Lauterbach will GKV-Defizite durch Reformen stabilisieren |
Lukas Brockfeld |
24.06.2024 13:00 Uhr |
Die steigenden Kosten belasten die Finanzen der Krankenkassen. / Foto: GettyImages/
Eisenlohr
Im gesamten Gesundheitssystem waren in den vergangenen Monaten erhebliche Kostensteigerungen zu spüren. Allein die Aufwendungen für die Versorgung mit Arzneimitteln stiegen im ersten Quartal des Jahres 2024 um 9,1 Prozent beziehungsweise 1,12 Milliarden Euro. Das geht aus einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) hervor. Hierbei ist zu beachten, dass die Entwicklung in besonderem Maße vom Auslaufen des in 2023 einmalig erhöhten gesetzlichen Herstellerabschlags von 7 auf 12 Prozent durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geprägt ist. Im 1. Quartal 2024 sanken die zugunsten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gewährten Rabatte um rund 250 Millionen Euro.
Unter Herausrechnung des Rabatteffekts stiegen die Ausgaben für Arzneimittel laut BMG im ersten Quartal um rund 875 Millionen Euro – das entspricht einem Anstieg von rund 7 Prozent. Dynamisch entwickeln sich demnach auch die Aufwendungen für Arzneimittel im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung, die einen Zuwachs von rund 221 Millionen Euro (entspricht einem Plus von 54 Prozent) gegenüber dem Wert des Vorjahresquartals aufweisen.
Die Krankenkassen verzeichneten nach Angaben des BMG im ersten Quartal 2024 einen Zuwachs für Leistungsausgaben und Verwaltungskosten von 7 Prozent. Die Leistungsausgaben stiegen dabei um 7,5 Prozent und damit deutlich stärker als in den vergangenen Jahren. Die Verwaltungskosten verminderten sich um 3,2 Prozent. In absoluten Zahlen stiegen die Leistungsausgaben der Krankenkassen im ersten Quartal um 5,32 Milliarden Euro. Die Verwaltungskosten sanken um 99 Millionen Euro, da rund 193 Millionen Euro weniger Altersrückstellungen als im Vorjahresquartal gebucht wurden. Der Anstieg der Verwaltungskosten ohne Altersrückstellungen betrug im selben Zeitraum 3,2 Prozent.
Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen sind im ersten Quartal um 8,5 Prozent beziehungsweise 1,94 Milliarden Euro gestiegen und stellen damit einen maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar. Die Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen stiegen um 4,7 Prozent beziehungsweise 558 Millionen Euro. Die Aufwendungen für zahnärztliche Behandlungen (ohne Zahnersatz) um 5,3 Prozent beziehungsweise 180 Millionen Euro. Stark gestiegen sind die Ausgaben im Bereich der Schutzimpfungen sowie bei Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen (jeweils 13 Prozent).
Die gestiegenen Kosten sind eine Belastung für die Krankenversicherungen. Die 95 gesetzlichen Krankenkassen haben nach Angaben des BMG in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres ein Defizit in Höhe von 776 Millionen Euro erzielt. Die Finanzreserven der Krankenkassen betrugen demnach zum Quartalsende rund 7,6 Milliarden Euro. Dies entspricht 0,3 Monatsausgaben und somit dem Eineinhalbfachen der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve in Höhe von 0,2 Monatsausgaben.
Den Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 79,5 Milliarden Euro standen laut BMG Ausgaben in Höhe von 80,2 Milliarden Euro gegenüber. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten verzeichneten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 0,3 Prozent einen Zuwachs von 7 Prozent. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz entsprach Ende März mit 1,7 Prozent genau dem Wert des Ende Oktober 2023 für das Jahr 2024 bekannt gegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes.
Die Ersatzkassen erzielten ein Defizit von 314 Millionen Euro, die Ortskrankenkassen von 282 Millionen Euro, die Betriebskrankenkassen von 128 Millionen Euro und die Innungskrankenkassen von 72 Millionen Euro. Die Knappschaft erzielte hingegen einen Überschuss in Höhe von 23 Millionen Euro. Die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse verbuchte ein Defizit von 23 Millionen Euro.
Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2024 über eine Liquiditätsreserve von rund 9,4 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im 1. Quartal 2024 ein Defizit von 4,5 Milliarden Euro. Der größere Teil dieses Defizits ist nach Angaben des BMG saisonüblich: So fließen die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Krankenkassen, während die Einnahmen unterjährig erheblich schwanken und insbesondere im 4. Quartal aufgrund der Verbeitragung von Jahressonderzahlungen wie dem Weihnachtsgeld höher ausfallen. Ein Teil des Defizits resultiere bereits daraus, dass im Jahr 2024 insgesamt 3,1 Milliarden Euro aus der Liquiditätsreserve an die Krankenkassen ausgeschüttet werden, um die Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen zu stabilisieren.
Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent. Verantwortlich für die weiterhin gute Einnahmenentwicklung im 1. Quartal sind insbesondere die inflationsbedingt kräftigen Tariflohnsteigerungen.
Nach den endgültigen Jahresrechnungsergebnissen für 2023 erzielten die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr ein Defizit von rund 1,89 Milliarden Euro. In den vorläufigen Rechnungsergebnissen für das 1. bis 4. Quartal haben die Krankenkassen ein ähnliches Defizit von 1,87 Milliarden Euro ausgewiesen. Zu berücksichtigen ist hierbei die von den Krankenkassen an den Gesundheitsfonds zu leistende Vermögensabgabe in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro. Auch der Anstieg der Ausgaben hat sich mit 5,1 Prozent gegenüber den vorläufigen Rechnungsergebnissen (plus 5 Prozent) kaum verändert.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte angesichts des Milliardendefizits: »Die Krankenkassen haben im 1. Quartal ein erhebliches Defizit ausgewiesen, weil die Ausgabenentwicklung deutlich an Dynamik gewonnen hat. Auch wenn die Finanzdaten für das erste Quartal mit Blick auf die Gesamtjahresentwicklung noch mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten sind, müssen wir diese Entwicklung ernst nehmen.«
Nach Ansicht des Ministers sei es jetzt wichtig, die »effizienzsteigernden Strukturreformen im Gesundheitswesen«, zügig voranzubringen. »Erneut steigen die Kosten im Krankenhaussektor sehr stark. Mit Überkapazität und 30 Prozent Bettenleerstand zeigt sich erneut die Notwendigkeit der Krankenhausreform. Auch die Notfallreform sowie das Gesunde-Herz-Gesetz werden Kosten senken. Diese und weitere Reformen sind zentrale Bausteine, um die GKV-Finanzen mittel- bis langfristig zu stabilisieren, indem wir die Versorgung effizienter gestalten, die Versorgungsqualität erhöhen und unnötige Ausgaben vermeiden«, so Lauterbach.