Kammern nehmen belästigende Notdienst-Anrufe ins Visier |
Cornelia Dölger |
29.04.2022 18:00 Uhr |
Weil belästigende Anrufe im Apothekennotdienst immer wieder Thema sind, beschäftigen sich mehrere Kammern damit. / Foto: Adobe Stock/Michael Bihlmayer
Der Anruf kam gegen ein Uhr in einer Nacht von Sonntag auf Montag Anfang Februar. Es klingelte in einer Apotheke nahe Koblenz, die notdiensthabende Apothekerin nahm ab. »Ihr werdet schon sehen, was euch erwartet«, rief der Anrufer in den Hörer. Die Corona-Impfquoten würden nicht weiter steigen, es gebe bald keine Rezepte mehr, wegen der Pandemie werde ein Krieg ausbrechen. Die Apothekerin war überrumpelt, wusste nicht, wie sie auf den aggressiven Mann am Telefon reagieren sollte. »Ich habe dann so getan, als ob ich ihn akustisch nicht verstehe«, erzählt sie der PZ im Nachhinein. Schließlich legte sie auf.
Zwei Minuten später klingelte es erneut, es war derselbe Anrufer, der unter unterdrückter Nummer drohte, die Apothekerschaft werde sich noch wundern, was mit ihr passiere, »wenn der Krieg erst ausgebrochen ist«. »Ich sagte zu ihm hallo, hallo, ich verstehe Sie nicht«, berichtet die Apothekerin. Daraufhin beleidigte der Mann sie und setzte seine diffusen Drohungen fort, bis die Apothekerin auflegte. »Das hat uns dann gereicht, wir haben Strafanzeige erstattet«, erklärt der Apothekeninhaber, Chef der betroffenen Apothekerin. Beide haben sich bereit erklärt, mit der PZ darüber zu reden.
Was der Apothekerin aus dem Raum Koblenz – wie ähnlich auch ihrer Teamkollegin nur drei Tage zuvor – passiert ist, spiegelt ein Problem wider, das derzeit immer wieder aufkommt: Nicht nur in Rheinland-Pfalz berichtet die dortige Landesapothekerkammer über vermehrte Meldungen von belästigenden Anrufen im Apothekennotdienst, auch andere Bezirke sind betroffen. Nachgefragt etwa bei der Kammer in Hamburg, bestätigt diese, dass auch bei ihr Mitglieder solche Vorfälle gemeldet hätten. Auch Bayern meldet Berichte aus Apotheken, ebenso Baden-Württemberg. Nordrhein berichtet über »gelegentliche« Anrufe, Niedersachsen über einzelne Meldungen zu sexuellen Belästigungen.
Die Präsidentin der Berliner Apothekerkammer, Kerstin Kemmritz, teilte der PZ mit, dass das Thema bei der jüngsten Online-Diskussionsrunde mit den Delegierten und den Mitgliedern der Notdienstkommission aufgegriffen worden sei, »weil wir natürlich auch die hohe emotionale Belastung derartiger Anrufe erkennen«. Auch in diesem Gremium habe es Berichte über solche Vorfälle gegeben. Hessens Kammerpräsidentin Ursula Funke teilte der PZ mit, dass auch sie von solchen Anrufen gehört habe. »In der Tat sind derartige Anrufe bedrückend und können eine Belastung – gerade im Notdienst – darstellen«, so Funke.
In Sachsen beschäftigt das Problem schon länger die Justiz. Dort sind der Kammer solche telefonischen Übergriffe seit 2016 bekannt. Mehr als 100 Fälle wurden gemeldet. Offenbar ist in der Regel dieselbe Person am Werk. »Daher treten diese Fälle nicht dauerhaft, sondern phasenweise auf«, teilt die Kammer der PZ mit. In mehreren Rundschreiben in den Jahren 2016, 2018 und 2021 thematisierte sie die obszönen Anrufe, auch sächsische Medien beschäftigten sich mit dem »Döbelner Schockanrufer«, zuletzt erst Ende März 2022 die »Döbelner Allgemeine Zeitung« aus Mittelsachsen. Nach ihrer Kenntnis werde derzeit wieder gegen den Anrufer ermittelt, so die Kammer zur PZ.
Wie sich das elfköpfige Apothekenteam aus Rheinland-Pfalz vor weiteren Übergriffen schützen und seine Sicherheit erhöhen kann, hat der Apothekeninhaber nun zur Chefsache erklärt. Er und sein Team haben für sich Kriterien erarbeitet, anhand derer das komplette Team geschult wird, sagt er der PZ. »Wir wollten schnell handeln und das Sicherheitsgefühl für das Team erhöhen.« Für den Akutfall sei zum Beispiel eine Rufnummernkette eingerichtet, über die die Diensthabenden im Falle des Falles schnell ihre Kollegen kontaktieren könnten. »Wichtig ist auch zu wissen, dass mehrere Teammitglieder im direkten Umfeld der Apotheke wohnen und schnell unterstützen könnten, falls nötig«, so der Apotheker.
