Kampfansage an Seifenblasen und Halbwahrheiten |
Cornelia Dölger |
08.11.2023 13:30 Uhr |
»Anstatt mit uns über Lösungen zu sprechen, kriegen wir über Zeitungsberichte oder eine Videoleinwand auf dem DAT eine bedrohliche Strukturreform vor die Füße geworfen«, sagte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. / Foto: Youtube/Screenshot: PZ
Zu Beginn des Protestmonats November hat sich ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erneut in einer Videobotschaft an die Apothekenteams gewandt und zur Geschlossenheit bei den anstehenden Protestaktionen aufgerufen. Eine hohe Beteiligung an den Kundgebungen in Hannover, Dortmund, Stuttgart sowie Dresden sei wichtig, »weil wir damit ein starkes Zeichen an die Politik senden«. Overwiening betonte: »Ich kann Sie nur eindringlich bitten, für die Stärkung des Apothekensystems aufzustehen.« Bereits Mitte Oktober hatte Overwiening die Apotheken in einem Brief auf einen gemeinsamen Protestmarathon eingeschworen.
Die Apothekenteams seien auch aufgerufen, die Protestmaterialien zu nutzen, die die ABDA zur Verfügung gestellt hat. Die ABDA ihrerseits werde ihre politische Kommunikation in den kommenden Wochen wieder intensivieren und zum Beispiel auf den Parteitagen der Grünen und der SPD mit starker Besetzung vertreten sein, kündigte Overwiening kurz vor dem heute in Hannover und Schwerin startenden vierteiligen Protestmarathon an, zu dem die ABDA beim Apothekertag aufgerufen hatte.
Um auf die »Seifenblasenpolitik« von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aufmerksam zu machen und sie zu enttarnen, führe sie selbst in diesen Tagen viele Gespräche mit Parlamentariern, erklärte Overwiening in dem knapp zehnminütigen Video. Außerdem werde sie noch in dieser Woche an einem Kommunalkongress der SPD teilnehmen, um vor allem den sozialdemokratischen Kommunalpolitikerinnen und -politikern zu zeigen, »dass ein Sozialdemokrat dabei ist, die Strukturen, die die Arzneimittelversorgung vor Ort sichern, zu zerstören«.
Lauterbach sei dabei, in der Arzneimittelversorgung ein Zwei-Klassen-System etablieren, in dem es Apotheken ohne Rezepturen, ohne Notdienste »und sogar Schein-Apotheken ohne approbierte Apothekerinnen und Apotheker geben soll«. Er mache große Versprechungen über Verbesserungen in der Versorgung und zur Entbürokratisierung. Letztlich umgesetzt würden dann aber »nur Mogelpackungen und gefährliche Strukturreformen«, kritisierte die ABDA-Präsidentin und verwies erneut auf den jüngsten Apothekertag (DAT) in Düsseldorf, bei dem der Minister seine Pläne zur Reform der Apothekenstruktur umrissen hatte - nachdem er sie kurz zuvor der FAZ verraten hatte. »Anstatt mit uns über Lösungen zu sprechen, kriegen wir über Zeitungsberichte oder eine Videoleinwand auf dem DAT eine bedrohliche Strukturreform vor die Füße geworfen«, sagte Overwiening und ergänzte, sie sei bisweilen »schockiert« vom Politikstil des Ministers.
Dieser zeige reichlich Ignoranz gegenüber den apothekerlichen Argumenten, etwa beim Lieferengpassgesetz (ALBVVG). Während der Minister lautstark vermeintliche Errungenschaften des Gesetzes lobe, seien die Neuregelungen für den Arzneimittelaustausch an die BfArM-Liste geknüpft, die wegen ihres überbürokratisierten Verfahrens jedoch keinerlei Erleichterungen schaffen werde – im Gegenteil: Diese Regelungen seien für die Apotheken eine zusätzliche finanzielle und organisatorische Belastung.
»Nur halbwahr« seien auch Lauterbachs sämtliche Versprechen zur Befreiung von Nullretaxen, so Overwiening weiter. Sie blieben hinter den Erwartungen von Parlament und Apothekerschaft zurück, denn auch mit dem neuen Verfahren könnten die Kassen den Apotheken weiterhin in vielen Fällen das Honorar streichen. Overwienings Fazit: »Wir werden weiter öffentlichen Druck aufbauen müssen und weiterhin gemeinsam für die Arzneimittelversorgung vor Ort kämpfen.«
Es sei schwer zu begreifen, was hier gerade passiere. Der Apotheken-Rückgang habe sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich beschleunigt, warnte die ABDA-Präsidentin. Nach aktuellen Berechnungen der ABDA sei mit 17.733 Apotheken am Ende des dritten Quartals 2023 ein neuer historischer Tiefstand erreicht (Ende 2022: 18.068). Weniger Apotheken gibt es laut ABDA seit 44 Jahren nicht mehr (1979: 17.296 Apotheken). Der Rückgang in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 mit 335 Schließungen sei zudem höher als im Vergleichszeitraum des Jahres 2022 mit 285 Schließungen. Erneut mussten nicht nur Haupt- und Einzelapotheken dichtmachen (minus 308), sondern auch Filialapotheken (minus 27).
Overwiening schloss deshalb mit dem energischen Aufruf: »Wir wollen das System der heilberuflich geführten Apotheken vor Ort in Deutschland unbedingt weiterentwickeln.« Voraussetzung dafür sei eine »unbedingte finanzielle Stabilisierung des über 20 Jahre kaputtgesparten Systems«. Sie wisse, dass die Apothekenteams kampfbereit seien. Gerade in den kommenden Wochen werde es wichtig sein, »der Politik unsere größtmögliche Geschlossenheit zu zeigen«.