Kittelmeer am Prinzipalmarkt |
Juliane Brüggen |
15.06.2023 11:30 Uhr |
Die Kundgebung fand vor schöner Kulisse statt. / Foto: AVWL
Bei strahlendem Sonnenschein versammelten sich die protestbereiten Menschen vor der »Apotheke auf der Geist«. Zu sehen: Viele weiße Kittel, gelbe Warnwesten und Plakate. Der Ort war nicht zufällig ausgewählt. Die ansässige Apotheke hatte Notdienst und versorgte alle Kunden, die wegen des Protesttages ansonsten vor verschlossenen Türen gestanden hätten. »Wir haben uns gut vorbereitet«, berichtete David Dohmann, Inhaber der Apotheke – mit ausreichend Personal und einem Vorrat an Akutarzneimitteln. »Den Protest unterstütze ich total, ich wäre selbst gerne dabei gewesen.«
Ab 11 Uhr zog die Menge – mittlerweile über 1000 – mit Getöse durch die Straßen. Ziel war der Prinzipalmarkt. »Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut«, schallte der Protestruf, bekannt von Fridays-for-Future-Protesten. Ohrenbetäubend laut erklangen die Trillerpfeifen und Klatschkarten. Auf vielen Plakaten war zu lesen: »Apotheken kaputtsparen? Nicht mit uns!« oder »Wir hängen uns rein. Die Regierung lässt uns hängen«. Passanten blieben interessiert stehen und erhielten Flyer von den Teilnehmenden. »Die Patienten haben alle Verständnis dafür und sagen, endlich geht ihr mal auf die Straße«, so Dr. Olaf Rose, Apothekeninhaber. Er betonte: »Wenn wir jetzt nicht etwas tun, dann ist es zu spät.«
Die Sorgen der Teilnehmenden reichten von Lieferengpässen, Bürokratie und Retaxationen bis hin zum Personalmangel. Viele möchten für ein höheres Honorar kämpfen. »Eine faire, angemessene Vergütung unseres Arbeitsaufwandes für all das, was an Zusatzaufgaben dazugekommen ist«, meinte Angelika Plassmann, Kreisvertrauensapothekerin in Münster.
Warum der Protest so wichtig ist? »Nur so können wir den Entscheidungsträgern nahebringen, dass es inzwischen wirklich brennt, nicht nur für uns, sondern auch für die Patienten«, sagte Kevin Chiang, Apotheker und Inhaber zweier Apotheken in Münster. Wenn sich nicht bald etwas ändere, müssten immer mehr Apotheken schließen, Arbeitsplätze würden wegfallen. Auf dem Schild, das er in der Hand hielt, stand: »Apotheken vor Ort, bald sind alle fort«.
Entschlossen liefen die PTA Melanie Kratzke und Janin Isenaj beim Protest mit. Für sie seien die aktuellen Lieferengpässe unerträglich. »Die Versorgung ist gefährdet. Die Menschen haben Angst, dass sie ihre Medikamente nicht bekommen«, so Kratzke. Es sei schlimm, Patienten wegschicken zu müssen, vor allem, wenn es um Antibiotikasäfte für Kinder gehe, ergänzte Isenaj. Den beiden PTA war noch ein anderer Punkt wichtig: Die PTA-Schulen sollten endlich flächendeckend kostenlos werden. »Dann kommt auch mehr Nachwuchs nach.«
»Das System muss wieder mit vernünftigen Finanzmitteln ausgestattet werden«, sagte Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL), im Gespräch mit der PZ. »Wir sind am Kipppunkt. Wenn sich nichts ändert, werden immer mehr Apotheken verschwinden.« Die Statistiken untermauern diese Prognose. Seit Jahren sinkt die Apothekenzahl in Deutschland. Allein in den vergangenen 15 Jahren haben laut Rochell etwa 4000 Betriebsstätten schließen müssen. »Das passiert nicht, weil die Apotheke ein so lukratives Geschäft ist«, betonte er. Dies hatte ein im Vorfeld veröffentlichtes Faktenblatt des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) suggeriert, das die steigenden Umsätze von Apotheken hervorhob. Die Realität sei jedoch eine andere, betonte Rochell – Durchschnittsumsatz und Ertrag seien eben nicht das Gleiche. »Ich wünsche mir eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Situation in der Apotheke, einen faktenbasierten Austausch mit dem Minister.«
Neben der Honorarerhöhung bräuchten Apotheken mehr »Beinfreiheit«, um die Lieferengpässe zu handhaben. Niemand sollte eine Null-Retaxation befürchten müssen. Auch der »bürokratische Wahnsinn« müsse endlich ein Ende finden.
Von der Resonanz auf die Protestaktion zeigte sich Rochell überwältigt. Über 1000 Teilnehmende waren erschienen, etwa 90 Prozent der Apotheken hatten ihre Teilnahmebereitschaft bekundet. »Hier wird ein Zeichen gesetzt. Wenn das vom BMG nicht erkannt wird, weiß ich nicht, was in diesem Land mit der Politik los ist.« Sollte der Protesttag keine Früchte tragen, sei man für weitere Proteste bereit.
Der Protest ist auch für Jan Harbecke, Vorstandsmitglied des AVWL, ein wichtiges Signal: »Es geht um die Versorgung der Menschen, und die wollen wir in Zukunft sicherstellen. Dafür braucht es eine gesunde Apotheke vor Ort.« Die aktuelle Politik führe dazu, dass Zeit am Patienten fehle und stattdessen auf Bürokratie, Lieferengpässe und andere Baustellen verwendet werden müsse. Der Druck sei massiv.
Am Rathaus angekommen, versammelten sich die Protestierenden um eine Bühne, es war drängend voll. Neben Rochell und Harbecke, die ihre Forderungen unter lautstarker Zustimmung des Publikums bekräftigen, erhielten eine Apothekeninhaberin, eine Patientin und ein Nachwuchsapotheker die Bühne.
»Ich spreche zu Ihnen als junge schwangere Frau, als Mutter und als Inhaberin eines Betriebes mit einem sehr hohen Frauenanteil«, begann Friederike Hövelbernd. Angesichts des Personalmangels werde es zunehmend schwieriger, Karriere, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Besonders die Situation der Ausbildungsberufe sei kritisch: »Die Arbeit der PTA und PKA muss endlich entsprechend honoriert werden. Wir brauchen Tarifsteigerungen, die aber auch durch die Apotheken zu bewältigen sein müssen.« Dafür brauche es dringend ein höheres Honorar.
Die Perspektive der Generation Z präsentierte Johannes Jokiel, PhD-Student, nachdem er die Menge animiert hatte, für ein Social-Media-Video laut zu werden. »Wir sind die Zukunft der Vor-Ort-Apotheke«, sagte er mit Nachdruck. Die stagnierenden Honorare und die Bürokratie ließen jedoch »die Träume erblassen«. Der Nachwuchs mache sich für eine gerechte Entlohnung stark. »Wir wissen, dass wir es wert sind.«
Angelika Däne, Vorsitzende der »Herz in Takt Defi-Liga«, brachte dem Publikum die Sicht der Patienten näher. Die Selbsthilfegruppe sehe sich zunehmend mit Fragen zu Lieferengpässen und möglichen Alternativpräparaten konfrontiert. Hier verwiesen sie immer an die Apotheken und empfählen ihren Mitgliedern, eine Stammapotheke zu suchen. »Es ist wichtig, dass es wohnortnahe Apotheken gibt, die Patienten beratend unterstützen und einen kurzen Draht zu den Ärzten haben.«