Klarstellung zu neuen Retax-Regeln |
Cornelia Dölger |
25.10.2023 16:30 Uhr |
Arzneimittel nicht verfügbar? Fürs Lieferengpass-Management bekommen Apotheken laut ALBVVG 50 Cent – pro Arzneimittel oder pro Packung? Unter anderem hierzu erklärte das BMG nun seine Sichtweise. / Foto: ABDA
Das in diesem Sommer in Kraft getretene Lieferengpassgesetz (ALBVVG) soll den Apotheken Erleichterungen bei der Arzneimittelabgabe verschaffen. Wenn ein Arzneimittel nicht verfügbar ist, dürfen sie demnach ohne Rücksprache mit dem Arzt von der Verordnung abweichen, solange die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird. Zulässig ist demnach eine Abweichung von der Packungsgröße und -anzahl sowie von der Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen. Auch die Abgabe von Teilmengen ist erlaubt.
Was nach tatsächlicher Erleichterung im Apothekenalltag klingt, könnte allerdings Fallstricke bergen. Denn die Formulierungen der neuen Vorschriften lassen an mancher Stelle Interpretationsspielräume. Wie interpretieren die Kassen die neuen Regelungen? Wenn sich die Auslegungen seitens Kassen und Apotheken nicht decken, könnten Apotheken am Ende statt weniger Arbeit mehr Retaxe ins Haus stehen. Dies befürchtete der Deutsche Apothekerverband (DAV) und bat deshalb das Bundesgesundheitsministerium (BMG) um Klarstellung.
In einem Brief beklagte der DAV im September, dass der GKV-Spitzenverband die Neuregelungen in entscheidenden Punkten anders auslege als der DAV. Betroffen davon sind demnach Austauschpflicht, Retaxation, Engpasspauschale und die Berechnung von Teilmengen. Nun hat sich das BMG in seiner Antwort an den DAV dazu positioniert – mit deutlicher Neigung in Richtung Kassensicht.
Bei der Frage nach den Austauschfreiheiten etwa verweist das BMG auf den Rahmenvertrag (RV), der bei der Arzneimittelabgabe bei Nichtverfügbarkeit – auch unter den neuen Regeln – grundsätzlich Wirtschaftlichkeit vorschreibe. Deshalb bleibe die Abgaberangfolge nach dem Rahmenvertrag unverändert. Im ersten Satz im neu gefassten § 129 Absatz 2a SGB V heißt es: »Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen.«
Wie diese Formulierung auszulegen sei, hatte der DAV das BMG gefragt. Dem DAV zufolge könne es nur bedeuten, dass die Apotheke lediglich die erste Stufe der im Rahmenvertrag festgelegten Abgabereihenfolge zu prüfen habe: Ist das laut Rahmenvertrag vorgesehene Mittel nicht verfügbar, ist die Apotheke in der Abgabe frei, so die Sicht des DAV. Auch bei mehreren Rabattarzneimitteln habe die Apotheke lediglich eines davon auf Verfügbarkeit hin zu prüfen. Das entspreche dem Wortlaut der Neuregelung und sei auch der eigentliche Sinn der Erleichterung.
Das BMG widerspricht und schreibt: »Daher ist die Regelung aus Sicht des BMG so zu verstehen, dass sie erst greift, wenn nach den Regelungen des RV zur Abgabereihenfolge kein verfügbares Arzneimittel vorhanden ist.« Eine andere Auslegung würde demnach nicht zuletzt dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach §121 SGB V widersprechen, und zwar in jenen Fällen, »in denen ein anderes preisgünstiges Arzneimittel vorrätig ist, es aber nicht vorrangig abgegeben werden müsste, weil lediglich das verordnete Arzneimittel nicht verfügbar ist«, argumentiert das BMG. Auf der Beibehaltung der Abgabereihenfolge laut Rahmenvertrag hatte zuvor auch der GKV-Spitzenverband in Gesprächen bestanden, wie der DAV in seinem Brief geschildert hatte.
Auch die Frage, ab wann die neuen Regeln zum Retax-Ausschluss anzuwenden sind, beantwortet das BMG so, dass es eher den Kassen und weniger den Apotheken gefallen dürfte. Denn dem BMG-Schreiben zufolge sind nur diejenigen Beanstandungen von den Neuregelungen erfasst, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens am 27. Juli 2023 ausgesprochen werden, nicht aber Verfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, unabhängig vom Zeitpunkt der Arzneimittelabgabe oder dem Beginn des Beanstandungserfahrens. Eben diese hatte der DAV aber in die neuen Regeln zum Retax-Ausschluss eingemeindet. Er fürchtete, dass ansonsten eine Vielzahl potenzieller Retaxationen aus dem Anwendungsbereich der neuen Ausschluss-Regeln fallen könnten.
