte wiederzubeleben.. Noch im 17. und 18.
Jahrhundert gehörte das Setzen von Klistieren zu den
Aufgaben der Apotheker und brachte ihnen so manchen Spott
ein.
Neben der Instrumentensammlung wurde am Institut seit
1980 der Bestand an medizinischem Schriftgut ausgebaut.
Er umfaßt Exponate wie Promotions- und
Prüfungsordnungen, Collegebücher von Medizinstudenten,
Krankenjournale, Rezepte und Ausstellungskataloge. Wer
ein altes Mittel gegen Cholera oder Knochenleiden sucht,
wird in der Sammlung ebenso fündig wie der Interessent
an Patientenlisten alter Militärhospitäler.
Die Porträtsammlung besteht aus mehr als 1100 grafischen
Arbeiten (Kupferstichen, Lithographien, Radierungen) mit
Abbildungen namhafter Ärzte, auf medizinischem Gebiet
tätiger Naturwissenschaftler und medizingeschichtlich
interessanter Persönlichkeiten. Unter ihnen befinden
sich Bildnisse ehemaliger Dekane der medizinischen
Fakultät an der Leipziger Universität aus der Werkstatt
der Leipziger Stecherfamilie Bernigeroth aus der Zeit um
1700.
Parallel zu den genannten Exponaten baute Karl Sudhoff
eine medizinhistorische Bibliothek auf, die heute von
Bibliothekar Thomas Gruner betreut wird. Sie enthält
viele seltene medizin- und kulturhistorische
Quellenwerke. Im Jahr 1909 umfaßte der Bestand der
Institutsbibliothek bereits 30,5 Regalmeter. Heute
besteht er aus 65000 Bänden, die auf eine ebenso bewegte
Geschichte zurückblicken können wie die gesamte
medizinhistorische Sammlung.
PZ-Artikel von Gisela Dietz, Leipzig
© 1996 GOVI-Verlag
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