Lieferengpässe und Anwendungsfehler bei Diabetes |
Auch Patienten mit langjährigem Diabetes sind immer wieder neu auf hochwertige pharmazeutische Beratung durch das Apothekenteam angewiesen. / © Getty Images/basar17
Den erhöhten Betreuungsbedarf stellt die österreichische Apothekerin Dr. Helga Auer-Kletzmayr seit einiger Zeit fest. »Hier neige ich jedoch dazu, nicht ins Jammern zu verfallen, sondern den erhöhten Beratungsbedarf als Chance zu sehen, dass die Patienten modernere Insuline und eine neue Schulung erhalten.« Auer-Kletzmayr ist selbst insulinpflichtige Diabetikerin und hatte zu ihrem Vortrag bei der Zentralfortbildung der Apothekerkammer Hessen vergangenes Wochenende in Gießen viele Beratungsbeispiele aus ihrem Apothekenalltag in einer Klagenfurter Apotheke mitgebracht.
Die Referentin befürwortet Screening-Angebote in Apotheken – sowohl für bereits diagnostizierte Menschen mit Diabetes zur Kontrolle als auch für Personen, die noch gar nicht wissen, dass ihr Blutglucosespiegel außerhalb der Norm ist. »Umso wichtiger sind Blutzucker- und HbA1c-Messungen, um bisher unerkannte Glucose-Stoffwechselstörungen zu identifizieren und die Betroffenen zeitnah in die Arztpraxis zu schicken.« Der Blutwerte-Check werde von den Kunden sehr gut angenommen, berichtete die Apothekerin.
Dass auch Patienten mit langjährigem Diabetes immer wieder neu auf hochwertige pharmazeutische Beratung durch das Apothekenteam angewiesen sind, erklärte die Referentin am Beispiel des Tirzepatid-Pens Mounjaro®. Anwendungsfehler könnten sich vor allem durch die maximal zwölfmal möglichen Entlüftungsvorgänge, die Lagerungstemperatur und die verbleibende Restmenge im Pen ergeben.
Bei der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK) sind denn auch im vergangenen Jahr rund 150 Verdachtsfälle eines Qualitätsmangels im Sinne eines mechanischen Defekts dieses Pens eingegangen. »Vor allem das vor dem Spritzen notwendige Entlüften des Pens scheint fehleranfällig. Wird übermäßig entlüftet, kann der Pen vorzeitig arretieren – dann lässt sich keine Wirkstofflösung mehr entnehmen.«
Die AMK fordert nun von der Herstellerfirma Dokumentationshilfen, auf denen der Patient seine wöchentlichen Applikationen genau mit Datum notieren kann, sowie eine genaue Skalierung des Restvolumens. »Bislang verbleibt eine ordentliche Menge an Restvolumen im Pen, sodass der Patient durchaus denken könnte, es reiche für eine weitere Dosis, und ist enttäuscht, dass er diese nicht mehr applizieren kann.«
Die weitere Forderung, genügend Pennadeln beizupacken, sei nur konsequent und diene der Arzneimittelsicherheit. Schließlich bestünde bei der Lagerung mit nur einer Nadel über vier Wochen die erhöhte Gefahr der Luftbeimischung. Auch die Hinweise zur Lagerungstemperatur müssen laut Auer-Kletzmayr nachgebessert werden.
Potenzial für Anwendungsfehler habe laut Auer-Kletzmayr auch das neue Insulin icodec (Awiqli®), welches nur noch einmal wöchentlich als subkutane Injektion in den Oberschenkel, Oberarm oder die Bauchdecke appliziert werden muss. »Die einmal wöchentliche Anwendung birgt die Gefahr des Vergessens«, prophezeite die Apothekerin. Sie rät dann zur Drei-Tage-Regel. Will heißen: »Hat der Patient seinen montäglichen Spritztag vergessen, kann er bis Mittwoch nachapplizieren und fährt am kommenden Montag wieder mit der gewohnten Dosis fort. Erinnert er sich jedoch erst am Samstag an seine wöchentliche Insulindosis, spritzt er dann. Der Samstag wird zum neuen Spritztag.«
Auch die zu injizierenden Einheiten zu berechnen, erfordere intensive Schulung. »Schließlich ist es das erste Insulin U 700, also ein Insulin mit 700 Einheiten pro Milliliter. Bislang gibt es nur U 100, U 200 oder U 300. Auch neu: Ein Dosierschritt sind 10 Einheiten.«
Bei Insulin-naiven Diabetikern wird eine wöchentliche Anfangsdosis von 70 Einheiten empfohlen. Anschließend sollte die Dosis einmal wöchentlich individuell angepasst werden. Patienten, die von ein- oder zweimal täglich verabreichtem Basalinsulin auf Insulin icodec umsteigen, wird empfohlen, die erste Insulin-icodec-Gabe am Tag nach der letzten verabreichten Dosis ihres alten Basalinsulins zu injizieren. Die empfohlene Dosis Awiqli entspricht der täglichen Basalinsulin-Gesamtdosis multipliziert mit 7, gerundet auf die nächsten 10 Einheiten.
»Für Patienten mit Typ-1-Diabetes wird bei der Umstellung von einem Basalinsulin auf Awiqli bei der ersten Injektion unbedingt eine Aufsättigungsdosis von 50 Prozent empfohlen, um schneller in den Steady State zu kommen.« Die sich dadurch ergebenden sehr hohen Einheiten können die Patienten erschrecken – »verständlich, wenn man es gewohnt war, 25 Einheiten zu spritzen, und jetzt auf 270 Einheiten gehen soll.«
Auch die Marktrücknahmen vor allem der Insuline von Novo Nordisk bringen derzeit erhöhten Beratungsbedarf mit sich. »Deshalb sollten wir spätestens jetzt notwendige Maßnahmen für eine kontinuierliche Versorgung und Umstellung treffen, um Unsicherheiten vorzubeugen.«
So laufen ab dem zweiten Quartal 2025 die langwirkenden Basalinsuline Insulin detemir (Levemir®) und das NPH-verzögerte Humaninsulin Protaphane® aus. Die kurzwirksamen Humaninsuline (Actrapid®) und Mischinsuline (Actraphane®) sollen ab dem ersten Quartal 2026 eingestellt werden. Betroffen ist auch die Darreichungsform Fiasp PumpCart® mit dem Insulin-Analogon »Fast acting Insulin aspart«, alle anderen Darreichungsformen von Fiasp® bleiben jedoch erhalten.
Für Patienten, die bislang Humaninsuline erhalten, können Insulin-Analoga eine Alternative sein. »Diese bieten Vorteile, wie eine schnellere oder verlängerte Wirkung und eine geringere Gefahr für Unterzuckerungen«, sagte die Apothekerin. Dennoch bedeute eine Umstellung immer einen Zusatzaufwand und müsse eng durch das Behandlungsteam begleitet werden. »Die Dosierungen müssen sorgfältig angepasst werden und Beratung ist wichtig, um die Handhabung neuer Insulinpens oder spezifische Eigenschaften der Analoga zu verstehen.«