Lieferengpässe machen Apothekenkunden aggressiv |
Cornelia Dölger |
07.04.2025 16:00 Uhr |
Befragt nach den Auslösern »für das aggressive/bedrohliche Kundenverhalten« geben zwei Drittel der Befragten die Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln an. / © IMAGO/Funke Foto Services
Mehr Gewalt, Aggressionen, Verrohung – dieser beklagenswerte Trend betrifft die gesamte Gesellschaft. Dass er auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt macht, zeigten unlängst erneute Hilferufe von Ärzteverbänden. Sie verwiesen auf die zunehmende Gewalt in Praxen und forderten mehr Schutz für die Mitarbeitenden – ein nicht neues Thema für die Politik, denn schon die Ampelkoalition hatte eine Forderung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) auf dem Tisch, Vertragsärzte neben Feuerwehr- und Rettungsdienstpersonal als weitere Berufsgruppe in §115 Strafgesetzbuch (StGB) aufnehmen zu lassen und tätliche Angriffe unter Strafe zu stellen.
Aus der Forderung ergab sich nichts. Aber auch wenn die berufliche Tätigkeit von Ärzten auch ohne §115 StGB nicht komplett ungeschützt sein dürfte – der Appell zeigt, wie dringend Hilfe beim Thema Aggression im Gesundheitswesen geboten ist.
Denn laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) entfallen 40 Prozent der gemeldeten Gewaltunfälle auf das Gesundheits- und Sozialwesen. In konkreten Zahlen bedeutet das: mehr als 26.000 meldepflichtige Unfälle in den Jahren 2017 bis 2021. Besonders stark betroffen sind laut DGUV Fachkräfte aus der Gesundheits- und Krankenpflege sowie aus der Geburtspflege.
Auch wenn die Erhebung nicht ganz neu ist, dürften die Zahlen den Trend korrekt abbilden, obendrein seitdem noch gestiegen sein; wer hat nicht inzwischen auf dem Schirm, dass Gewalterfahrungen überall zunehmen und der Umgang miteinander rüder wird?
Und auch Apothekenteams leiden unter der Entwicklung. Eine im Auftrag der PZ durchgeführte bundesweite Umfrage des Informationsdienstleisters Marpinion unter 2.480 Teilnehmern aus 744 Apotheken ergab: Mehr als die Hälfte der Befragten (56,3 Prozent) war in der Apotheke schon einmal verbalen und/oder körperlichen Übergriffen von Kunden ausgesetzt.
Den unheilvollen gesellschaftlichen Trend bestätigt die Umfrage: Fast zwei Drittel der Befragten (62,6 Prozent) finden, dass Beschimpfungen beziehungsweise Beleidigungen in Apotheken in den vergangenen 5 Jahren zugenommen haben. Mehr als ein Fünftel (22,1 Prozent) sieht eine Zunahme von Bedrohungen. Eine Häufung von sexueller Belästigung oder körperlichen Angriffen sieht nur ein kleinerer Anteil der Befragten (9,4 beziehungsweise 6,7 Prozent).
Und wie kommt es zum Ärger am HV-Tisch? Befragt nach den Auslösern »für das aggressive/bedrohliche Kundenverhalten« macht die große Mehrheit (68,5 Prozent) Lieferengpässe und damit die Nichtverfügbarkeit von benötigten Arzneimitteln aus. Auf Platz 2 mit 54,3 Prozent steht demnach die verweigerte Arzneimittelabgabe. Knapp 52,7 Prozent sehen in der Diskussion zu Kassenleistungen oder Zuzahlungen einen Konfliktgrund.
Aber auch die verweigerte Rücknahme von Arzneimitteln kann laut einem Drittel der Befragten (35,2 Prozent) zu Aggressionen führen. Drogen- oder psychische Probleme von Kundinnen und Kunden spielen auch eine Rolle (26,4 Prozent), ebenso wie Abrechnungs- und Zahlungsprobleme (22,1 Prozent) und lange Wartezeiten (17,4 Prozent). Unzufriedenheit mit der Beratungsleistung als Aggressionsauslöser geben übrigens nur sehr wenige an (3,8 Prozent).
Was tun für mehr Schutz der Apothekenteams? Etwa ein Drittel der Befragten (37,7 Prozent) wünscht sich entsprechende Maßnahmen, etwa, in der Apotheke immer mit mehreren Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu sein (66 Prozent). Die allermeisten (94,5 Prozent) gaben an, dass es während der üblichen Arbeitszeit zu verbalen oder körperlichen Übergriffen kam. Den Nacht- und Notdienst nannten 11,8 Prozent.
Technischen Schutz zum Beispiel durch einen Alarmknopf oder eine Notfallanlage halten viele für geeignet (63,6 Prozent), knapp gefolgt von Coachings zur Bewältigung kritischer Situationen (63,0 Prozent). Videoüberwachung hält mehr als die Hälfte für sinnvoll (53,2 Prozent), einen sicheren Notdienstschalter mit Sprechanlage 38,9 Prozent. Ein Fünftel (21,3 Prozent) findet eine Fangschaltung beziehungsweise zentrale Rufnummern zur Sicherung von Telefonaten hilfreich.
Etwa 90 Prozent der Befragten sind Frauen, mehr als zwei Drittel (68,6 Prozent) der Befragten sind PTA, danach folgen angestellte Approbierte (25,5 Prozent) und Inhaberinnen und Inhaber (5,9 Prozent). Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, mit »keine Angabe« zu antworten.