Korf warnt vor Absturz auf 10.000 Apotheken |
Alexander Müller |
23.04.2024 12:02 Uhr |
Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie der ABDA, stellte beim DAV-Wirtschaftsforum die aktuellen Wirtschaftszahlen vor. / Foto: ABDA/André Wagenzik
Beim DAV-Wirtschaftsforum in Potsdam stellten Claudia Korf und Eckart Bauer, Abteilungsleiter Wirtschaft und Soziales bei der ABDA, den Apothekenwirtschaftsbericht 2024 vor.
Die Zahl der Apotheken ist im vergangenen Jahr weiter gesunken: Um 497 auf 17.571 – das war der niedrigste Stand seit 1979. Der Rückgang setzte sich im ersten Quartal 2024 fort: Ein Minus von 142 Apotheken zwischen Januar und März entspricht laut den DAV-Zahlen dem stärksten Rückgang in einem Quartal seit Beginn der Aufzeichnung im Jahr 1956. Ende März gab es bundesweit nur noch 17.429 Apotheken.
Für die Menschen in Deutschland sind die Folgen inzwischen spürbar: Im Vergleich zu 2018 müssen heute mehr als 2 Millionen Menschen längere Wege bis zur nächsten Apotheke zurücklegen, so Korf mit Verweis auf eine IQVIA-Studie. Bei knapp 500.000 Personen ist die Entfernung sogar erheblich angestiegen. Längere Wege bedeuteten aber eine Leistungskürzung, so Korf.
Die Chefökonomin der ABDA befürchtet einen weiteren Rückgang der Apotheken. Ein Jahr lang könnten Apotheken Verluste vielleicht noch aushalten mit eigenen Rücklagen. Krank seien diese Betriebe trotzdem. »Selbst wenn heute eine Reform käme, wäre es für einige zu spät«, so Korf.
»Nichtstun bedeutet implizit, ein anderes System haben zu wollen«, so Korf. Die Politik müsse jetzt Farbe bekennen. Denn ein Viertel der Apotheken sei »akut gefährdet«. Sollte die Politik jetzt nicht gegensteuern und die Apotheken stärken, drohe ein weiterer massiver Rückgang der Apotheken. In den kommenden drei Jahren könnte ein Wert von 13.000 Apotheken erreicht werden, im ungünstigeren Fall sogar auf etwa 10.000. Wenn die Politik jetzt nicht handele, »ist das nicht mehr nur respektlos, es ist verantwortungslos«, so Korf.
Doch nicht nur das seit Jahren eingefrorene Honorar macht den Apotheken Kummer. Der Gesamtumsatz stieg 2023 zwar leicht auf 66,36 Milliarden Euro (2022: 64,20 Mrd. Euro). Beim Absatz von insgesamt 1.388 Millionen Packungen ist im Vergleich zum Vorjahr (1.404 Millionen) dagegen ein Rückgang zu bemerken.
Hier spielt laut Korf vor allem die Abwanderung in den Versandhandel eine Rolle, wie die Detailbetrachtung der Umsatz- und Absatzentwicklung zeigt. Der OTC-Umsatz in Apotheken sank um 1,6 Prozent auf knapp 6,4 Milliarden Euro, die Zahl der abgegebenen Packungen sogar um 1,4 Prozent auf 647 Millionen. Bei den Nichtarzneimitteln war der Absatzrückgang um 8,5 Prozent sogar noch deutlicher.
Der Versandhandel konnte dagegen beim OTC-Umsatz von knapp 1,7 Milliarden Euro um 7,8 Prozent zulegen, obwohl auch hier weniger Packungen (153 Millionen Packungen, -1,9 Prozent) abgegeben wurden. Unter dem Strich konnten die Versender ihren Marktanteil nach Umsatz auf 21,3 Prozent steigern. Kein Land in Europa habe einen so hohen Versandanteil. Dieser Trend hat sich im neuen Jahr beschleunigt, zeitgleich mit der Einführung des E-Rezepts. So konnten die Versender ihren OTC-Umsatz im Quartalsvergleich um fast 15 Prozent steigern. Offenbar könnten die Versender hier einiges an »Beifang« einheimsen, wenn Kundinnen und Kunden ohnehin schon ihr E-Rezept online einlösten.
Korf stellte erneut die Eckpunkte der geplanten Apothekenreform von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) vor, den die Apothekern »unter dem Weihnachtsbaum« gehabt hätten. Eigentlich hätte man den Referentenentwurf »im Osternest« erwartet, »aber der Kampf wurde abgesagt«, so Korf mit Verweis auf die Hängepartie. Die Eckpunkte sehen unter anderem eine Honorarumstellung vor sowie Videokonsultationen in Apotheken, in denen kein Approbierter vor Ort sein muss.
