Leichtere Übertragung von H5N1 bei Säugetieren vermutet |
Theo Dingermann |
09.07.2024 10:27 Uhr |
Die Eigenschaften des H5N1-Virus, das sich derzeit bei Rindern in den USA verbreitet, hat eine amerikanisch-japanische Forschergruppe genauer untersucht. / Foto: Adobe Stock/forma82
Im Frühjahr 2024 begann in den USA ein beispielloser Ausbruch des hochpathogenen Vogelgrippevirus (HPAI) H5N1 in Milchkuhherden. Auch Geflügel, Katzen und in Einzelfällen Menschen wurden infiziert, was als ein erhebliches Risiko für die öffentliche Gesundheit gewertet wird.
Um das Übertragungs- und Pathogenitätsgeschehen genauer zu verstehen, haben Forschende um Professor Dr. Amie J. Eisfeld von der University of Wisconsin-Madison und Professor Dr. Yoshihiro Kawaoka vom National Center for Global Health and Medicine Research Institute in Tokio untersucht, wie sich das Virus in Mäusen und Frettchen verhält. Die Ergebnisse publizierte das Team im Fachjournal »Nature«. Die Forschenden zeigen unter anderem, dass sich das von ihnen aus Milch infizierter Kühe isolierte Virus auch in den Brustdrüsen von Mäusen und Frettchen vermehrt.
Influenzaviren infizieren Wirtszellen, indem sie mit ihrem Oberflächenprotein Hämagglutinin an Sialinsäure-Reste auf Glykoproteinen an der Zelloberfläche binden. Hiervon existieren zwei Varianten: Beim Vogeltyp ist die endständige Sialinsäure über die OH-Gruppe an Position 3 mit der benachbarten Galaktose verknüpft (α2,3-Bindung). Beim Menschentyp ist die Verknüpfung über die OH-Gruppe an Position 6 realisiert (α2,6-Bindung). Diese Unterschiede bedingen, dass einzelne Influenzavirustypen bestimmte Tierarten infizieren können, andere aber nicht.
Auf Oberflächenproteinen von Vogelzellen ist Sialinsäure über die OH-Gruppe an Position 3 an die benachbarte Galaktose geknüpft, bei Säugertierzellen in der Regel über die OH-Gruppe an Position 6. / Foto: Ilse Zündorf
Wie die Forschenden um Eisfeld herausfanden, kann das bovine H5N1-Isolat auch an Sialinsäure-Moleküle binden, die in den oberen Atemwegen des Menschen vorkommen. Das Virus kann also an beide Sialinsäure-Varianten binden. Es weise somit Merkmale auf, die eine Übertragung auf Säugetiere über eine Tröpfcheninhalation prinzipiell erleichtern könnten, schreiben die Forschenden. Diese duale Bindungsspezifität wurde bei älteren zirkulierenden H5N1-Viren nicht beobachtet.
Übertragungsexperimente mit Mäusen ergaben, dass das Virus von infizierten säugenden Weibchen an ihre Jungtiere weitergegeben werden kann. Nach oraler Aufnahme oder intranasaler Infektion zeigen erwachsene Mäuse deutliche Symptome und eine Virusausbreitung im gesamten Körper. Bei erwachsenen Frettchen ließ sich das Virus nicht effizient durch Tröpfcheninfektion übertragen. Wenn die Tiere aber infiziert wurden, fand eine systemische Replikation und eine Ausbreitung in verschiedenen Geweben, einschließlich Brustdrüsen und Augen, jedoch nicht effizient in Muskelgewebe, statt.
Diese und weitere Anpassungen des bovinen HPAI H5N1 geben nach Auffassung der Forschenden Anlass zur Sorge hinsichtlich des Pandemiepotenzials des Erregers – doch nicht alle Experten teilen diese Meinung. So sagte Professor Dr. Martin Schwemmle vom Universitätsklinikum Freiburg dem Science Media Center auf Anfrage, H5N1-Viren besäßen bisher nicht die Eigenschaften, um für die Bevölkerung sehr gefährlich zu werden. Das von H5N1 ausgehende Risiko könne daher nach wie vor als gering eingestuft werden, eine Einschätzung, die auch die Seuchenschutzbehörden CDC und ECDC der USA und Europas teilten. Das ECDC weist in einer aktuellen Mitteilung darauf hin, dass es den derzeitigen Ausbruch ernstnehme und, obwohl es noch keine H5N1-Infektionen bei Menschen in Europa gab, eine »umfassende Strategie zur Unterstützung der Früherkennung und Eindämmung potenzieller menschlicher Fälle in der EU« einführen werde.
Professor Dr. Stephan Pleschka von der Justus-Liebig-Universität Gießen sagte: »Die Studie zeigt deutlich, dass das H5N1-Virus sich wie alle Influenzaviren stetig weiterentwickelt. Mit der beschriebenen veränderten Rezeptorbindungseigenschaft, die man bei den bislang bekannten H5N1-Viren so nicht gesehen hat, scheint es einen weiteren Schritt hin zum Säuger gemacht zu haben.«