Den Zeitpunkt der Beanstandung hält das BMG in seinem Schreiben für entscheidend. »Im Ergebnis erscheint es aus hiesiger Sicht sachgerecht, auf den Zeitpunkt der förmlich zu begründenden Beanstandung der Kasse abzustellen«, heißt es in dem Schreiben. »Das bedeutet, dass Verordnungen, die vor Inkrafttreten des ALBVVG noch nicht gegenüber der Apotheke beanstandet wurden (für die aber möglicherweise bereits die interne Rechnungsprüfung der Kasse angelaufen ist), seit dem Inkrafttreten des ALBVVG nicht mehr nach §128 Absatz 4d SGB V retaxiert werden können.« Für diese Fälle greift der neue Retax-Ausschluss demnach also noch nicht. So hatte auch der GKV-Spitzenverband die Neuregelung interpretiert.
Das BMG weist zudem darauf hin, dass der Retax-Ausschluss grundsätzlich nicht für Rezeptur sowie BtM-Rezept wirksam sei. Denn mit der Neuregelung in § 129 Absatz 4d SGB V, die den Retax-Ausschluss regelt, sollten keine Widersprüche zur Arzneimittelverschreibungs-Verordnung (AMVV) sowie zur Betäubungsmittelverschreibungs-Verordnung (BtMM) begründet werden.
Wenn Apotheken Lieferengpässe managen müssen, bekommen sie laut ALBVVG dafür eine Aufwandsentschädigung. 50 Cent plus Umsatzsteuer pro ausgetauschtem Arzneimittel sieht das Gesetz vor. Wie ist dies zu interpretieren, wenn in einer Verordnungszeile mehr als ein Arzneimittel steht? Der DAV sah es so, dass bei der Verordnung von zwei Packungen in einer Zeile auch zweimal der Zuschlag anfallen müsse. Er verwies auf den Gesetzeswortlaut und verlangte für den Austausch »eines verordneten Arzneimittels« den Zuschlag pro ausgetauschter Packung. Die Kassenseite hingegen hält den Zuschlag nur für pro Zeile abrechenbar.
Das sieht auch das BMG so. Es sei »ein singulärer Zuschlag in Höhe von 50 Cent pro verordnetem Arzneimittel und nicht pro abgegebener Packung« abzurechnen, heißt es in dem Schreiben. Die Begründung zu §3 Absatz 1a der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) lasse keinen direkten Packungsbezug erkennen, sondern beziehe sich allgemein auf den Aufwand, den Apotheken beim Austausch nicht verfügbarer Arzneimittel zu betreiben hätten.
Wie Apotheken nach den neuen Regelungen Teilmengen abrechnen können, sollte das BMG auf Wunsch des DAV ebenfalls klarstellen. Denn die mit dem ALBVVG um einen Satz erweiterte AMPreisV sieht vor, dass die Apotheken auch bei der Abgabe von Teilmengen aus einer größeren Packung die kleinste im Markt befindliche Packung abrechnen müssen. Diese Vorschrift könnte absurde Szenarien hervorrufen, in denen die berechnungsfähige Menge geringer sein kann als die verordnete und abgegebene Menge. Das könne so nicht gewollt sein, hatte der DAV betont und auch hier das BMG um eine Klarstellung gebeten.
Der neue Satz 2 AMPreisV sei »so zu verstehen, dass in Fällen, in denen die verschriebene und abgegebene Packungsgröße eine N2 ist und als Teilmenge aus einer N3 abgegeben wird, die N2 als in diesem Sinne kleinste im Verkehr befindliche Packung gemeint ist und entsprechend zu berechnen wäre«. Werde bei einer verschriebenen N1-Packung eine Teilmenge aus einer N3-Packung abgegeben, sei N1 zu berechnen, erklärte das BMG.
Der GKV-Spitzenverband begrüßte die BMG-Auslegungen. Die Stellungnahme entspreche im Wesentlichen der Auffassung des GKV-Spitzenverbands, sagte ein Sprecher zur PZ. Auch der DAV reagierte. Er habe die Landesverbände zum Schutz der Apotheken vor Retaxationen bereits informiert. DAV wie Kassenverband kündigten an, dass man sich jetzt gemeinsam an die Umsetzung mache.