Wie weit Politik und Standesvertretung auseinanderliegen, wurde bei der Gegenüberstellung dieser Eckpunkte mit den Kernforderungen der ABDA deutlich. Die Apothekerschaft fordert ein Fixum von 12 Euro. Auch Korf weiß, dass das viel verlangt ist, sieht das aber aufgrund der langen Durststrecke für angemessen: »Wenn du es elf Jahre aufschiebst, wird es teurer«, so Korf in Richtung der Politik.
Lauterbach will dagegen fast ausschließlich umverteilen. Mögliche Folgen dieser Pläne hat die ABDA von Volkswirt Professor Georg Götz durchrechnen lassen, das Gutachten wird ebenfalls beim DAV-Wirtschaftsforum vorgestellt. Damit legt die ABDA vor, denn Lauterbachs Pläne sehen vor, dass der DAV zusammen mit den Krankenkassen ein Gutachten erstellen lässt, auf dessen Basis dann ein neues Honorar ab 2027 verhandelt werden soll. »Wir haben keine Zeit, wir können nicht warten«, sagte Korf.
Zwar wollte Korf sich nicht auf billiges »Politiker-Bashing« einlassen. Für die Politik von Lauterbach hat sie aber eindeutig kein Verständnis und zweifelte diese Besetzung im Kabinett grundsätzlich an: »Experte sein ist toll. Aber Experte sein ohne Empathie ist kein guter Minister.«
Korf sprach von einer »Quadratur des Problems«, wenn man die Entwicklung der Apothekenvergütung zwischen 2013 und 2023 im Vergleich mit anderen Kennzahlen betrachte. Die GKV-Einnahmen seien in diesem Zeitraum um 64 Prozent gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt gar um 51 Prozent. Die Apotheken konnten dagegen nur um 10,2 Prozent je Rx-Packung zulegen und das bei massiv gestiegenen Personalkosten (+76 Prozent) und Sachkosten (+41 Prozent). Allein die aktuelle Forderung der Apothekengewerkschaft Adexa nach einer Tariferhöhung um 10,5 Prozent würde die Apotheken laut Korf jährlich mit 650 Millionen Euro zusätzlich belasten. »Dass das nicht funktioniert, kann sich ein Grundschüler ausrechnen«, so Korf.
Zum Schluss ging Korf noch auf die verpflichtende Einführung des E-Rezepts ein – und auf die wiederkehrenden Ausfälle in den ersten Wochen und Monaten. Neben den technischen Aussetzern gibt es die bekannten Fehlerquellen auf Verordnerseite – Freitextfelder, Berufsbezeichnung, Stapelsignatur. In den Apotheken könne es dagegen beim gleichzeitigen Einlösen mehrerer E-Rezepte an unterschiedlichen Arbeitsplätzen zu Verwechslungen kommen, da die Benutzeroberfläche die Rezepte an allen Monitoren anzeige.
Retaxationen bei E-Rezepten seien in der Regel Folgen von Abgabefehlern, also etwa der Nichtbeachtung des Rabattvertrags. Aber es gibt Korf zufolge auch Retaxationen, die aufgrund falscher Datenauslesung bei den Krankenkassen auftreten: Hier würden Dosierangaben oder Aut-Idem-Kreuze nicht gesehen oder das Vorlagedatum der Quittung nicht anerkannt. Ende Mai gibt es noch eine Verhandlungsrunde mit dem GKV-Spitzenverband über eine Friedenspflicht. Wenn es hier nicht zu einer Lösung kommt, werde der DAV dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) wieder einen »Liebesbrief« schreiben, kündigte Korf an.
Der Anteil der elektronischen Verordnungen liegt inzwischen bei 72,3 Prozent. Mit der Einführung des Card-Link-Verfahrens als viertem Weg könnte dieser Wert noch einmal steigen, da nun auch die Versender eine EGK-Lösung gebaut bekommen haben.
Die Nutzung von KIM (Kommunikation im Medizinwesen) sei dagegen »kein zugelassener Übermittlungsweg für den Regelfall«, so Korf. Rechtlich unzulässig sei die Direktübermittlung von der Arztpraxis an eine Apotheke. Möglich sei allenfalls eine Direktübermittlung von der Praxis an das Pflegeheim, sofern der Heimpatient eine entsprechende Empfangsbevollmächtigung erteilt habe.
Eine Interaktion zwischen Heim und Apotheke sei aktuell nicht flächendeckend möglich, so Korf. Denn stationäre Pflegeinrichtungen benötigen eine Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) und eine KIM-Adresse. Von den rund 12.000 stationären Pflegeeinrichtungen verfügen nach Korfs Zahlen aber nur knapp 500 über eine KIM-Adresse. Mit der flächendeckenden Einführung der Gesundheits-ID dürften sich aber auch die Einlösewege noch einmal verschieben.
Zum Abschluss wollte Korf den Apothekerinnen und Apothekern aber dennoch etwas Hoffnung machen. »Mut heißt nicht, keine Angst zu haben, sondern trotzdem zu handeln!«
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.