Kassen sehen sich als Zahler für Staatsaufgaben |
Cornelia Dölger |
27.03.2024 10:30 Uhr |
Entdbudgetierung, Versorgungs- und Vorhaltepauschalen, Förderung von Medizinstudienplätzen – das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) soll die Hausärzte entlasten. / Foto: Getty Images/FatCamera
Wenn das Bundesgesundheitsministerium (BMG) beim Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) nicht nachbessert, gehen die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte erneut in den Ausstand. Mit dieser Ankündigung hat der Virchowbund auf den aktuellen GVSG-Referentenentwurf reagiert. Der Entwurf, der jetzt bekannt wurde, lasse grundlegende Herausforderungen unbeantwortet.
»Die zentrale Herausforderung ist, wie die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Versorgung bleiben und wie die Praxen wirtschaftlich am Laufen gehalten werden. Nur so kann den bestehenden und kommenden Herausforderungen der Versorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung entgegnet werden«, betont Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbunds, in einer Mitteilung.
Zwar sei die geplante Entbudgetierung der Hausärzte ein erster und wichtiger Schritt, so Heinrich. Er könne aber nicht ausreichen, weil es schlicht und einfach an Hausärzten fehlen werde. Die Versorgung werde heute schon von Haus- und Fachärzten gemeinsam gestemmt. Zeitgleich mit den Hausärzten müssten zumindest die grundversorgenden Fachärzte in einem ersten Schritt ebenfalls entbudgetiert werden.
Zu den Forderungen des Virchowbunds zählten »eine vollständige Entbudgetierung bei Überweisung, eine zumindest vorläufige Deckelung der Budgetierung bei mindestens 90 Prozent der Leistungsvergütung und die vollständige Entbudgetierung der Fachärzte bei Versorgung in sozialen Brennpunkten«.
Die Forderungen müssten in den Gesetzentwurf eingearbeitet werden, andernfalls würden die Haus- und Fachärzte ihre Proteste wiederaufnehmen und in den anstehenden Wahlkämpfen ausweiten.
Leisere Töne schlagen die Hausärzte an. Sie begrüßen, dass der Entwurf dringende Reformvorhaben adressiere. Allerdings seien »intensive Prüfungen« nötig, um alle Details in Gänze zu überblicken, schreiben Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier, Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands.
Sie äußern sich lobend, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Krise der Hausarztpraxen offenbar erkannt habe. So könnten die geplanten Schritte wie die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen, die Vorhaltepauschalen für Versorgerpraxen oder die Bagatellgrenze bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen »einen spürbaren Unterschied bringen«.
Nun müsse das parlamentarische Verfahren zügig eingeleitet werden; »von einem Entwurf allein kann sich niemand etwas kaufen«. Dazu sei auch die Selbstverwaltung am Zug, den Auftrag des Gesetzgebers im Sinne der Versorgung anzunehmen. »Die hausärztliche Versorgung wird erst richtig aufatmen können, wenn die notwendigen Reformen beschlossen sind und die entsprechenden Stärkungen wirklich in den Praxen ankommen.«
Die Selbstverwaltung in Form der Kassen ist mit dem Entwurf alles andere als zufrieden. Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes, bezeichnete den Entwurf in einem Statement als »Ausgabensteigerungsgesetz zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung«.
Zwar seien die Ansätze zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung – etwa geplante Vorgaben zur besseren Erreichbarkeit der Praxen oder konsequente Nutzung digitaler Anwendungen, vor allem der elektronischen Patientenakte – ein »echter Lichtblick«. Alles in allem beinhalte das Gesetz aber »wenig Licht bei viel Schatten«.
Im Entwurf ist die Förderung für mehr Medizinstudienplätze vorgesehen. Dafür sollen für jeden von einem Land finanzierten Platz zwei weitere Studienplätze finanziert werden, finanziert aus einem Fonds, der sich wiederum aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds speist.
Dass die GKV-Beitragszahler damit für mehr Studienplätze mitzahlen müssten, stelle eine Doppelbelastung für sie dar; schließlich seien sie ja auch Steuerzahler, so Stoff-Ahnis. Mit dem Entwurf gebe der Staat seine Kernaufgaben in Beitragszahlerhände, kritisierte sie. »Was kommt als nächstes auf die Beitragszahlenden zu?«
Auch die geplanten Gesundheitskioske dürften nicht von den Kassen, sondern müssten primär von den Kommunen bezahlt werden, so Stoff-Ahnis weiter. Schließlich stellten sie »im Kern kommunale Sozialarbeit« dar. Die »Gesundheitskioske« in Regionen und Stadtteilen mit vielen sozial benachteiligten Menschen sollen laut dem Entwurf erst ab 2025 eingerichtet werden – statt wie bislang geplant schon in diesem Jahr.
Die geplante Entbudgetierung von Hausärzten führe zudem nicht zwangsläufig zu einer besseren Versorgung, sondern im Gegenteil würden die Pläne »sogar dafür sorgen, dass die ländlichen Räume für die Ärztinnen und Ärzte an Attraktivität weiter verlieren«. Denn die zusätzlichen Finanzmittel flössen in erster Linie in die Ballungsräume, die ohnehin »eher überversorgt« seien. Die Honorare müssten gerechter zwischen den einzelnen Arztgruppen verteilt werden, dies sei das Gebot der Stunde.