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Polymedikation im Alter
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Keine Angst vor dem Absetzen

Polymedikation im Alter ist ein Risikofaktor für Krankenhauseinweisungen. Aber gilt das umgekehrt auch, wenn Medikamente abgesetzt werden? Und wie sollte solch ein Prozess im Sinne der Patientensicherheit gestaltet werden? Diesen Fragen ging das Forschungsprojekt COFRAIL nach.
AutorKontaktJohanna Hauser
Datum 17.12.2025  07:00 Uhr

COFRAIL ist ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördertes Projekt, das am Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf angesiedelt ist und sich mit den Bedürfnissen geriatrischer Patienten beschäftigt. Bei dieser besonderen Gruppe steht im Fokus, das Leben in den eigenen vier Wänden trotz Gebrechlichkeit lange zu gewährleisten.

Damit das Absetzen von Medikamenten (Deprescribing) nicht in Krankenhauseinweisungen mündet, wurde im Rahmen von COFRAIL das Konzept der Familienkonferenz getestet. Hierbei stattet der Hausarzt dem Patienten einen Hausbesuch ab und lädt dazu auch die (pflegenden) Angehörigen ein. Gemeinsam wird die Liste der verschriebenen Medikamente besprochen und im Sinne der bestmöglichen Lebensqualität für den Patienten zwischen Nebenwirkungen und Nutzen abgewogen.

An der Untersuchung beteiligten sich zwischen 2019 und 2021 insgesamt 110 Hausarztpraxen und 521 Patienten in den Regionen Düsseldorf und Rostock. Die Patienten waren im Schnitt 83,5 Jahre alt und wendeten fünf oder mehr Medikamente täglich an. Zwei von drei Teilnehmenden waren weiblich.

Die Datenerhebung erfolgte nach sechs und zwölf Monaten. Die Praxen wurden nach Zufallsprinzip der Interventions- oder Kontrollgruppe zugeordnet. Die Intervention bestand aus drei Schulungen zu den Themen Familienkonferenzen, Polypharmazie und Priorisierung. Im Anschluss wurden über einen Zeitraum von neun Monaten drei Familienkonferenzen durchgeführt. Die Veröffentlichung erfolgte im »JAMA Network Open«.

Primärer Endpunkt war die Hospitalisierungsrate pro Patient in zwölf Monaten. Zu den sekundären Endpunkten zählten die Zahl der verschriebenen Medikamente sowie speziell der potenziell für Ältere ungeeigneten Medikamente (PIM) und Elemente des geriatrischen Assessments.

Medikamentenzahl kann gesenkt werden

Die Intention-to-Treat-Analyse der 510 verbliebenen Patienten zeigte für den primären Endpunkt keinen signifikanten Unterschied in der bereinigten durchschnittlichen Anzahl der Krankenhausaufenthalte zwischen der Interventionsgruppe (0,98) und der Kontrollgruppe (0,99). Dagegen war nach sechs Monaten eine signifikante Reduktion der eingenommenen Medikamente zu verzeichnen: Diese reduzierte sich in der Interventionsgruppe von durchschnittlich 8,98 eingenommenen Präparaten auf 8,11. In der Kontrollgruppe stieg die Anzahl von 9,24 auf 9,32 Medikamente.

Nach zwölf Monaten war der Wert der Interventionsgruppe zwar wieder gestiegen (8,49), lag jedoch immer noch unter dem Ausgangswert und niedriger als in der Kontrollgruppe (9,16). Auch war die Anzahl der verwendeten PIM nach sechs Monaten in der Interventionsgruppe signifikant geringer (1,30) als in der Kontrollgruppe (1,71). Nach zwölf Monaten waren die Unterschiede jedoch nicht mehr signifikant.

Eine zusätzliche Analyse zeigte, dass Protonenpumpenhemmer, Harnsäure-Senker, Statine und orale Antidiabetika zu den am häufigsten abgesetzten Medikamenten zählten.

Gemischtes Fazit

Die Forschenden ziehen ein gemischtes Fazit ihrer Studie. Die Ergebnisse stünden zwar im Einklang mit anderen Studien zum Deprescribing, in denen keine positiven Auswirkungen auf Krankenhausaufnahmen oder andere klinische Ergebnisse festgestellt wurden. Dies sei gleichwohl enttäuschend, da eine Reduzierung der Polypharmazie und des Gebrauchs von PIM zu einer Verringerung der unerwünschten Ergebnisse führen sollte. Um mögliche Effekte eines Deprescribings besser zu erfassen, könnte eine größere Studienpopulation erforderlich sein.

Scheinbar sei es schwierig, den Medikamentenverbrauch über einen längeren Zeitraum zu reduzieren. Als mögliche Gründe für die Zunahme an Verordnungen nach zwölf Monaten vermuten die Wissenschaftler ein Wiederauftreten der klinischen Probleme, die ursprünglich zur Verschreibung geführt hatten, die erneute Verschreibung des Medikaments durch andere Fachärzte oder neue klinische Probleme.

Trotz des ernüchternden Ergebnisses bleibe festzuhalten, dass Familienkonferenzen den Prozess des Deprescribing erfolgreich anstoßen können. Ein eigens in dem Projekt entwickelter Leitfaden unterstützt den Prozess.

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