Lauterbach räumt späteren bundesweiten EPA-Rollout ein |
V.l.n.r.: Klaus Reinhardt (Präsident der Bundesärztekammer), Florian Fuhrmann (Vorsitzender der Gematik-Geschäftsführung), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Jens Baas (Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse) traten am Mittwoch gemeinsam vor die Presse. / © PZ/Orth
Heute geht es los: Nach langen Debatten um mögliche Sicherheitslücken und technische Detailfragen beginnt die Testphase der elektronischen Patientenakte (EPA) für alle. In den Modellregionen Hamburg mit Umland und in Franken sollen mehr als 250 Praxen, Apotheken und Krankenhäuser die Alltagsverwendung testen. Hinzu kommen einige Kliniken und Praxen in Nordrhein-Westfalen, hier sind die Apotheken allerdings nicht an dem Projekt beteiligt.
Die EPA soll medizinische Daten, Laborergebnisse und Diagnosen speichern und die Versicherten ein Leben lang begleiten. Für die Apotheken ist vor allem die elektronische Medikationsliste wichtig. Diese wird mit den Daten des E-Rezepts gefüllt und soll eine vollständige Übersicht über die Medikation der Patientinnen und Patienten bieten.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verspricht sich von der EPA eine deutliche Verbesserung der medizinischen Versorgung und eine Erleichterung der Arbeit von Heilberuflern. Außerdem sollen die Daten in pseudonymisierter Form der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Die elektronische Patientenakte gehört zu den Lieblingsprojekten von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
»Der heutige Tag markiert den Beginn einer neuen Epoche der Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems«, erklärte Lauterbach heute bei einer Pressekonferenz in Berlin. Mehr als 20 Jahre nach der Ursprungsidee werde die EPA für alle endlich Realität, das sei ein »Sprung nach vorn«. Die elektronische Patientenakte werde die Medizin verändern. Bisher sei es die Ausnahme, dass alle Daten vollständig vorlägen. Das habe insbesondere die Behandlung von Krebspatienten verschlechtert.
Künftig könnten Ärztinnen und Ärzte sämtliche Daten – etwa die Medikation eines Patienten – in der Übersicht sehen. Das könne Fehlbehandlungen verhindern und letztendlich Menschenleben retten. Zudem mache die Akte die Patienten mündiger, da sie sich auch selbst einen Überblick über ihre Befunde verschaffen könnten. Und nicht zuletzt könnten die Datensätze künftig für die Forschung verwendet werden. Das ermögliche Wissenschaftlern, herauszufinden, welche Behandlung am besten wirke.
Lauterbach ging auch auf mögliche Sicherheitslücken ein, vor denen der Chaos Computer Club zum Jahresende gewarnt hatte. So halten es die IT-Experten für möglich, dass sich Kriminelle Zugriff auf Millionen Digitalakten verschaffen könnten. Das Bundesgesundheitsministerium habe gemeinsam mit dem BSI Regeln gefunden, »wie wir den Start in den Regionen auf sicherem Stand ermöglichen können. Zur Einführung werden wir die technischen Probleme gelöst haben«, versicherte der Minister. Im Vergleich zu anderen Ländern werde es eine »sehr sichere EPA« geben.
Auf Nachfrage betonte Lauterbach, dass mögliche Massenzugriffe, vor denen der CCC gewarnt hatte, zu 100 Prozent ausgeschlossen werden müssten. Für die einzelne EPA könne es hingegen »nie eine 100-prozentige Sicherheit« geben. »Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine einzelne Akte angegriffen wird«, räumte er ein. Jeden Tag gebe es Sicherheitsprobleme in Praxen.
Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK), räumte ebenfalls ein, dass die Akte nie absolut sicher sein könne. Die EPA sei jetzt in der Startphase, darauf könne man aufbauen. »Wir dürfen in Deutschland nicht den Fehler machen, immer mit perfekten Produkten starten zu wollen«, betonte Baas. Man müsse eine Nutzen-Risiko-Abwägung machen; und der Nutzen überwiege bei der EPA. Aus Sicht des TK-Chefs werde die Akte nicht nur zu einer besseren Versorgung führen und die Forschung voranbringen, sondern könne auch zum Bürokratieabbau beitragen.
Die Sicherheit sei zentral für die Akzeptanz der Akte, betonte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Die Ärzteschaft sehe in der EPA eine große Chance für eine bessere Behandlung der Patienten. »Wir müssen davon ausgehen können, dass sie so sicher wie möglich ist«, sagte Reinhardt. Für die Ärzte sei zudem die Praktikabilität der Akte wichtig.
»Heute ist ein bedeutender Tag, denn heute legen die Kassen etwa 70 Millionen Akten an«, informierte Gematik-Geschäftsführer Florian Fuhrmann. Wichtig sei, dass die Softwarelösungen in den Modellregionen technisch funktionierten, praxistauglich und sicher seien. Nach erfolgreichem Abschluss der Pilotphase werde die EPA für alle bundesweit ausgerollt.
Bis zuletzt war offen, ob wegen der Sicherheitsbedenken der Zeitplan der EPA-Einführung gehalten werden kann. Geplant war, dass die Akte etwa vier Wochen nach der Pilotphase bundesweit ausgerollt werden soll. Bei der heutigen Pressekonferenz teilte Lauterbach auf Nachfrage mit, dass die Akte noch in dieser Legislaturperiode bundesweit eingeführt werden soll. Er rechne mit »März oder April«, sagte der Minister.
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) begrüßt den Start der elektronischen Patientenakte grundsätzlich. »Die Apotheken sind hochdigitalisierte Betriebe: Wir haben das E-Rezept vor einem Jahr erfolgreich in die bundesweite Gesundheitsversorgung eingeführt. Wir unterstützen jetzt auch die Einführung der elektronischen Patientenakte, um mittels Digitalisierung die Versorgung der Menschen zu verbessern«, sagte die DAV-Vizevorsitzende Anke Rüdinger in einer am Mittwoch veröffentlichten Pressemitteilung.
Die Patientinnen und Patienten erhielten durch die EPA eine transparente Übersicht über ihre Gesundheitsdaten. Gleichzeitig werde die EPA die Datengrundlage und Versorgungsqualität in den Apotheken verbessern. »Apothekerinnen und Apotheker können schließlich mit ihrer Arzneimittelexpertise die medikamentöse Gesamttherapie am besten analysieren und bewerten. Zum Erfolg der EPA braucht es allerdings Vertrauen in die Sicherheit und eine hohe Nutzerfreundlichkeit«, mahnte Rüdinger.
Die Ergebnisse der Pilotphase müssten laut Rüdinger genau ausgewertet werden. Hierzu stünden die Apotheken gerne als Partner zur Verfügung.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.