Kittel-Übergabe als Zeichen des Protests |
Bei ihrer Protestaktion marschierten Apotheker, Ärzte, Zahnärzte und Therapeuten mit beschrifteten Kitteln gemeinsam zum Bundesgesundheitsministerium. / Foto: Freie Apothekerschaft
Zur Protestaktion »Der letzte Kittel« hatten die Interessengemeinschaft Medizin (IG Med) und die Freie Apothekerschaft aufgerufen. Die Vereinigung unabhängiger Vertragszahnärzte (VUV) und die Vereinten Therapeuten beteiligten sich daran. Im Zuge der Aktion schickten Apotheker, Ärzte, Zahnärzte und Therapeuten knapp vier Wochen lang beschriftete Kittel, Kasacks und Poloshirts per Post an die verschiedenen Dienstsitze des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Damit wollten sie nach Angaben der IG Med ihren Sorgen, Nöten und ihrer Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik Ausdruck verleihen. Mit der Aktion protestierten Ärzte, Apotheker und die Vertreter weiterer Heilberufe in erster Linie gegen Fachkräftemangel, Budgetierung, Sanktionen sowie überbordende Bürokratie. Sie forderten eine leistungsgerechte Vergütung, Bürokratieabbau und die Abschaffung von Sanktionen.
Die Protestierenden hängten die beschrifteten Kittel an den Zaun des BMG-Gebäudes in der Mauerstraße. / Foto: Freie Apothekerschaft
Daniela Hänel, 1. Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, machte für »die aktuelle katastrophale Versorgung der Bevölkerung Deutschlands mit Arznei- und Hilfsmitteln, Medizinprodukten sowie lebensnotwendigen Diätetika« Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) persönlich verantwortlich. Aber auch mit Lauterbachs Vorgängerinnen und Vorgängern sowie den Krankenkassen ging sie ins Gericht. In den vergangenen 20 Jahren sei durch die politischen Entscheidungen der jeweiligen Gesundheitsminister und der »uneingeschränkten Macht der gesetzlichen Krankenkassen« die Funktionalität des Gesundheitswesens soweit zusammengespart worden, dass es »nun wie ein riesiger Trümmerhaufen nicht mehr reparabel« sei, sagte sie bei einem Pressegespräch am heutigen Mittwoch in Berlin.
Konkret kritisierte Hänel, dass die Honorierung seit Jahren nicht erhöht wurde, zugleich aber die Kosten gestiegen seien. Dazu komme der höhere Kassenabschlag im Zuge des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes. Belastend sei zudem das Inkassorisiko, das die Apotheken im Fall der Insolvenz eines pharmazeutischen Herstellers tragen müssten, sowie zunehmende unbezahlte Bürokratie und Dokumentationsaufgaben. In der Folge sei die Zahl der Vor-Ort-Apotheken in den letzten Jahren massiv gesunken. »Allein im letzten Jahr haben 393 Apotheken deutschlandweit für immer geschlossen und der Chefkittel wurde zum letzten Mal getragen«, beschrieb die Apothekeninhaberin aus Zwickau die Problematik.
Hänel forderte eine Honorarerhöhung auf mindestens 12 Euro sowie eine 5-Prozent-Pauschale innerhalb der Kalkulation des Rx-Arzneimittels. Das Honorar müsse jährlich der Inflation angepasst werden. Zudem verlangte sie, die Null-Retaxation genauso wie den Versandhandel für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu verbieten. Auch die Präqualifizierung müsse abgeschafft werden. Dringend nötig sei hingegen ein Abbau der Bürokratie. Zudem müsse es Erleichterungen für Apotheker geben, wenn Arzneimittel nicht lieferfähig seien, machte Hänel deutlich.
Ilka Enger, Vorsitzende der IG Med, zeigte sich mit der Resonanz auf die gemeinsame Aktion zufrieden. Sowohl Ärzte als auch Apotheker und andere Heilberufler litten unter zunehmender Bürokratie und einer nicht angemessenen Vergütung. Aus diesem Grund hätten sie sich zur gemeinsamen Aktion zusammengeschlossen. »Jeder dokumentiert sich zu Tode, während die Zeit für die Patienten fehlt«, kritisierte die Internistin und wies auf den zunehmenden Ärztemangel vor allem in ländlichen Regionen hin. 40 bis 50 Prozent der Mediziner seien bereits über 60 und gingen bald in Rente. »Aber es kommen keine Jungen nach«, schilderte Enger das Problem. Zu den zentralen Forderungen der IG Med an die Politik gehörten daher eine »ordentliche Vergütung« sowie weniger Bürokratie. »Nehmt uns außerdem die Angst vor Sanktionen«, forderte Enger.
Hausarzt Steffen Grüner wandte sich vor allem gegen die Digitalisierung, die er in der derzeitigen Ausgestaltung für »grundverkehrt« hält. Sinnvoll sei die Digitalisierung nur, wenn sie dezentral sei, einen wirklichen Nutzen habe und Sicherheitsrisiken ausgeschlossen seien. Grüner beklagte, dass insbesondere Hausärzten von der Politik nur Knüppel in den Weg gelegt worden seien. Er sprach sich für gute und unbürokratische Rahmenbedingungen wie eine leistungsgerechte Vergütung aus, damit der Beruf wieder attraktiv werde. Ansonsten bestehe das Risiko, dass die Versorgung wegbreche, warnte der Hausarzt.
Zahnärztin Annette Apel forderte wie ihre Kollegen von der IG Med, alle Budgetierungen abzuschaffen und die Bürokratie abzubauen. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz müsse überarbeitet werden. Logopäde Thomas Etzmaß von den Vereinten Therapeuten wies darauf hin, dass den medizinischen Therapeuten 30 bis 40 Prozent Honorar fehle, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Auch die Therapeuten litten unter nicht bezahlten Rechnungen aufgrund von Formfehlern. Ihr Alltag werde zudem von Dokumentationspflichten und immer neuen gesetzlichen Anforderungen von Jahr zu Jahr erschwert, kritisierte Etzmaß.