Lauterbachs »Zwergapotheken« wären unwirtschaftlich |
Alexander Müller |
12.10.2023 12:30 Uhr |
Gesundheitsminister Lauterbach lege mit seinen Reformplänen die Axt an das Apothekenwesen, kommentiert Steuerberater und Rechtsanwalt Bernhard Bellinger. Sein Resümee : »Herr Lauterbach – Setzen, 6!« / Foto: ETL Dr. Bellinger & Kollegen
»Wenn sich die Apothekerschaft auf den Koalitionsvertrag verlassen haben sollte im Glauben, er werde ihr Segnungen bescheren, lag sie falsch«, leitet Bellinger seine Analyse ein. Darin ist zwar von einer Weiterentwicklung des Nacht- und Notdienstfonds und einer Verordnungsfähigkeit für Botendienste im Notfall die Rede. Angekommen sei bei den Apotheken aber bislang nichts, so Bellinger. »Die Vergütung für Botendienste ist letztlich rasiert worden mit der Erhöhung des Zwangsrabattes.«
Statt auf die Honorarforderungen der Apothekerschaft einzugehen, hatte Lauterbach zum DAT seine eigenen Reformvorstellungen mitgebracht. Dazu zählt die Lockerung für Filialapotheken. Bellinger sieht darin ein großes Gerechtigkeitsproblem: »Was Haupt- und was Filialapotheke ist, bestimmt der Inhaber. Man könnte sich sehr viele lästige Aufgaben vom Hals schaffen, indem man eine Mini-Apotheke in ein benachbartes Gebiet setzt, um dann in einer größeren Stadt Kosten einzusparen.« Sein Beispiel: Hauptapotheke in Düsseldorf, die Filiale in Duisburg. »Es würde eine üble Wettbewerbsverzerrung darstellen, wenn die Duisburger Filial-Apotheke auf Rezeptur und Labor verzichten dürfte und vom Nacht- und Notdienst befreit wäre«, so Bellinger.
Unabhängig davon sei es in Zeiten des Fachkräftemangels ein Witz, die Gründung neuer Filialen zu fördern, was ja wiederum personelle Ressourcen voraussetze. »Der Trend geht gerade in die andere Richtung, dass Filialen abgebaut werden, um das Personal in die Hauptapotheke zu ziehen, um dort den Fachkräftemangel zu bekämpfen.«
Das eigentliche Problem sieht der Rechtsanwalt und Steuerberater in der Kostenstruktur der Apotheken. Explodierende Personalkosten nach dem Tarifabschluss, die Erhöhung des Kassenabschlags und flächendeckende Kostensteigerungen auf Seiten der Dienstleister, vom Großhandel bis zum Rechenzentrum. »Gerade für kleinere Apotheken ist dieser Cocktail nahezu tödlich, weil er einen so kleinen Betriebsgewinn übriglässt, dass für den Inhaber jedes Anstellungsverhältnis wirtschaftlich günstiger wäre«, so Bellinger.
Unabhängig davon würden aus Sicht des Steuerberaters im ländlichen Raum gar keine Anreize geschaffen, solche »Zwergapotheken« zu etablieren. Denn auch in dünn besiedelten Gebieten würden sie nur dann akzeptiert, wenn sie eine gewohnte Lieferfähigkeit sicherstellen könnten. »Das hätte allerdings zur Konsequenz, dass ein Warenlager im Wert von rund 30.000 bis 40.000 Euro permanent vorgehalten werden müsste«, rechnet Bellinger das Ausmaß der Kapitalbindung vor.
Zur Logistik gehöre zudem eine EDV-Anlage im Wert von mindestens 30.000 Euro. Und eine Minimal-Ausstattung der Geschäftseinrichtung werde unter 100.000 Euro kaum darstellbar sein. »Bei einem Kapitalaufwand von mindestens 170.000 Euro und einem denkbaren Jahresgewinn von kaum 20.000 Euro wäre es betriebswirtschaftlich vollkommen uninteressant, eine solche Zweigapotheke in eine frequenz-defizitäre Landschaft regelmäßig ohne Arztbesatz zu setzen«, so Bellinger.
