KI findet appetithemmendes Peptid mit neuem Mechanismus |
Theo Dingermann |
13.03.2025 07:00 Uhr |
Die Regulation des Appetits und der Sättigung ist äußerst komplex. Vermutlich kann man pharmakologisch an verschiedenen Stellschrauben drehen. / © Getty Images/Andriy Onufriyenko
Eine kodierende Region für ein Protein im menschlichen Genom zu identifizieren, ist relativ einfach möglich. Werkzeuge aus dem Baukasten der Bioinformatik erledigen dies seit Jahrzehnten im Handumdrehen. Allerdings sind innerhalb von Proteinen nicht selten Peptide versteckt, die ihrerseits interessante biologische Aktivitäten aufweisen. Ein Beispiel ist das Glucagon-like-Peptide-1 (GLP-1), das als Teil des 180 Aminosäure langen Präproglucagons synthetisiert wird und, neben anderen bioaktiven Peptiden, durch Proteasen aus diesem Vorläufermolekül ausgeschnitten wird.
Jetzt haben Forschende um Dr. Laetitia Coassolo vom Department of Pathology der Stanford University School of Medicine unter Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) ein Peptid identifiziert, das ähnlich wie GLP-1 zumindest in Tiermodellen den Appetit zu unterdrücken vermag.
Wie die Forschenden im Fachjournal »Nature« berichten, gelang es, ein spezielles KI-Tool so zu trainieren, dass man mit ihm gezielt nach prohormonalen Spaltungsstellen suchen kann. Mit Hilfe dieses Tools kartierten die Forschenden systematisch Proteolyse-Fragmente im humanen Proteom. Dabei identifizierten sie mehr als 2600 potenziell bioaktive Peptide als Teil von 373 Proteinen, darunter auch ein bislang unbekanntes antiadipogen wirkendes Peptid, das als BRINP2-related Peptide (kurz: BRP) bezeichnete wird und das nur aus zwölf Aminosäuren besteht. Dieses Peptid wird aus dem Protein BRINP2 (BMP/retinoic acid inducible neural specific 2-petide) durch die Proprotein-Convertase 1 (PCSK1) ausgeschnitten und ist in Gehirn und Liquor nachweisbar.
Behandelteten die Forschenden magere Mäuse und Minischweine vor der Fütterung durch eine intramuskuläre Injektion mit dem Peptid, reduzierten die Tiere die Nahrungsaufnahme in der nächsten Stunde um bis zu 50 Prozent. Bei übergewichtigen Mäusen und Schweinen induziert das Peptid signifikante Gewichtsreduktionseffekte, und dies ohne die typischen Nebenwirkungen von GLP-1-Analoga wie Magen-Darm-Beschwerden.
Pharmakologische Tests zeigten, dass BRP bereits nach peripherer Applikation die Hypothalamusregion aktiviert und zentrale FOS-Expression induziert. FOS ist Mitglied eines Transkriptionsfaktor-Komplexes, der andere Gene aktiviert, um auf eine initiierte neuronale Aktivität zu reagieren. Signaltransduktionsanalysen ergaben, dass BRP den Transkriptionsfaktor CREB (cAMP-responsive element binding protein) aktiviert. Diese Aktivierung erfolgt über einen G-Protein gekoppelten Rezeptor (GPCR), dessen aktivierendes Gα-Protein die CREB-FOS-Signaltransduktionsachse in neuronalen Zellen stimuliert, was dann eine zentrale anorektische Wirkung nahelegt.
In vivo reduzierte BRP die Nahrungsaufnahme in Mäusen dosisabhängig und führte in Langzeitstudien zu einer signifikanten Reduktion der Fettmasse, ohne den Muskelanteil zu beeinflussen. Mechanistisch agiert BRP unabhängig von bekannten Appetitregulationswegen, darunter GLP-1, Leptin und Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R).
Vergleichsstudien in den Maus- und Schweinemodellen mit GLP-1-Analoga bestätigten eine vergleichbare Effektivität, jedoch ohne gastrointestinale Nebenwirkungen. Die Aktivität des Peptids ist struktursensitiv, wobei insbesondere eine Leucin-Aminosäure an Position 8 für die biologische Wirkung essenziell ist.
Die Entdeckung von BRP demonstriert das Potenzial computergestützter Peptidvorhersage für die Identifikation neuer therapeutischer Kandidaten unter anderem, aber nicht ausschließlich, in der Adipositasforschung. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um den zugehörigen Rezeptor zu identifizieren und seine physiologische Funktion sowie mögliche klinische Anwendungen weiter zu validieren.