| Alexander Müller |
| 20.11.2025 09:50 Uhr |
Simone Borchardt sieht die Schuld für die ausbleibende Fixumserhöhung bei der SPD. / © PZ
Eigentlich hatte Borchardt nur einen Stammtisch mit Apothekerinnen und Apothekern geplant, nachdem sie rund 80 Briefe zur Apothekenreform erhalten hatte. Doch dann meldeten sich 180 Teilnehmer an und man musste recht kurzfristig in das Vereins- und Museumshaus in Grevesmühlen ausweichen. Weil am Ende rund 250 kommen, ist nicht einmal ein Sitzplatz für alle da.
Es ist Borchardts Wahlkreis. Die Apothekendichte pro Kopf ist hier auf dem Papier nicht das Problem, aber die Entfernungen sind im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern trotzdem groß. Jede schließende Apotheke droht ein riesiges Loch zu reißen. Für die Versorgung vor Ort, aber auch wirtschaftlich: Die vier Apotheken auf 10.000 Einwohner von Grevesmühlen etwa sind in der Gemeinde der zweitgrößte Gewerbesteuerzahler, nur die Windkrafterzeuger liegen noch davor.
Die Gemeindehalle ist pünktlich um 17 Uhr bis unter das Dach vollgepackt. Borchardt freut sich sichtlich über den großen Andrang, die Chance auf den Austausch. »Jetzt sind wir noch vor der Welle«, sagt sie wiederholt mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Union betont die guten Absichten der Regierung, räumt aber ein: »Gut gedacht, aber ich gebe Ihnen recht, schlecht gemacht.«
Diesen Vorwurf äußert in ihrem Eingangsstatement zuvor Anke Rüdinger, vor allem mit Blick auf das aus ihrer Sicht systemzerstörerische Potenzial der PTA-Vertretung. Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV) sitzt zusammen mit Markus Oelze, Vorsitzender des Apothekerverbands Mecklenburg-Vorpommern, in der Diskussionsrunde mit Borchardt. Man kennt sich, man schätzt sich, aber geschont wird niemand.
Ein großes Thema des Abends ist die ausgebliebene Honorarerhöhung. »Es steht im Koalitionsvertrag, das ist ausverhandelt. Es kann nicht sein, dass wir das mit dem Koalitionspartner und dem Bundesfinanzminister nachverhandeln müssen«, so Borchardt. Die CDU-Politikerin wird noch deutlicher. Darauf angesprochen, ob Bundeskanzler Friedrich Merz die Erhöhung blockiert habe, sagte sie: »Herr Klingbeil war‘s.«
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) soll in der Koalitionsrunde seiner Kabinettskollegin Nina Warken (CDU) mitgeteilt haben, dass ein Gesetz mit der zusätzlichen Ausgabe nicht durchgehen werden. Die Union werde die Erhöhung des Fixums spätestens im parlamentarischen Verfahren aufgreifen, kündigt Borchardt an, das sei für ihre Fraktion eine »rote Linie«. Sie will eigene Vorschläge zur Gegenfinanzierung einreichen, denn in der Pflege und im GKV-System schlummerten hohe Beträge.
Viele Apothekenteams waren in ihren Protestkitteln gekommen. / © PZ
In die gleiche Kerbe schlägt Tino Sorge (CDU). Der Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist zu Beginn der Veranstaltung per Video zugeschaltet. Auch er verspricht, dass die Regierung die Honorarfrage »zufriedenstellend lösen« werde.
Viel zu lange sei beim Fixum nichts passiert: »Wir müssen das Problem beheben.« Sorge hat für die Union das Thema Gesundheit im Koalitionsvertrag mitverhandelt – also auch die Erhöhung des Fixums. Man werde sich im parlamentarischen Verfahren darüber verständigen. »9,50 Euro stehen im Koalitionsvertrag«, sagt Sorge. Und: »Sagen Sie es auch immer wieder gerne dem Bundesfinanzminister.«
DAV-Vize Rüdinger zeigt sich unbeeindruckt und der Union die gegebene Abkürzung auf: »Das Fixum ist ausverhandelt. Dann könnten wir das ganz schnell umsetzen, denn dazu braucht es kein Gesetz, das könnte sofort per Verordnung geschehen.« Und Oelze, Verbandschef in Mecklenburg-Vorpommern, erinnert daran, dass selbst ein Fixum von 9,50 Euro keine auskömmliche Vergütung sei und nicht einmal den Inflationsausgleich abbilde.
