Lauterbach verspricht Gesetz zur Suizidprävention |
Lukas Brockfeld |
02.05.2024 17:54 Uhr |
Gesundheitsminister Lauterbach möchte die Suizidrate in Deutschland senken. / Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen
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Etwa 10.000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr durch die eigene Hand. Jeder dieser Fälle ist nicht nur für die Verstorbenen eine Tragödie. Schätzungen gehen davon aus, dass es bei einem einzelnen Suizid über 100 Angehörige gibt, die von den Folgen betroffen sind und die oft extrem unter diesem traumatischen Ereignis leiden.
Zwischen 1980 und 2006 hat sich die Zahl der Suizide in Deutschland fast halbiert, doch seitdem stagnieren die Zahlen. »Seit gut 20 Jahren nimmt die Zahl der Suizide in Deutschland nicht ab. Rund 10.000 Menschen nehmen sich pro Jahr in Deutschland das Leben. Das Schicksal der Betroffenen, der Angehörigen und Hilfskräfte darf uns nicht egal sein«, betonte Gesundheitsminister Lauterbach am Donnerstag auf einer Pressekonferenz.
»Wir müssen das gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid überwinden, psychische Erkrankungen von ihrem Stigma befreien und Hilfsangebote besser bündeln«, so der Minister. Mit der Nationalen Suizidpräventionsstrategie will die Bundesregierung jetzt für zielgenauere Hilfen und Vorbeugung sorgen. Lauterbach empfiehlt dazu unter anderem die Einrichtung einer bundesweiten Koordinierungsstelle für Beratungs- und Kooperationsangebote, besondere Schulungen für Fachkräfte in Gesundheitswesen und Pflege sowie die Entwicklung eines Konzepts für eine zentrale deutschlandweite Krisendienst-Notrufnummer.
Der Gesundheitsminister möchte zeitnah ein Gesetz zur Suizidprävention vorlegen. Er ist zuversichtlich, dass ihm der Haushaltsausschuss bei der Finanzierung entgegenkommen werde. Im vergangenen Jahr war seine Regierung von mehreren Bundestagsabgeordneten dazu aufgefordert worden, bis zum 30. Juni 2024 einen entsprechenden Referentenentwurf vorzulegen. Dieser soll einer ebenfalls geplanten gesetzlichen Neuregelung der Sterbehilfe vorausgehen.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will sich bei der Suizidprävention besonders auf die Risikogruppe der älteren Männer konzentrieren. Etwa drei Viertel der Selbsttötungen werden von Männern begangen, mit zunehmendem Alter steigt die Suizidrate dramatisch an. In der Gesamtbevölkerung liegt diese bei etwa 12 Selbsttötungen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, bei den über 90-jährigen Männern sind es fast 100 Suizide. Außerdem leiden schätzungsweise zwischen 50 und 90 Prozent der Suizidopfer an psychischen Erkrankungen, die aber nicht immer diagnostiziert werden.
Ältere Menschen lassen sich gut über Gesundheitseinrichtungen wie Hausarztpraxen oder Pflegeheime erreichen, daher eignen sich diese nach Ansicht des BMG besonders für Aufklärungs- und Entstigmatisierungskampagnen. Um gezielt ältere Männer zu erreichen, sollten beispielsweise urologische Praxen und vorwiegend von Männern genutzte Sport- und Freizeitangebote genutzt werden. Außerdem sollen Menschen, die bereits einen Suizidversuch unternommen haben, sowie deren Angehörige, gezielt in den Fokus genommen werden. Beide Gruppen haben ein erhöhtes Suizidrisiko.
Damit die Mitarbeitenden in Gesundheitseinrichtungen besser mit dem Thema Suizid umgehen können, möchte das BMG modellhaft Schulungen für Fachkräfte in der Medizin und in der Pflege entwickeln, um diese noch stärker für das Thema zu sensibilisieren und im Umgang mit gefährdeten Personen zu schulen. Sie sollen verstärkt in die Lage zu versetzt werden, bei Bedarf effektiv in weitergehende Hilfs- oder Therapieangebote zu vermitteln.
