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Arzneimittel-Therapiesicherheit

»Lassen Sie uns offen über Fehler sprechen«

Fehler passieren, das ist menschlich. Doch man sollte sie nicht unter den Teppich kehren, sondern aus ihnen lernen und Maßnahmen treffen, dass sie nicht noch einmal passieren. Für einen offenen Umgang mit Medikationsfehlern wirbt nun eine Kampagne der »Apotheken Umschau« – und verweist auf die Bedeutung der Apotheke vor Ort als zentrale Säule zur Fehlerprävention.
Daniela Hüttemann
11.07.2024  14:00 Uhr

Kernstück der Kampagne ist eine Sonderausgabe der »Apotheken Umschau«, in der viele teils prominente Ärzte, darunter auch der FDP-Politiker und Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Andrew Ullmann, zwei Apotheker sowie Patienten und Angehörige über persönliche Medikationsfehler berichten. Die Beispiele zeigen, dass Medikationsfehler jedem passieren können und an jeder Stelle im Medikationsprozess, ob beim Arzt oder im Krankenhaus, in der Apotheke, im Pflegeheim oder zu Hause.

»Bei der Zahl der Todesopfer aufgrund vermeidbarer Medikationsfehler bewegen wir uns im Bereich der Verkehrstoten«, betonte Professor Dr. Kai Kolpatzik, Chief Scientific Officer des Wort & Bild Verlags, heute zum Kampagnenstart bei der Bundespressekonferenz. Nach Daten aus England sterben dort jährlich 2500 Menschen daran. In Deutschland müssen jedes Jahr aufgrund solcher vermeidbarer Medikationsfehler Schätzungen zufolge rund 250.000 Menschen ins Krankenhaus; das Bundesgesundheitsministerium schätzt die Kosten durch Medikationsfehler auf mehr als eine Milliarde jährlich.

»Auch in der Medizin müssen wir deshalb dahin kommen, über Fehler zu reden, aus Fehlern zu lernen und sie zu enttabuisieren – sowohl bei den Gesundheitsberufen als auch bei Patientinnen, Patienten und ihren Angehörigen«, so Kolpatzik, der selbst Mediziner ist. In Deutschland werde derzeit noch viel zu sehr der Schuldige gesucht, statt die Rahmenbedingungen zu analysieren, die einen Fehler überhaupt erst möglich gemacht haben.

Und diese werden sich mit mehr Druck im Gesundheitssystem und weniger Apotheken mit ihrer »Kontrollfunktion« bei der Abgabe rezeptpflichtiger Medikamente verschlechtern, fürchtet ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, die ebenfalls an der Pressekonferenz teilnahm.

Apotheken vor Ort als Schutzschild

»Apothekerinnen und Apotheker schützen ihre Patientinnen und Patienten vor Medikationsfehlern – jeden Tag rund um die Uhr, flächendeckend überall in Deutschland. Dieses Schutzschild muss auch in Zukunft gesichert bleiben«, betonte die ABDA-Präsidentin. Jeden Tag würden in den Apotheken vor Ort drei Millionen Menschen beraten. Dazu gehören auch unzählige Rücksprachen mit den verordnenden Ärzten, um eventuelle Probleme zu klären und Fehler zu vermeiden. Das erfordere eine sensible Kommunikation, um den Patienten nicht zu verunsichern und auch, damit sich derjenige, dem der Fehler passiert ist, nicht kompromittiert fühlt.

Mit drei Beispielen recht typischer Medikationsfehler aus dem CIRS-Netzwerk NRW verdeutlichte Overwiening den Journalisten, wie wichtig es ist, genau hinzuschauen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Im ersten Fall wurde die betroffene Patienten vor einer Überdosierung durch eine Doppelverordnung wirkstoffgleicher Arzneimittel geschützt, was im Rahmen einer Medikationsanalyse auffiel. Und nicht nur das: »Die Krankenkasse konnte die Ausgaben für das zweite Präparat und die gesundheitlichen Folgekosten einer doppelten Einnahme einsparen«, verdeutlichte Overwiening.

Im zweiten Beispiel, einer Rezeptur für ein herzkrankes Kind, hätte es ohne Plausibilitätsprüfung der Apothekerin aufgrund einer vertauschten Wirkstärke bei HCT und Spironolacton  zu einem niedrigen Kalium-Spiegel und Herz-Rhythmus-Störungen kommen können. Im dritten Fall hatte ein Epilepsie-Patient aufgrund eines Lieferengpasses ein anderes Lacosamid-Präparat als gewohnt erhalten. Die neue Tablette war mit einer »75« geprägt, obwohl sie 150 mg Wirkstoff enthielt. »Der Aufdruck war also irreführend und der Patient nahm zwei Tage lang die doppelte Dosis ein«, erläuterte die Apothekerin. Der Patient berichtete über Nebenwirkungen in der Apotheke und die Apothekerin fand den Fehler. 

»An wen hätte sich der Patient wenden sollen, wenn keine kompetente Apotheke erreichbar gewesen wäre?«, fragte Overwiening und machte in diesem Zusammenhang auf die zerstörerischen Apothekenreform-Pläne des Bundesgesundheitsministeriums aufmerksam. »Unterm Strich steht eine massive Patientengefährdung.«

Für eine erfolgreiche und sichere Arzneimitteltherapie brauche es das Fachwissen von Apothekern – und eine Vertrauensbasis zum Patienten in einem geschützten Raum, um vermeintlich banale Fragen stellen zu können, einen Verdacht zu äußern oder auch zuzugeben, etwas anders als verordnet gemacht zu haben. 

