| Daniela Hüttemann |
| 21.02.2025 18:00 Uhr |
Cannabis-Konsum ist in Deutschland Experten zufolge neben dem Alkohol der häufigste Grund für Drogennotfälle bei 16- bis 19-Jährigen. / © Adobe Stock/Syda Productions
Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ist noch kein Jahr her, daher gibt es noch keine offiziellen Statistiken zu Konsumentenzahlen oder auch Notfällen bei Kindern und Jugendlichen. Der Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Professor Dr. Rainer Thomasius, stellt jedoch fest, dass jetzt schon bei den Drogennotfällen bei 16- bis 19-Jährigen am häufigsten Cannabis das Problem ist.
Die Zahlen könnten noch steigen: In Kanada habe man nach der Legalisierung 1,6-mal mehr Krankenhauseinweisungen von Kindern und Jugendlichen verzeichnet, berichtete Thomasius beim Cannabis-Fortbildungstag der Apothekerkammer Schleswig-Holstein Anfang Februar.
Rund 1600 Kinder und Jugendliche mit Suchtproblematik behandelt das DZSKJ pro Jahr, davon drei Viertel wegen einer Cannabisabhängigkeit. Jährlich zähle man in Deutschland rund 12.000 vollstationäre Behandlungen mit Cannabisbezug. Leider liege die Erfolgsquote der dauerhaft Abstinenten nur bei 25 Prozent – drei Viertel der im Jugendalter abhängig gewordenen Menschen werden dagegen nach einer Behandlung wieder rückfällig. Die Therapieerfolge seien unter anderem so schlecht, weil die Betroffenen noch zu jung sind, um vor der Sucht eine echte Persönlichkeit, ein Fundament entwickelt zu haben, auf das man in der Suchttherapie aufbauen könne. »Sie bleiben häufig auf einem pubertären Entwicklungsstand«, berichtete Thomasius.
In ganz Deutschland gebe es lediglich 240 Betten für eine suchtspezifische Therapie in fachspezifischen Abteilungen von Kinder- und Jugendpsychiatrien sowie 60 Reha-Plätze für abhängige Jugendliche. Das ist viel zu wenig. »Die Marktbegrenzung von Cannabis als wichtigstes Mittel wurde aufgegeben, auf der anderen Seite werden aber keine wirksamen Mittel zur spezifischen Prävention bereitgestellt«, kritisierte Thomasius.
»Wir Kliniker erreichen mit Aufklärung allein gar nichts bei den Risikogruppen. Wir müssen den strukturellen Schutz verbessern und brauchen gezielte Maßnahmen.« Derzeit werde in der Beratung und Suchthilfe aber eher abgebaut, berichtete der Experte. In vielen Regionen gebe es gar keine Angebote. »Wir brauchen früh ansetzende präventive und therapeutische Maßnahmen und müssen die Hilfe dringend weiter ausbauen.«
Mit der Legalisierung steige vor allem der regelmäßige Gebrauch, nicht unbedingt die Quote derer, die die Droge nur einmal ausprobieren. Das zeigten Erfahrungen aus Nordamerika. »Dabei sinkt das Einstiegsalter«, so der Kinder- und Jugendpsychiater. Cannabis ist und bleibt eine Einstiegsdroge, erst recht mit der Legalisierung, auch wenn diese laut Gesetz nur für Erwachsene gilt.
Es zeichne sich bereits ab, dass die Legalisierung auch den Schwarzmarkt beflügele, wenn auch nicht unbedingt für Cannabis. »Im illegalen Markt wird die Marge kleiner. Die Händler bieten stattdessen jetzt Heroin kostenfrei zum Probieren an«, berichtete Thomasius. »Damit hatten wir in den letzten 30 Jahren bei Minderjährigen eigentlich kaum noch Probleme, da Cannabis mit hohen THC-Gehalt die Stellung übernommen hatte – was in diesem Sinne eine positive Entwicklung war, da es weniger tödlich ist als Heroin.«
Nicht tödlich bedeutet aber nicht harmlos: Genau wie Alkohol sei Cannabis ein hochpotentes Suchtmittel, das neurobiologisch sogar gefährlicher sei, so Thomasius. Regelmäßiger Konsum führe zu ernsthaften körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen, nachhaltigen Störungen der altersabhängigen Entwicklung, zu Schulversagen und Ausbildungsabbrüchen, Störungen der Emotionsregulation und des Sozialverhaltens sowie neurokognitiven Einbußen. Erste Anzeichen auf eine Problematik seien dem Suchtexperten zufolge Leistungseinbußen, ein Rückgang der bisherigen Freizeitaktivitäten und Stimmungsschwankungen.
Je geringer das Einstiegsalter, desto höher das Risiko. »Der Zeitpunkt des Erstkonsums entscheidet in erheblichem Maß darüber, ob mit 18 täglich konsumiert wird«, nannte Thomasius eine weitere Erkenntnis aus Studien. Das Gehirn ist bis zu einem Alter von 25 Jahren in einem sehr komplexen Um- und Aufbauprozess, vor allem das Frontalhirn für bewusste, vernünftige Entscheidungen. Einbußen in diesem Alter lassen sich später nicht vollständig kompensieren.
Zudem erhöht sich durch regelmäßigen Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Psychose um etwa den Faktor 3,4. Eine Studie aus Dänemark zeigte, dass fast jeder dritte Schizophrenie-Fall bei Männern im Alter von 21 bis 30 Jahren vermeidbar gewesen wäre, wenn diese kein Cannabis konsumiert hätten. Auch das Risiko für Depressionen und bipolare Störungen steigt, während der IQ sinkt.
Suchtexperten plädieren dafür, dass Menschen bis zu einem Alter von 25 Jahren gar kein Cannabis konsumieren sollten. Zudem sollte man auch mit Medizinalcannabis bei Jugendlichen äußerst zurückhaltend sein, so Thomasius.