Um Maßnahmen gezielt zu koordinieren und ihre Wirksamkeit zu evaluieren, will das BMG ein deutschlandweites Suizidregister mit pseudonymisierten Daten einrichten. In diesem sollen alle Suizide und Suizidversuche erfasst werden. Außerdem will Lauterbach möglichst viele Daten zu Risikofaktoren und vermeintlichen Suizidgründen sammeln. Das soll auch dabei helfen, neue Risikogruppen frühzeitig zu erkennen. »Wir müssen Suiziden evidenzbasiert begegnen«, betonte der Minister.
Die bisherige Forschung konnte bereits mehrere wirksame Maßnahmen zur Suizidprävention identifizieren. Als besonders effektiv stellten sich Methodenrestriktionen heraus. Hiermit sind alle Maßnahmen gemeint, die den Zugang zu Mitteln und Orten für einen Suizidversuch begrenzen. Viele suizidale Handlungen werden nicht gründlich geplant, sondern erfolgen im Affekt in Situationen, in denen die Verfügbarkeit einer Suizidgelegenheit eine entscheidende Rolle spielt.
Lauterbach wünscht sich daher Maßnahmen wie verkleinerte Packungsgrößen von Schmerzmitteln und eine Begrenzung der Verfügbarkeit von Pestiziden. Außerdem könnte der Zugang zu Orten, die immer wieder für Suizide genutzt werden, begrenzt werden. »Am Rhein gibt es eine bestimmte Brücke, an der das Wasser nicht tief ist und eine starke Strömung herrscht, Suizide werden hier fast immer erfolgreich vollzogen, solche Hochrisikobereiche müssen wir in den Griff bekommen«, erklärte Lauterbach. Die besagte Brücke könnte beispielsweise durch ein Netz gesichert werden.
Die Bundesländer Bayern und Berlin haben bereits einen durchgehend erreichbaren Krisendienst für Menschen in seelischer Not. Am Telefon kann eine Sofortberatung erfolgen, falls nötig ist auch ein Besuch vor Ort möglich. Das BMG möchte ein entsprechendes Angebot in ganz Deutschland etablieren. Lauterbach schwebt dafür die Notrufnummer 113 vor. Außerdem wünscht er sich ein ergänzendes Online-Angebot. Auf einer Website sollen regelmäßig aktualisierte Informationen über Suizid und suizidale Krisen bereitgestellt werden.
Zur konkreten Umsetzung der genannten Pläne soll eine zentrale bundesweite Koordinierungsstelle zur Suizidprävention geschaffen werden. Diese soll die Maßnahmen koordinieren und vorantreiben und sich dabei eng mit den anderen Akteuren im Bereich Suizidprävention und Gesundheitsversorgung beraten und abstimmen.
Ute Lewitzka ist Vorstandsvorsitzende der »Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention« und stellte die Suizidpräventionsstrategie gemeinsam mit dem Gesundheitsminister vor. Sie sieht die Pläne des BMG als »wichtigen Schritt«, mahnte aber auch eine baldige gesetzliche Umsetzung und eine entsprechende Finanzierung an. »Gelingt es, die Suizidprävention gesetzlich zu verankern, dann kann die Suizidrate substanziell gesenkt werden. Die WHO hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Suizidrate um 30 Prozent zu senken. Ich finde Deutschland sollte ein mindestens genauso ambitioniertes Ziel haben«, erklärte Lewitzka.
Auch die stellvertretende Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt, äußerte sich am Donnerstag zu den Plänen ihres Parteigenossen Lauterbach: »Der vorgestellte Aktionsplan von Bundesgesundheitsminister Lauterbach wird einen Beitrag dazu leisten, den zuletzt steigenden Trend von Suiziden in Deutschland zu stoppen. Wir müssen nun alle vorhandenen Ressourcen bündeln, um zu verhindern, dass sich so viele Menschen in Deutschland das Leben nehmen.«