KKH moniert Betrug durch Apotheken |
Melanie Höhn |
15.05.2024 14:55 Uhr |
Apotheken haben 2023 einen Schadenswert von rund einer Million Euro bei der KKH verursacht. / Foto: IMAGO/Ardan Fuessmann
Der KKH entstand allein im Jahr 2023 ein Schaden von rund 3,5 Millionen Euro durch Betrug, Korruption oder Urkundenfälschung, wie die Ersatzkasse heute mitteilte. Dies sei eine der höchsten Gesamtschadenssummen seit der Gründung der bundesweit ersten Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei der KKH vor 23 Jahren.
Den größten Schadenswert verursachten 2023 demnach ambulante Pflegedienste mit rund 1,9 Millionen Euro, gefolgt von Apotheken mit gut einer Million Euro. Auf Platz drei liegt der Bereich Krankengymnastik/Physiotherapie mit 329.000 Euro. Mithilfe eines KKH-Ermittlerteams konnten 2023 bei den Geldeingängen rund 1,25 Millionen Euro an Regressforderungen verbucht werden, »so viel wie nie zuvor«, heißt es seitens der KKH.
Ob Pseudo-Pflegepersonal eingesetzt, Arzneien gepanscht, Versichertenkarten missbraucht, nie erfolgte Behandlungen abgerechnet oder Berufsurkunden gefälscht werden: Betrug und Korruption zieht sich laut KKH quer durch alle Leistungsbereiche des Gesundheitssystems – von Arztpraxen und Apotheken über Pflegeeinrichtungen, Kranken- und Sanitätshäuser bis hin zu Praxen für Physio- und Ergotherapie. Allein 2023 seien bundesweit 553 neue Hinweise auf möglichen Betrug bei der KKH-Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation eingegangen. Die meisten davon betreffen die ambulante und die stationäre Pflege. Damit gehen rund zwei Drittel aller Neufälle auf das Konto von Pflegeeinrichtungen. Rang drei belegen Krankengymnastik- und Physiotherapiepraxen mit 74 Hinweisen.
Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH fand heraus, dass eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Alter von 18 bis 70 Jahren das deutsche Gesundheitswesen anfällig für Betrug und Korruption hält – 18 Prozent davon stufen es sogar als sehr anfällig ein. 58 Prozent der Befragten haben sogar selbst schon einmal Erfahrungen mit Betrugsdelikten im Gesundheitswesen gemacht oder kennen Betroffene im eigenen Umfeld. Besonders auffällig sei auch hier der Pflegebereich.
Die reinen Leistungsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stiegen 2022 auf den Höchstwert von 274,2 Milliarden Euro. »Das weckt bei manch einem Begehrlichkeiten, sich ein Stück vom ‚Milliardenkuchen Gesundheitssystem‘ abzuschneiden«, sagt KKH-Chefermittlerin Dina Michels. Dabei betont sie, dass es immer nur einige wenige Kriminelle sind, die mit ihren Betrügereien dem Ansehen ehrlicher Berufskolleginnen und -kollegen schaden. Doch die würden teils skrupellos vorgehen, mitunter sogar Menschenleben gefährden, um illegal hohe Summen einzustreichen.
Laut der Juristin hat sich der Pflegebereich zu einem Brennpunkt entwickelt. Ein Fallbeispiel: »Bei einem ambulanten Pflegedienst besteht der Verdacht, dass Pflegebedürftige intensivmedizinisch von Personal versorgt wurden, das dafür nicht ausgebildet war. Lebensnotwendige Medikamente wurden fehlerhaft gegeben, eklatante Mängel in der Hygiene in Kauf genommen und zudem Leistungen abgerechnet, die nie erbracht wurden.«
Die KKH habe neben anderen Krankenkassen Strafanzeige erstattet. Die Schadenssumme liege im Millionenbereich. »Doch was viel schwerer wiegt, sind die körperlichen und seelischen Folgen bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Durch solche Machenschaften schwindet das Vertrauen in die qualitativ gute Gesundheitsversorgung in unserem Land«, so Dina Michels. »Es ist gut, dass der Gesetzgeber auf die Forderung der Krankenkassen eine lebenslange Beschäftigtennummer für Pflegekräfte in Pflegediensten eingeführt hat. Diese ist in den elektronischen Abrechnungsdatensätzen anzugeben, so dass die Krankenkassen ihre Daten zusammenführen und übergreifend prüfen können.«
Der niedersächsische Sozialminister Andreas Philippi (SPD) hält die Arbeit der Stellen zur Fehlverhaltensbekämpfung der Krankenkassen für zentral, da nur durch konsequente Aufdeckung von Straftaten die Integrität des Gesundheitssystems gewahrt werden könne. »In Zukunft bieten die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz neue Chancen, große Datenmengen effizient zu überprüfen und den Aufwand der Betrugsbekämpfung in vertretbaren Grenzen zu halten«, sagt er.
Auch KKH-Expertin Dina Michels sieht in datenbasierten Verfahren mittels KI-Algorithmen großes Potential im Kampf gegen die typischen Straftaten im Gesundheitswesen: »Wir wirken daher an einem Pilotprojekt der Bitmarck mit und haben eine Vereinbarung mit dem Fraunhofer Institut initiiert, um Abrechnungsanomalien künftig noch besser aufdecken sowie effektiver und effizienter bekämpfen und verhindern zu können.«
Straftaten aufzudecken und zu verfolgen sei ein komplexes Unterfangen. Voraussetzung Nummer eins ist laut KKH, dass Krankenkassen Hinweise auf mögliche Betrugsfälle erhalten. Hierdurch bestehe die Chance, Tätern auf die Schliche zu kommen. Die häufigsten Hinweisgeber sind der Medizinische Dienst (MD), andere Krankenkassen sowie die Polizei. Grundsätzlich könne jeder den Krankenkassen einen Verdacht melden. »Wer meint, Zeuge bewusster Falschabrechnung zu sein, weiß oft gar nicht, dass er das anonym oder namentlich melden kann«, erklärt Michels. Das spiegelt auch die Ergebnisse der Forsa-Umfrage wider: So ist 71 Prozent der Befragten nicht bekannt, dass Fehlverhalten im Gesundheitswesen anonym gemeldet werden kann.
Jedem Hinweis auf Fehlverhalten wird bei der KKH vertraulich nachgegangen. Meldungen sind online möglich über das elektronische BKMS-Hinweis-System oder per Mail an betrugsverdacht@kkh.de. Im Juli vergangenen Jahres ist das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten. Es soll Personen, die verdächtiges Fehlverhalten melden – sogenannte Whistleblower –, vor arbeits- oder strafrechtlichen Konsequenzen bewahren. Dina Michels begrüßt dieses Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern: »Hinter jedem noch so kleinen Anfangsverdacht auf Fehlverhalten kann sich ein raffiniertes Betrugssystem verbergen, mit dem rechtswidrig hohe Beträge in die eigene Tasche abgezweigt werden – Beträge, die den Versicherten für die medizinische Versorgung fehlen. Denn die bittere Pille ist, dass am Ende die Beitragszahlenden finanziell für die Machenschaften gewissenloser Täter geradestehen müssen.«