Leitlinie empfiehlt SGLT-2-Hemmer |
Experten haben die Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der chronischen Herzinsuffizienz unter die Lupe genommen und neue Empfehlungen erarbeitet. / Foto: Fotolia/rangizzz
Eine Herzinsuffizienz ist mehr als eine Herzschwäche. Vielmehr handelt es sich um ein Syndrom mit bestimmten Haupt- und verschiedenen Begleitsymptomen, denen mehrere Pathomechanismen zugrunde liegen können. Zu den typischen Symptomen gehören Dyspnoe, Leistungsminderung und Flüssigkeitsretention. Es sei erforderlich, die jeweils zugrunde liegende Ätiologie der kardialen Dysfunktionen zu identifizieren, da diese die weitere Behandlung bestimmen kann, so die Autoren der kürzlich erschienenen aktualisierten Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC). Diese hält verschiedene Neuerungen parat.
Zum Hintergrund: Eine Herzinsuffizienz kann anhand verschiedener Kriterien differenziert werden: nach dem Ort des Auftretens (Rechtsherz-, Linksherz- oder globale Insuffizienz), nach dem zeitlichen Verlauf (akut oder chronisch) oder nach der Ursache der funktionellen Störung (HFrEF = Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion, HFmEF = Herzinsuffizienz mit geringgradig eingeschränkter linksventrikulärer Ejektionsfraktion, HFpEF = Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion, aber gestörter Füllung des Herzens). Therapeutisch bedeutsam können außerdem verschiedene Begleiterkrankungen sein, etwa Vorhofflimmern oder ein chronisches Koronarsyndrom. Eine Klassifikation der chronischen Herzinsuffizienz kann nach der NYHA (New York Heart Association)-Klassifikation erfolgen, die eine Momentaufnahme des aktuellen Schweregrades erlaubt. Weitere Klassifikationen gibt es vom American College of Cardiology (ACC) und von der American Heart Association (AHA). Sie bilden vorrangig die Progression der Erkrankung ab.
Häufigste Ursachen einer chronischen Herzinsuffizienz sind eine koronare Herzkrankheit und/oder ein Bluthochdruck. Die Prävalenz der chronischen Herzinsuffizienz nimmt mit dem Alter zu: Die Jahresprävalenz beträgt bei den 65- bis 69-Jährigen 6,9 Prozent, bei den 80- bis 84-Jährigen 24,3 Prozent, bei den über 95-Jährigen 47,2 Prozent. Das Risiko ist hoch, wegen einer Dekompensation der Herzinsuffizienz stationär behandelt werden zu müssen oder zu versterben. In NYHA-Klasse I betrug die Zwei-Jahres-Mortalität 14,6 Prozent, in Klasse II 16,9 Prozent, in Klasse III 30,8 Prozent und stieg in Klasse IV auf 53,3 Prozent. Ziel der Therapie ist neben der Linderung der Beschwerden vor allem eine Reduktion von Klinikaufenthalten, eine Verbesserung der Prognose und eine Senkung der Mortalität.
Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) und NYHA II bis IV sollen möglichst frühzeitig eine Kombinationstherapie mit Arzneimitteln aus vier Wirkstoff-Klassen erhalten (alle Empfehlungsgrad I), um das Renin-Angiontensin-Aldosteron-System (RAAS) und das sympathische Nervensystem zu modulieren:
Der behandelnde Arzt entscheidet, mit welcher Wirkstoffklasse er die jeweilige Therapie startet. Die europäische Leitlinie weicht damit vom herkömmlichen Stufenschema ab. So könne etwa mit einem ACE-Hemmer und einem Betablocker gemeinsam begonnen werden, sobald die Diagnose einer symptomatischen Herzinsuffizienz gesichert sei, so die ESC-Leitlinie. Keine Evidenz gebe es für eine Präferenz, mit einem ACE-Hemmer vor dem Betablocker (oder umgekehrt) zu beginnen. Beibehalten wurde die Empfehlung, einen ARNI als Ersatz für einen ACE-Hemmer einzusetzen, wenn dieser nicht ausreichend wirkt. Dennoch kann der Arzt die Anwendung eines ARNI bereits in der Erstlinientherapie erwägen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bescheinigt der Kombination Valsartan und Sacubitril einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie (ACE-Hemmer), beide in Kombination mit einem Betablocker. Die ESC-Leitlinie gibt außerdem evidenzbasierte Start- und Ziel-Dosierungen für die einzelnen Wirkstoffe an, von denen die meisten schrittweise auftitriert werden müssen.
Nur noch eine untergeordnete Rolle spielen AT1-Antagonisten (Angiotensin-II-Antagonisten Typ I). Sie werden jetzt für Patienten empfohlen, die ACE-Hemmer oder ARNI aufgrund schwerwiegender Nebenwirkungen nicht anwenden können.
Neben dem veränderten Therapiealgorithmus finden sich mit den SGLT-2-Hemmern Dapagliflozin und Empagliflozin zwei Wirkstoffe, die die bisherige Dreifachkombination ergänzen. Ursprünglich entwickelt wurden sie zur Behandlung des Diabetes mellitus. Sie hemmen den Natrium(Sodium)-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT-2) und senken den Blutzucker, indem sie die Glucose-Ausscheidung über die Nieren erhöhen. Welche Wirkmechanismen den Effekten bei der Therapie der Herzinsuffizienz zugrunde liegen, ist derzeit nicht bekannt. Vermutet wird eine Kombination aus metabolischen und diuretischen Effekten. Wichtig ist, dass SGLT-2-Hemmer hier nicht nur bei Diabetikern, sondern bei allen Patienten mit HFrEV eingesetzt werden können, sofern keine Kontraindikationen vorliegen.
Bei Bedarf kann die Kombinationstherapie durch weitere Wirkstoffklassen ergänzt werden. So kommt bei HFrEF-Patienten mit Volumenüberlastung auch weiterhin zusätzlich ein Schleifendiuretikum zum Einsatz. Für Patienten, deren Herzfrequenz trotz Standardtherapie bei mindestens 70 Schlägen pro Minute liegt, steht Ivabradin zur Verfügung. Es hemmt selektiv und spezifisch den If-Ionenstrom, wodurch ausschließlich die Herzfrequenz um etwa zehn Schläge pro Minute gesenkt wird. Weder das Reizleitungssystem noch die Herzmuskelkraft werden beeinflusst. Im Gegensatz zu Betablockern senkt Ivabradin die Herzfrequenz sowohl in Ruhe als auch unter Belastung, ohne eine negative Inotropie oder Vasokonstriktion zu bewirken.
Patienten, deren Zustand sich trotz Therapie mit ACE-Hemmer/ARNI, Betablocker und MRA weiter verschlechtert, steht mit Vericiguat seit Kurzem ein oral anwendbarer direkter Stimulator des Enzyms lösliche Guanylatcyclase (sGC) zur Verfügung. Eine Herzinsuffizienz ist mit einer verminderten NO-Synthese und Aktivität der sGC verbunden, was zu einer Beeinträchtigung der Herz- und Gefäßfunktion führen kann. Durch die direkte Stimulierung der sGC, unabhängig von und synergistisch mit NO, erhöht Vericiguat die intrazellulären cGMP-Spiegel, was zu einer Relaxation und Vasodilatation der glatten Muskulatur führt.