Männer leiden unerkannt |
Bislang wird angenommen, dass Frauen deutlich häufiger unter Depressionen leiden, doch vielleicht suchen Männer nur weniger Hilfe und bleiben undiagnostiziert. / Foto: Fotolia/Irina84
Mehr Männer als bislang angenommen leiden unter Depressionen, betont der nun vorliegende vierte Männergesundheitsbericht der Stiftung Männergesundheit. Sehr viel mehr müssten psychische Erkrankungen insbesondere älterer Männer ernst genommen und nicht als Alterserscheinungen abgetan werden.
Nach bisherigen Annahmen weisen Männer nur eine halb so hohe Depressions-Prävalenz wie Frauen auf. »Möglicherweise ist diese geringere Prävalenz bei Männern ein Artefakt, das sowohl durch die mangelnde Inanspruchnahme professioneller Hilfe seitens des männlichen Geschlechts als auch durch die deutliche Ausrichtung der üblichen Depressions-Diagnostik auf weibliche Symptome zurückzuführen ist«, konstatieren die Autoren. »Offenbar werden die männlichen Erfahrungen von Depressionen in der Medizin bislang nicht beziehungsweise nur unzureichend berücksichtigt. Damit fällt ein Teil der Männer durch das diagnostische Raster«, so die Verfasser, die betonen, dass die Depressions-Prävalenz in der Altersspanne um den Renteneintritt am höchsten ist.
25 Prozent der über 65-jährigen Männer leiden unter Depressionen, wobei ein großer Anteil der Betroffenen unbehandelt bleibt. Dieses sei umso fataler als dass auch die Suizidrate bei Männern mit dem Alter kontinuierlich steigt, heißt es in dem 296-seitigen Papier mit der Überschrift »Männer und der Übergang in die Rente«.
Männer erleben das Altern als Kränkung – Schwäche, Hilflosigkeit, Sterben und Tod werden ausgeblendet: Studien, so die Autoren weiter, belegen, dass die Orientierung an traditionellen Männlichkeitsidealen das Altern erschwert. Das Festhalten an »eindimensional konstruierten« Maskulinitätsbildern und -normen sei, trotz Flexibilisierung der männlichen Geschlechtsrolle, nach wie vor ein relevantes Element der männlichen Identität, die sich klassischerweise im Erwerbsleben beweisen müsse. Mit dem Ende der Erwerbstätigkeit sei häufig ein einschneidender Status- und patriarchaler Machtverlust verbunden, der zumeist nicht durch einen anderen, gleichwertigen Status im Alter ersetzt werden könne.
Neueren Studien gemäß könne sich dieser Mangel in »männlichen Depressionen« niederschlagen, die sich hinter Depressions-untypischen Verhaltensmustern wie gesteigerter Aggressivität, Irritabilität, Hyperaktivität, antisozialem Verhalten oder Sucht- und Risikodrang verbergen und deshalb häufig unerkannt bleiben. Je stärker die Orientierung an traditionellen Maskulinitätsnormen ist, desto ausgeprägter könne sich die externalisierende (Abwehr)Symptomatik zum Schutz der männlichen Identität zeigen.
Männliche Depressionen, so heißt es weiter, werden nicht zuletzt häufig auch von somatischen Symptomen und hier insbesondere kardiovaskulären Erkrankungen und metabolischen Störungen überlagert. Daher ständen insbesondere bei älteren Männern zumeist körperliche Beschwerden im Vordergrund ärztlicher Konsultationen. Externalisierende Verhaltens- und Abwehrmuster von Männern, die klassische Depressionssymptome maskieren, müssten in der Anamnese und Therapie verstärkt Berücksichtigung finden.
Die Kaschierung der eigentlichen Symptomatik habe eine Unterversorgung bei mindestens 50 Prozent der Patienten sowohl hinsichtlich antidepressiver Medikation als auch psycho- und verhaltenstherapeutischer Therapiemaßnahmen zur Folge, warnen die Herausgeber des Gesundheitsberichtes. Sie sprechen von einer »ernst zu nehmenden Gefährdung« und weisen auch mit Blick auf das erhöhte Suizidrisiko auf die Dringlichkeit einer verbesserten Frühdiagnostik und hin.