Klimawandel: Gesundheitssektor muss handeln |
Melanie Höhn |
02.06.2023 13:00 Uhr |
Neben verschiedenen themenspezifischen Handlungsempfehlungen haben alle Beiträge des neuen RKI-Berichts eines gemeinsam: Sie weisen auf einen anhaltend hohen Forschungsbedarf hin. / Foto: IMAGO/Bihlmayerfotografie
Mehr Hitzetote, neue und vermehrt auftretende Infektionskrankheiten, erhöhte Allergiebelastung, Zunahme von Antibiotikaresistenzen, mehr Lungenerkrankungen als Folge zunehmender Feinstaubbelastung, mehr Hautkrebs durch erhöhte UV-Strahlung – das sind einige der negativen Folgen des Klimawandels für die Gesundheit der Bevölkerung, die ein neuer Bericht unter Federführung des Robert-Koch-Instituts (RKI) aufzeigt. Die Koordination der Publikation erfolgt im Rahmen des Projekts »KlimGesundAkt«, das durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird.
»Der Klimawandel ist die größte Herausforderung für die Menschheit, er bedroht unsere Lebensgrundlage und somit unsere sichere Zukunft«, so beginnen die Leiterinnen und Leiter von Behörden in Deutschland, die an Public-Health-Themen arbeiten, ihr Editorial zum neuen Bericht. Die Autoren kommen aus elf Einrichtungen: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bundesamt für Naturschutz, Bundesamt für Strahlenschutz, Bundesinstitut für Risikobewertung, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Bundesanstalt für Gewässerkunde, Deutscher Wetterdienst, Friedrich-Loeffler-Institut, Thünen-Institut, Umweltbundesamt sowie RKI. Insgesamt gibt es mehr als 90 Autorinnen und Autoren aus über 30 Forschungseinrichtungen und Behörden.
»Neben verschiedenen themenspezifischen Handlungsempfehlungen haben alle Beiträge eines gemeinsam: Sie weisen auf einen anhaltend hohen Forschungsbedarf hin. Auch erweitertes Monitoring vieler gesundheitlicher Auswirkungen des Klimawandels wird empfohlen«, so das Resüme der Editorial-Autorinnen und -Autoren. Der Klimawandel betrifft viele weitere Handlungsfelder, die mit gesundheitsbezogenen Aspekten zusammenhängen, beispielsweise das Bauwesen oder die Stadt- und Raumentwicklung. »Daher erfordern gesundheitssensibler Klimaschutz und Klimawandelanpassung eine intersektorale Zusammenarbeit und den Austausch verschiedener Akteurinnen und Akteure im Sinne von One Health und Health in All Policies«, betonen die Autorinnen und Autoren des Editorials und haben dazu passend die Überschrift formuliert: »Gemeinsam können wir den Auswirkungen des Klimawandels begegnen«.
Marina Treskova, Post-Doc am Climate-Sensitive Infectious Diseases lab (CSIDlab), Heidelberg Institute of Global Health (HIGH), Universität Heidelberg, resümiert: »Ich möchte gerne die Botschaft des Berichts unterstützen, dass es insbesondere auch im Gesundheitssektor an der Zeit ist, zu handeln und nicht abzuwarten. Und wir müssen unsere Gesundheitssysteme widerstandsfähiger machen, wissenschaftsbasierte Anpassungsmaßnahmen entwickeln und diese auch zeitlich umsetzen«. Elke Hertig, Inhaberin der Professur Regionaler Klimawandel und Gesundheit, Universität Augsburg und Autorin des Sachstandsberichts, ergänzt: »Die wissenschaftliche Evidenz ist klar, und wir müssen jetzt ins Handeln kommen. Das wird nur gehen, wenn wir sektorübergreifend zusammenarbeiten«.
Laut Professor Klaus Stark, Leiter des Fachgebiets Gastroenterologische Infektionen, Zoonosen und tropische Infektionen, Robert-Koch-Institut (RKI), Berlin und Autor des Sachstandsberichts, muss das Thema der klimasensitiven Infektionserreger stärker in den Fokus kommen. »Das betrifft die gesamte Gesellschaft. Das betrifft jeden Bürger und jede Bürgerin, das betrifft die Ärzteschaft, das betrifft aber insbesondere auch zuständige Behörden und Institute, die entsprechende Maßnahmen ergreifen können.« Schon jetzt begünstigten gestiegene Temperaturen die Verbreitung einiger in Deutschland untypischer Tiere, sagte Mitautor Klaus Stark. »Bestimmte neue Zeckenarten dringen nach Deutschland vor«, sagte der RKI-Epidemiologe. Zum Beispiel die Hyalomma-Zecke, die laut Stark bis vor wenigen Jahren nicht in Deutschland vorkam und die bakterielle Erreger von Fleckfieber übertragen kann. »Es gibt in den letzten Jahren klare Trends, dass ein Teil der klimasensitiven Erreger zugenommen hat.« Dadurch steige das Risiko von Infektionskrankheiten. Ebenfalls häufiger auftreten werde die Asiatische Tigermücke – sie kann Erreger von Dengue-Fieber und Gelbfieber oder das Zika-Virus an Menschen weitergeben. »Das heißt nicht, dass wir in den nächsten ein, zwei Jahren sofort Übertragungsfälle in Deutschland haben werden.« Ausschließen könne er dies aber nicht.
Darüber hinaus bringt der Klimawandel den Autoren zufolge zahlreiche weitere Risiken mit sich – zum Beispiel durch einen Anstieg von bakteriellen Resistenzen oder die Vermehrung von Vibrionen im Wasser. Zu diesen zählt etwa das Bakterium Vibrio vulnificus, das natürlicherweise in Meer- und Brackwasser vorkommt - vermehrt bei Temperaturen ab circa 20 Grad. Schon durch sehr kleine Wunden können diese Erreger in die Haut eindringen, wie Stark erklärt. »Bei älteren Personen oder Personen mit geschwächtem Immunsystem können diese Infektionen zu schwersten Wundinfektionen oder schwersten Blutvergiftungen führen, die rasch mit Antibiotika behandelt werden müssen«, so der RKI-Experte. Wenn eine Behandlung nicht unmittelbar erfolge, könnten Menschen an der Infektion sterben.
Auch Hitzewellen können in Zukunft laut dem Bericht vermehrt ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko darstellen. Vor allem ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen seien gefährdet, sagte Elke Hertig. Derzeit gebe es in Deutschland jährlich zwei bis drei Hitzewellen. Je nach Fortschreiten der Erderwärmung könnte es zum Ende des Jahrhunderts bis zu vier oder sogar sechs Hitzewellen pro Jahr geben. Im vergangenen Jahr verursachten Hitzewellen RKI-Angaben zufolge hierzulande etwa 4500 Todesfälle.