Magazin
Im Feuilleton der
Pharmazeutischen Zeitung gibt es heute eine gute
Nachricht: Der Apotheker als Romanfigur setzt sich auch
1997 weiter durch. Als Ende 1995 der PZ-Titel
"Apothekerin und Apotheker in der zeitgenössischen
Literatur" erschien, war dieser Trend schon
spürbar, aber es gab das neue Buch von Peter Handke noch
nicht. Das im Frühjahr 1997 herausgegebene Werk "In
einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen
Haus" erweitert unserer internationales
Romanheldenkabinett um den Apotheker von Taxham bei
Salzburg.
Der Apotheker von Taxham ist Pilzkenner und
Geruchsmensch. Die Lust an beidem treibt ihn täglich in
die Natur hinaus. Im Wald hat er eine Lieblingsstelle.
Dort sitzt er bei schönem Wetter, kaut Vesperbrote und
liest in einem Ritterroman. Während der Öffnungszeiten
seiner Adler-Apotheke, die seit Generationen im Besitz
der Familie ist, zieht er sich gern in die Rezeptur
zurück und fertigt Arzneien auf Vorrat an - für den
Notfall. So vermeidet er es, den ganzen Tag mit Menschen
zu tun zu haben. Dieser in kontemplativer
Zurückgezogenheit lebende Zeitgenosse wird nun vom Autor
in ein Abenteuer verwickelt. Eines Tages verläßt er auf
einen Wink des Schicksals hin planlos, aber konsequent
Taxham: Vorläufiges Ziel: Santa Fe, eine Stadt am Rand
der Steppe.
Natürlich muß ein Romanschriftsteller kein
Landvermesser sein, umso nutzloser wäre also die Frage,
wo in Europa, speziell ein paar Autostunden hinter
Salzburg, diese Steppe sein könnte. Die Namen der am Weg
liegenden Städte und Ortschaften klingen international,
die meisten davon spanisch. Und weil die Deutschen zwar
das reiselustigste Volk von allen sind, sich dann aber in
der Fremde unbedingt wie zu Hause zu fühlen müssen,
tragen Hotels, Restaurants und Bars die Namen deutscher
Großstädte.
Ein paar Autostunden hinter Salzburg Richtung Berge
vermuten wir eine französische, italienische oder
slowenische Voralpenlandschaft mit sanften grünen
Tälern und schwarzweißgefleckten Kühen. Eine Steppe,
die mit dem PKW zu erreichen wäre, gibt es in der
Mongolei oder in Rußland. Wegen der vielen spanischen
Ortsnamen ist die Handke-Steppe aber wahrscheinlich das
Hochland von Kastilien.
Man kann im Vermischen geographischer und nationaler
Eigenheiten erste Anzeichen von Globalisierung auch in
der Literatur sehen, man kann aber genauso gut auf den
Gedanken kommen, daß Dichtung und Poesie die Urform der
virtuellen Realität sind, um ein weiteres Schlagwort
einmal aus ungewohnter Perspektive zu betrachten. Was
passiert beim Lesen von Romanen wie: "In einer
dunklen Nacht ging ich aus meinem stileen Haus"? Dem
Gehirn werden die unwahrscheinlichsten Bilder
übermittelt, und das schnurlos vom Medium Buch direkt in
den eigenen Kopf hinein - ein wunderbarer Mechanismus, um
den die Hard- und Softwarehersteller uns wirklich
beneiden können.
Der Apotheker von Taxham sucht und findet vor allem
Pilze. Zum Beispiel der Steppenbitterpilz, "gut
gegen Kopfschmerzen, Wahngefühle, Süßholzraspeln,
Stummheit und Alleinseinsschalheit". Nach Tagen,
Wochen des Suchens erlebt es der Wanderer als neu
gewonnene Freiheit, schließlich das Suchen aufzugeben.
Solcherlei entlastet kehrt er nach Taxham zurück: Zur
Apotheke, zu seinem stillen Haus und zu seinem
Ritterroman, nur daß sich zwischen der zuletzt gelesenen
und der jetzt frisch aufgeschlagenen Seite ein echtes,
ein eigenes Abenteuer ereignet hat.
"Tote darf es in meiner Geschichte nicht
geben", sagt der Apotheker von Taxham einmal zu
seinem Autor. Am Ende ist außer einem Radfahrer
tatsächlich niemand umgekommen, aber es gibt ein paar
begrabene Hoffnungen, die im Apotheker fortan nervöse
Ruhelosigkeit und unerfüllbare Wünsche ersetzen werden.
Die Steppenwanderung des Apothekers ist ein
Entschlackungsprozeß, der ihn von allem befreit,
"was die Sinne vernebelt", und öffnet
"für das Leben und die Gefahr". Die nächste
Stufe der Erleuchtung wäre dann, daß der Mann seinen
Humor wiederfindet, und das ist bekanntlich die schwerste
aller Übungen.
PZ-Artikel von Regina Sauer, Frankfurt
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de