Klein, lebensnotwendig, störanfällig |
Kerstin A. Gräfe |
27.05.2022 10:30 Uhr |
Die relativ kleine Schilddrüse hat eine große Bedeutung für den Körper. Sie steuert zahlreiche komplexe Stoffwechselvorgänge. / Foto: Adobe Stock/Rasi
»Die Schilddrüse reguliert mehr oder weniger alle unsere körperlichen Funktionen«, sagte Professor Dr. Gerhard Hintze von der Asklepius Klinik in Bad Oldesloe beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran. Herzrhythmus, Knochenstabilität, Wärmehaushalt und Darmtätigkeit seien nur wenige Beispiele. Demzufolge mündeten Störungen des fein austarierten Kreislaufs Hypothalamus, Hypophyse und Schilddrüse in vielfältigen Symptomen. Die Hauptaufgabe der Schilddrüse sei die Produktion der jodhaltigen Hormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3), wobei deren Großteil an Trägerproteine gebunden sei. »Wirksam sind lediglich die freien Anteile fT3 und fT4 in der Peripherie«, informierte der Endokrinologe.
Die häufigste Erkrankung der Schilddrüse sei eine Struma. »Struma ist ein Symptom, keine Diagnose«, betonte der Referent. Die Vergrößerung der Schilddrüse könne im Rahmen zahlreicher Erkrankungen auftreten, in der Mehrzahl der Fälle liege jedoch ein Jodmangel zugrunde. Eine euthyreote Jodmangelstruma, bei der TSH in ausreichender Menge produziert wird, sei in der Regel symptomfrei. Je nach Vergrößerung könnten aber auch Schluck- oder Atembeschwerden sowie ein Enge-/Kloßgefühl im Hals auftreten.
Als Therapie bei Kindern und Jugendlichen sei die alleinige Gabe von 100 bis 200 µg Iodid/Tag meist ausreichend. Bei jüngeren Erwachsenen sei die Kombinationstherapie aus Jod (200 bis 400 µg Iodid/Tag) und Levothyroxin (100 bis 125 µg/Tag) am effektivsten. Bei älteren Patienten hingegen sei der Therapieerfolg gering. In diesem Fall müsse immer eine Einzelfallentscheidung getroffen werden.
»Alle Behandlungsmöglichkeiten erzielen hinsichtlich der Größenabnahme in etwa das gleiche maximale Ergebnis, das nach ein bis zwei Jahren erreicht ist«, sagte Hintze. Je jünger der Patient, desto effektiver die Therapie. Haben sich bereits Knoten gebildet oder führt die Größe der Schilddrüse zu mechanischen Komplikationen, können eine Operation oder Radiojodtherapie indiziert sein.
Deutschland sei entsprechend den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Gebiet mit mildem bis moderatem Jodmangel. Dieser sei vor allem während einer Schwangerschaft infolge eines größeren Verteilungsvolumens, gesteigerten Jodbedarfs sowie einer erhöhten Jodclearance ausgeprägt. Die Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfehle, dass jede Schwangere zur Prophylaxe einer schwangerschaftsassoziierten Struma 150 bis 200 µg Iodid pro Tag einnehmen sollte.
Werde eine Schilddrüsenüberfunktion diagnostiziert, müsse zwischen autoimmunbedingter Hyperthyreose (Morbus Basedow), Hyperthyreose bei Autonomie und Thyreoiditis unterschieden werden. »Wir haben hier zur Behandlung drei therapeutische Säulen – Thyreostatika, Radiojodtherapie und Operation«, sagte der Arzt. Zudem werde häufig ein Betablocker eingesetzt. Verwendet werde vor allem Propranolol, da der Wirkstoff auch die Konversion von T4 zu T3 hemmt. Einen günstigen Einfluss habe möglicherweise auch die Einnahme von Selen (200 µg täglich).
Professor Dr. Gerhard Hintze, Asklepius Klinik in Bad Oldesloe / Foto: PZ/Alois Müller
Zunächst werden alle Patienten thyreostatisch mit Thiamazol oder Carbimazol behandelt. Propylthiouracil (PTU) stelle aufgrund potenzieller schwerer Leberschäden nur noch ein Reservemedikament dar. Eine Ausnahme sei die Behandlung eines Morbus Basedow während der Schwangerschaft. Hier komme PTU im ersten Trimenon zum Einsatz, da Thiamazol mit einem höheren Missbildungsrisiko assoziiert sei. Die thyreostatische Dosis werde über ein bis anderthalb Jahren stetig reduziert, danach sollte ein Auslassversuch folgen. Bei einem Rezidiv sei eine definitive Therapie durch Operation oder Radiojodbehandlung zu empfehlen, so Hintze.
»Hingegen denkbar einfach zu behandeln ist die Hypothyreose«, sagte Hintze. Die Behandlung bestehe aus der lebenslangen Substitution des fehlenden Hormons Levothyroxin. Dosis und Therapieziel seien individuell anzupassen.