Apotheken seien »aktive Krisenvorsorge«, da sie eine dezentrale Arzneimittel-Reserve vorhielten, so Oelze. Das Honorar müsse diese Apothekenstruktur finanzieren. Aber alle Leistungen seien in einem Fixum abgebildet, das seit 2003 nicht nennenswert angehoben worden sei. Die Versprechen im Koalitionsvertrag seien nur Worte. »Was wir brauchen sind 9,50 Euro in der Arzneimittelpreisverordnung und die brauchen wir eigentlich seit letztem Jahr.«
Sogar lokale TV-Sender berichteten vom Apothekengipfel. / © PZ
Das andere große Schmerzthema im ApoVWG-Entwurf ist die geplante PTA-Vertretung. Sorge will die Apothekerinnen und Apotheker beruhigen. »Es geht nicht darum, dass PTA lang- oder mittelfristig Apotheker ersetzen sollen.« Die Vertretung sei nur in Spitzen ausnahmsweise geplant, wenn der Inhaber das wünsche. Es gehe um mehr Flexibilität für die Apotheken. Und dabei sollten nicht Berufsgruppen gegeneinander ausgespielt werden. Das System müsse größer, ganzheitlicher gedacht werden, so Sorge.
Auch Borchardt findet den häufig gebrachten Vergleich mit der Lauterbach-Reform unpassend. Es gehe um »Behördentage« oder dass sich die Inhaberin oder der Inhaber mal rausklinken könne, wenn die Kinder krank sind. Die Apotheker sollten nicht »hinter jedem Baum einen Feind sehen«. Die Union wolle unbedingt die Versorgungsqualität beibehalten. »Wir wollen auf keinen Fall die Apotheke light«, beteuert die gesundheitspolitische Sprecherin.
Dass es genau darauf hinauslaufen könnte, führt Rüdinger aus. Sie habe große Angst, dass die bewährte Struktur der wohnortnahen Arzneimittelversorgung zerstört werde. Dabei habe man zusammen mit der Union in der vergangenen Legislatur gegen diese Bestrebungen gekämpft. Damals habe der CDU-Mann Georg Kippels – heute ebenfalls Staatssekretär im BMG – die PTA-Vertretung als »Kampfansage an die Apotheke vor Ort« bezeichnet. Das passe genauso auf die heutige Situation und den neuen Entwurf, findet Rüdinger.
Die DAV-Vize warnt eindringlich: Mit der PTA-Vertretung »rütteln sie wieder an den ordnungsrechtlichen Grundprinzipien des Apothekensystems«. Neue Leistungen für die Apotheken seien im Entwurf vorgesehen, aber schon heute ließen sich nicht alle Leistungen erbringen, wenn kein Approbierter vor Ort sei. »Das ist ein Weg in eine Leistungskürzung, die wir den Menschen in diesem Land, gerade in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern, auf keinen Fall zumuten können.« Die Apothekerschaft setze sich daher für Erleichterungen ein, damit gelernte PTA leichter ein Pharmaziestudium aufgreifen und schneller abschließen können.
Borchardt wirkt nachdenklich und sagt ganz am Ende der Diskussionsrunde zur PTA-Vertretung: »Da habe ich den Blickwinkel verändert und werde es ins BMG mitnehmen, dass wir da noch nachschärfen müssen.« Sie wolle dafür werben, dass es so gemacht wird, »dass es für die Apotheken gut ist«.
Davon zeigten sich auch die Anwesenden beruhigt. Zwar sind viele in ihren Protestkitteln oder Warnwesten aus der Zeit der großen Demonstrationen gekommen, die Stimmung bleibt aber den ganzen Abend konstruktiv und friedlich.
Alles kommt auf den Tisch: die Finanzierung pharmazeutischer Dienstleistungen, die Hilfsmittelversorgung, Nullretaxationen und die notwendige Vergütung, wenn die Apotheken im neuen Primärversorgungssystem eine zentrale Rolle übernehmen sollen. Zum »unsäglichen Thema Versandhandel« sagt Borchardt, der Referentenentwurf gehe der Unionsfraktion nicht weit genug. Es müsse insgesamt schärfere Kontrollen geben, nicht nur für kühlpflichtige Arzneimittel. Auch den geplanten OTC-Versand von dm will sich die CDU-Politikerin genau anschauen: »Das ist ja Tschechien, das ist ja wie die Niederlande, fast rechtsfreier Raum«, so Borchardt.
Zweieinhalb Stunden dauert der Apothekengipfel, unterbrochen von einer kurzen Pause, in der es reichlich belegte Brötchen und Soljanka gibt. Borchardt weiß, was sich gehört in Mecklenburg-Vorpommern.