Zudem habe er sich bei seinem IT-Dienstleister über die Möglichkeit einer Fangschaltung informiert. Eine vorgeschaltete Tonbandaufnahme, die die Dienstbereitschaft der Apotheke signalisiert und einen Rückruf anbietet, löse das Problem in seinen Augen hingegen eher nicht. »Wir wollen unser niederschwelliges Angebot erhalten und unmittelbar erreichbar sein.« Für effektiver hält der Apothekenleiter eine grundsätzlich andere Notdienst-Organisation. Genauer: »Wir würden eine zentrale Rufnummer nach dem Vorbild des ärztlichen Notdienstes sinnvoll finden, die die Anliegen der Bevölkerung abfängt, filtert und an die entsprechende Stelle weiterleitet«, schlägt er vor.
Ob dieser individuelle Wunsch standespolitisch Mehrheiten findet, ist fraglich. Die Kammer Niedersachsen zum Beispiel hält zentralisierte Rufnummern für alle Patientenanrufe für ungeeignet. »In der Fläche gibt es deutlich mehr Apothekennotdienste als ärztliche Bereitschaftsdienste«, heißt es. Die Kammer Hamburg kündigte gegenüber der PZ an, das Thema werde im nächsten Kammerrundschreiben im Mai ausführlich besprochen. Auch auf Bundesebene wolle man es »für eine konstruktive Diskussion in den Gremien platzieren«.
Die Kammer Nordrhein erklärte, zu möglichen Maßnahmen gegen die Belästigungen sowie zu anderen Fragen aus diesem Themenkreis stehe ein Meinungsaustausch »auf Ebene des Haupt- und Ehrenamtes der Kammer« noch aus. Es stehe »den Inhaberinnen und Inhabern öffentlicher Apotheken frei, angemessen und optimal auf dieses Problem zu reagieren«. Vorschläge zum Umgang mit dem Problem sowie Best-Practice-Beispiele könnten gern an die Kammer gemailt werden (feedback@aknr.de). »Das Thema ist uns geläufig und wir beschäftigen uns damit«, so ein Sprecher.
Die Kammer Berlin will die Anrufe im nächsten Rundschreiben thematisieren und sie je nach Reaktion darauf erneut in der Notdienstkommission oder auch im Vorstand aufgreifen. Auch in Niedersachsen beschäftigt sich der Kammervorstand damit. Hessens Kammerpräsidentin Funke erklärte, Betroffene könnten sich an die Kammer wenden, »um im Einzelfall Maßnahmen zu erörtern«. Allerdings, so schränkte Funke ein, »können wir das Grundproblem weder lösen noch beseitigen«. Sollte sich in einer Apotheke das Problem häufen, sei es ratsam, das weitere Vorgehen und konkrete, auch ermittlungstaktische Maßnahmen mit der Polizei zu besprechen. Ähnliches rät auch die Kammer Niedersachsen.
Eine detaillierte Handreichung für den Umgang mit telefonischer Belästigung hat die Kammer Rheinland-Pfalz in ihrem aktuellen Rundschreiben erstellt. Besonderes Augenmerk müsse auf Anrufen liegen, die strafrechtlich relevant sind, erklärt darin Geschäftsführer und Jurist Tilman Scheinert. Anrufe also, die etwa einen sexuellen, beleidigenden oder politisch-diffamierenden Bezug haben oder in denen die Apothekenmitarbeitenden beschimpft oder bedroht werden. Eine solche Beleidigung hatte die Apothekerin aus Rheinland-Pfalz ja während des Anrufs erlebt. Wer persönlich oder konkret bedroht werde, müsse umgehend die Polizei unter 110 rufen, rät Scheinert. Wer Strafanzeige stellen möchte, solle sich an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft wenden, das sei auch online möglich.
Um den Anrufern/Tätern keine »Schrecksekunde« zuzugestehen, sollten sich Mitarbeitende im Notdienst auf solche belästigenden Anrufe einstellen und sich im Vorhinein überlegen, wie sie darauf reagieren – auch wenn dies wohl leichter gesagt sei als getan. »Sprechen Sie mit Ihren Kollegen, Arbeitgebern, Mitarbeitern darüber«, schreibt Scheinert. Zum Umgang mit problematischen Anrufern bereite die Kammer derzeit zusammen mit professionellen Telefontrainern Tageskurse vor. Kammermitglieder, die an Schulungen interessiert sind, können sich bei der Geschäftsstelle melden.
»Öffentlichkeit ist gut, um gegen die Belästigungen anzugehen«, betont der Apotheker aus dem Raum Koblenz. Selbst wenn nicht alle Kammerbezirke betroffen und die Belästigungen eher Einzelfälle sein sollten: »Sie zeigen doch ein Entgleisen der Gesellschaft und eine wachsende Respektlosigkeit und darauf möchten wir hinweisen.« Über die grundsätzliche Zunahme an Gewalt und Aggressionen gegen Mitarbeitende in Gesundheitsberufen hatte auch die PZ kürzlich berichtet. »Apothekennotdienste sind absolut wichtig, gerade in ländlichen Bereichen«, fügt der Apotheker hinzu. »Die allermeisten Anrufe missbrauchen das Angebot nicht, sondern benötigen tatsächlich Hilfe.«