AkdÄ-Präsident überlässt Interaktionscheck lieber Apothekern

Dafür gab es große Zustimmung von Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, niedergelassener Onkologe und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Er findet Karl Lauterbachs Pläne »skandalös, wenn auch nicht überraschend«. »Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch dumm«, fand er klare Worte.

»Ich verstehe meine Kollegen nicht, die aus Eitelkeit meinen, sie wüssten besser als Apotheker über Neben- und Wechselwirkungen Bescheid«, besonders im Hinblick auf die vielen neuen Medikamente. Er selbst sei »heilfroh«, dass er keinen Interaktionscheck in seiner Praxis durchführen müsse, das sei Aufgabe der Apotheke und klappe sehr gut. Es gehe um die beste Versorgung und Sicherheit der Patienten, was doch ein gemeinsames und oberstes Ziel sei. »Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit und gute Kommunikation zwischen den Berufsgruppen, aber auch eine bessere Publikation und fachliche Bewertung (potenzieller) Fehler).«

Dabei helfen Plattformen wie das CIRS-Netzwerk (Critical Incident Reporting System), in dem Ärzte, aber zum Teil auch Apotheker und Pflegekräfte Fehler anonym melden und miteinander analysieren können. In NRW sind dort auch die beiden Apothekerkammern beteiligt. Ludwig appellierte zudem an Apotheker und Ärzte, Medikationsfehler und Nebenwirkungen an die Arzneimittelkommissionen zu melden.

Fehler melden und analysieren

»Fehler passieren! Das kann man leider niemals ganz ausschließen«, sagte auch die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Claudia Moll in einer Videobotschaft. Um Fehler zu vermeiden, müssten auch Arbeitsabläufe so gestaltet werden, dass Pflegekräfte zum Beispiel das Stellen von Medikamenten mit Sorgfalt und unter möglichst wenig Druck erledigen können. Fehlervermeidung funktioniere nur im Team, und zwar interdisziplinär.

Das Thema in die Öffentlichkeit will nun die »Apotheken Umschau« tragen. Im Titelthema der kommenden Ausgabe heißt es »Finde den Fehler«. Es umfasst Interviews, echte Fälle, wichtige Informationen zur

Arzneimitteltherapie und Medikationsanalyse sowie eine Checkliste im Postkartenformat für den Arzneischrank. Dazu gibt es eine Sonderausgabe »Über Fehler reden« mit 16 persönlichen Fehler-Geschichten und weiteren Artikeln. Patienten finden zudem Informationen und einen ersten Wechselwirkungscheck unter www.richtig-einnehmen.de.

Eine Sicherheitskultur zu etablieren, brauche einen langen Atem, so Wort & Bild-Experte Kolpatzik. Der Verlag wolle das Themen über die kommenden Jahre vertiefen, um bei den Patienten einen achtsamen und mündigen Umgang mit ihrer Arzneimitteltherapie zu fördern.

Auf die Journalisten-Frage, wie häufig denn mittlerweile Medikationsanalysen in Apotheken durchgeführt werden, antwortete ABDA-Präsidentin Overwiening, dass mittlerweile 40 Prozent der Apotheken pharmazeutische Dienstleistungen anbieten. Dafür brauche es nicht nur einen neuen Workflow, sondern auch noch mehr Verständnis und Nachfrage auf Patientenseite. »Wir bauen das gern weiter aus, sofern es auch weiter Apotheken mit Apothekern gibt«, so Overwiening mit Blick auf die Apothekenreformpläne. 

Prominente Ärzte und ein Apotheker sprechen über Fehler

In der Sonderausgabe berichtet zum Beispiel einer der Mitbegründer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Professor Dr. Ferdinand Gerlach, dass er einmal aufgrund einer fehleranfälligen Routine in seiner Praxis eine Patientin doppelt gegen Influenza geimpft hat. Den Fehler habe er in seinem Praxisteam besprochen und ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt.

Ullmann, damals noch am Uniklinikum Mainz tätig, war durch die damalige Chefapothekerin auf eine Wechselwirkung bei einer Krebspatientin zwischen Chemotherapie und Statin aufmerksam gemacht worden und fand gemeinsam mit ihr eine Alternative. »Ich habe als Arzt gelernt, wie wichtig der bewusste Umgang mit Fehlentscheidungen ist – anfangs ist mir das nicht leichtgefallen«, gibt er zu.

Und auch ein praktisch tätiger Apotheker kommt in der Broschüre zu Wort. Ein insulinpflichtigen Diabetiker, der zusätzlich schweres Asthma entwickelt hatte, bekam nun Omalizumab als Fertigspritze, berichtet Dr. Philipp Kircher, der selbst zum Thema korrekte Arzneimittelanwendung Vorträge hält. Beim Versuch, eine Luftblase zu entfernen, wie er es vom Insulin spritzen gewohnt war, ging bei diesem Patienten ein Großteil der teuren Antikörper-Dosis verloren, und er brauchte ein neues Rezept. »Es entstand ein erheblicher finanzieller Schaden. Ich hätte den Patienten besser aufklären können«, so Kircher selbstkritisch.

»Wir diskutierten im Team, dass mein Patient durch meine unzureichende Beratung unwissentlich einen Fehler gemacht hatte. Ich hätte ihm die Unterschiede zwischen einem Insulin-Pen und einer gebrauchsfertig gefüllten Spritze verdeutlichen müssen. Anders als beim Pen führt die Blase bei der Einmalspritze nicht zu einer Fehldosierung. Nach dem Vorfall habe ich viel recherchiert. Daraus entstand ein Vortrag, mit dem ich Kolleginnen und Kollegen für dieses und ähnliche Probleme sensibilisieren möchte.«

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