| Christina Hohmann-Jeddi |
| 04.12.2025 18:00 Uhr |
Derzeit unterbleiben Notfall-Übungen in Krankenhäusern häufig aus Kostengründen – einer Befragung zufolge trainiert nur die Hälfte der Krankenhäuser ihr Personal in der Umsetzung der Notfallpläne. / © Getty Images/Science Photo Library
Um in Krisen handlungsfähig zu sein, ist Vorbereitung nötig. Über die aktuelle Situation im deutschen Krankenhaussystem sprachen Experten am heutigen Donnerstag bei einer Presskonferenz der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) anlässlich deren Jahrestagung in Hamburg.
Die überwiegende Mehrheit der Krankenhäuser in Deutschland hätten bereits Notfallpläne für bestimmte Szenarien ausgearbeitet, berichtete Professor Dr. Andreas Markewitz, medizinischer Geschäftsführer der DIVI und Oberstarzt a.D. In der Schublade nützten sie aber nichts, die Pläne müssten auch geübt werden. »Das kostet etwas«, machte Markewitz deutlich.
Durch Personalausfall und Materialnutzung könnten Berechnungen zufolge pro Übung in einem Großkrankenhaus Kosten von 50.000 bis 100.000 Euro entstehen, ergänzte der DIVI-Past-Präsident Professor Dr. Felix Walcher. Bei Großübungen auf Stadtebene, an denen auch etwa Polizei, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk beteiligt sind, könnten Kosten von 500.000 Euro zusammenkommen.
Für die Finanzierung seien Bund, Länder und Gemeinden verantwortlich, sagte Markewitz. Aus Eigeninitiative allein könnten die häufig wirtschaftlich schwachen Krankenhäuser diese Aufgabe nicht erfüllen. Hier sei die Politik gefordert, die benötigten Gelder bereit zu stellen. »Es muss im Rahmen einer gesetzlichen Regelung festgelegt sein, wie oft geübt wird, und die Übungen werden dann aber auch bezahlt«, forderte Walcher. Derzeit unterbleiben solche Übungen häufig aus Kostengründen – einer Befragung zufolge trainiert nur die Hälfte der Krankenhäuser ihr Personal in der Umsetzung der Notfallpläne, so Walcher.
Dass Schulungen und Übungen zu Ernstfällen effektiv sind, zeige das Beispiel des Universitätsklinikums Magdeburg, über das Walcher, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie dort, berichtete. Das Universitätsklinikum Magdeburg sei eines der zwei Krankenhäuser gewesen, die nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt vor einem Jahr die Mehrheit der Verletzten behandelt hatten. Es kam an dem Tag zu einem hohen Aufkommen an Verletzten mit 300 Betroffenen, berichtete der Unfallmediziner. Er habe sein Team zuvor über Jahre wiederholt für solche Notfälle üben lassen.
Nach den Anschlägen in Paris auf den Konzertsaal Bataclan und in Berlin auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz sei ihm klar gewesen, dass solche Krisensituationen überall auftreten könnten. Als dann der Anschlag in Magdeburg erfolgte, waren alle Teams der Uniklinik von der Unfallchirurgie über die Allgemeinchirurgie bis hin zu Anästhesie und psychosoziale Krisenintervention geschult gewesen. »Das Notfallkonzept war innerhalb kürzester Zeit auf aktiv gestellt«, berichtete Walcher. Das Personal habe die Anforderung gut gemeistert. Er appellierte an alle Kolleginnen und Kollegen: »Bereitet euch vor.«
Professor Dr. Uwe Janssens, Generalsekretär der DIVI, betonte: »Wir haben Probleme jenseits von Kriegen, die jederzeit auftreten können – dessen müssen wir uns bewusst sein.« Für den Notfall müssten nicht nur Notfallpläne erarbeitet und das Personal ausreichend geschult sein, sondern auch ausreichend Schutzausrüstung, alle notwendigen Materialien und Arzneimittel eingelagert sein.
Zudem sind über die akute Versorgung hinaus auch weitere Aspekte der Vorbereitung auf Krisensituationen zu berücksichtigen, etwa bauliche Maßnahmen oder die Ausarbeitung von Logistiklösungen und die Sicherstellung von Stromversorgung und IT-Sicherheit.
Laut einem aktuellen Gutachten der Deutschen Krankenhausgesellschaft, das Ende Oktober vorgestellt wurde, besteht hier noch in einigen Bereichen ein Defizit: So seien die deutschen Krankenhäuser in ihrer derzeitigen Struktur nur bedingt krisen- und verteidigungsfähig.
»In fünf zentralen Bereichen – Personal, Cybersicherheit, physische Sicherheit, Lagerhaltung für medizinische Vorräte und Vorbereitung auf biologische, chemische und nukleare Bedrohungen – bestehen erhebliche Schwächen«, heißt es in der Mitteilung der Gesellschaft vom 28. Oktober.
Aktuelle Krankenhausalarm- und Einsatzpläne deckten zwar zivile Katastrophen ab, es fehle aber an Konzepten für militärische Bedrohungen mit klaren Zuständigkeiten und ausreichender Finanzierung. Vor allem die IT- und Kommunikationssicherheit sowie der direkte Schutz der Gebäude müssten verbessert werden.
Langfristig müssten auch bauliche Konzepte mitgedacht werden, etwa der Neubau von Krankenhäusern mit geschützten unterirdischen Operationsbereichen, heißt es in der Mitteilung.
Das bestätigten auch die DIVI-Experten. Derzeit inspizierten viele Klinikleitungen die Keller der Gebäude, um nach geschützten Räumen für den Notfall zu schauen. Das seien Erkenntnisse aus der Ukraine, wo quasi keine Krankenhäuser mehr überirdisch arbeiteten.
Dem Gutachten zufolge sind erhebliche finanzielle Mittel nötig, um das deutsche Krankenhaussystem krisenresilient zu machen. Der Bedarf liegt bei 20 Milliarden Euro Investitionskosten und 2 Milliarden Euro Betriebskosten pro Jahr.
»Das Mindset ›Wir müssen etwas tun‹ ist in der Politik angekommen«, sagte Walcher. So sei im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten, dass gesetzliche Rahmenbedingungen für den Gesundheitssektor und den Rettungsdienst im Zivilschutz sowie im Verteidigungs- und Bündnisfall geschaffen werden sollen, »mit abgestimmter Koordinierung und eindeutigen Zuständigkeiten«. Jetzt müssten sich die entsprechenden Ressorts noch einigen, Verantwortungen festlegen und die Finanzierung klären, sagte der Mediziner.