Unter dem Stichpunkt »Fachkräftesicherung« sieht der erste Entwurf aus Lauterbachs Haus unter anderem vor: »Erweiterte Vertretungsmöglichkeiten für erfahrene PTA in Filial- und Zweigapotheken bei Nutzung technischer Einrichtungen zur Videokonsultation (Telepharmazie).«
Bellinger findet auch diese vermeintliche Erleichterung sinnlos. »Denn es würde ja voraussetzen, dass überhängende Kapazitäten in der Hauptapotheke vorhanden sind, die temporär im Stand-by an die Filiale zur Verfügung gestellt werden können. Das exakte Gegenteil ist momentan der Fall. Wie soll die Approbierte telepharmazeutisch in die Filiale zugeschaltet werden, wenn sie parallel in der Hauptapotheke in einem längeren Beratungsgespräch gebunden ist?«
Abgesehen von den praktischen Hürden befürchtet Bellinger, dass Lauterbach mit seinem Vorschlag die Büchse der Pandora öffnen könnte. Denn der Verzicht auf eine Approbation in einer Apotheke dürfte schnell zum Modellversuch verkommen, ob Apotheken nicht grundsätzlich ohne Approbierte auskommen könnten. »Hier legt Lauterbach – unwissentlich oder absichtlich – die Axt an die Wurzel der Apothekerzunft«, so Bellinger. In der Summe sei die digitale Anbindung an eine Hauptapotheke überhaupt kein Grund, auf einen Approbierten in der Filiale zu verzichten, weil es rein praktisch keine Lösung darstellen könne.
Ein Blick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen macht Bellinger aber zuversichtlich, dass Lauterbach seine Ideen ohnehin nicht umsetzen kann. Denn der Verzicht auf einen Approbierten in einer Zweigapotheke würde aktuell § 3 Abs. 3 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verletzen. Eine Änderung der Verordnung wäre aber nur mit Zustimmung des Bundesrats möglich, so sieht es § 21 Abs. 1 Satz 1 Apothekengesetz (ApoG) vor. »Der Gesundheitsminister glaubt doch nicht ernsthaft, dass er diese unsinnige Regelung innerhalb von weniger als drei Monaten durch Kabinett und Bundesrat peitschen könnte«, so Bellinger.
Auch die geplante Lockerung des Mehrbesitzverbots würde dem Rechtsanwalt zufolge eine Abkehr vom deutschen Gesundheitssystem im Bereich der Apotheken bedeuten. Die bisherige Beschränkung auf maximal drei Filialen solle verhindern, dass rein kaufmännische Interessen am maximalen Gewinn zum Prinzip beim Apothekenbetrieb werden. »Der Gesetzgeber hat bewusst die Größenanzahl im Verbund begrenzt, um eine persönlich gelebte Verantwortung für diesen Mikrokosmos sicherstellen zu können«, so Bellinger. In anderen Ländern habe eine weitergehende Liberalisierung der Gesundheitssysteme die damit erhoffte Reduzierung der Gesundheitskosten gerade nicht eingebracht.
Die einzige sinnvolle Regelung aus Lauterbachs Katalog wäre Bellinger zufolge die Flexibilisierung bei den Öffnungszeiten. Dem Fachkräftemangel könne man damit tatsächlich entgegenwirken. Das gelte auch und gerade für Regionen mit zu wenigen Apotheken.
Sein Fazit: »In der Summe sind die Vorschläge des Gesundheitsministers bis auf die Flexibilisierung von Öffnungszeiten ein nicht fundierter Schnellschuss, dem jede wirtschaftliche Vernunft und Praxisnähe abgeht.«