Kammer geht gegen Hasskommentare vor |
15.01.2024 07:00 Uhr |
»Hate Speech« wird anonym geäußert. Sofern der Verfasser aber erkennbar ist, will die Kammer künftig einschreiten. / Foto: Adobe Stock/New Africa
Ein stetiger Rückgang der Apotheken, steigende wirtschaftliche Belastung und ein drohendes Apothekenreformgesetz mit potenziell gravierenden Folgen – der Druck auf die Apothekerschaft ist so groß wie lange nicht mehr. Kein Wunder, dass über die Belastungen auch in Foren und sozialen Medien hitzig diskutiert wird. Problematisch wird es, wenn einzelne Personen, sei es Politikerinnen und Politiker und standespolitische aktive Kolleginnen und Kollegen persönlich beleidigt, beschimpft oder gar bedroht werden.
Strafrechtlich können die Betroffenen selbst dagegen vorgehen. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) hat der Gesetzgeber auch die Plattformbetreiber mehr in die Pflicht genommen und bußgeldbewehrte Compliance-Regeln eingeführt.
Die Landesapothekerkammer Thüringen (LAKT) will auch berufsrechtlich einen Hebel haben, um gegen Hasskommentare vorzugehen, sofern sie von Kammermitgliedern geäußert werden. In der Berufsordnung wurde §2 Kollegialität daher entsprechend ergänzt: »Dazu zählt auch, dass Behauptungen und Meinungsäußerungen gegenüber oder in Richtung von Berufskollegen angemessen sachlich und frei von herabsetzendem, beleidigendem oder diffamierendem Sprachgebrauch geäußert werden, insbesondere wenn dies im öffentlichen Raum erfolgt.«
Der LAKT ist bewusst, dass die Formulierung einen »deklaratorischen Charakter« hat. Denn in erster Linie müssen die Betroffenen selbst straf- und zivilrechtlich vorgehen – zumal die »Hate Speech« regelmäßig anonym geäußert wird. Sofern der Verfasser aber eindeutig zu erkennen ist, könnte die Kammer auch gewissermaßen von Amts wegen sofort einschreiten.
Gibt es bereits ein juristisches Verfahren, kann die Kammer den »berufsrechtlichen Überhang« prüfen. Das ist regelmäßig auch bei anderen Vergehen der Fall. Einem Apotheker wurde beispielsweise die Approbation entzogen, nachdem er in einem Steuerstrafverfahren rechtskräftig verurteilt worden war. Denn nach §6 Bundesapothekerordnung kann die Approbation zurückgenommen werden, wenn sich der Apotheker »eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergibt«.
Ein Approbationsentzug ist berufsrechtlich allerdings die Ultima Ratio, Bußgelder bei kleineren Vergehen der Regelfall. Zu Hasskommentaren gibt es noch keine explizite gesetzliche Regelung, sie können aber unter Vorschriften des Strafgesetzbuchs (StGB) fallen. Das sind typischerweise Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung, in Extremfällen können auch Volksverhetzung oder die Öffentliche Aufforderung zu Straftaten Anwendung finden.
Die Kammer Thüringen möchte mit der Änderung der Berufsordnung für das Thema sensibilisieren. Geschäftsführer Danny Neidel sagte gegenüber der PZ: »Durch die Anpassung der Berufsordnung werden wir die Welt nicht ändern, aber wir setzen ein Zeichen.«
Neidel sucht Unterstützung bei den Apothekerkammern der Länder und hat auch den ABDA-Geschäftsbereich Recht und Pharmazie informiert. »Eine der vielen Herausforderungen wird es offenbar sein, bei allem berechtigten Unmut, Kampfgeist und dem Recht gegen die apothekenzerstörerischen Maßnahmen zu protestieren, ein respektvolles Miteinander unter den Berufskolleginnen und -kollegen aufrecht zu erhalten. Einzelne Kommentare in den Online-Medien gegen berufspolitisch aktive Kolleginnen und Kollegen nicht nur unanständig und respektlos, sondern vielmehr diffamierend und beleidigend. Auf den öffentlich ausgelebten Hass muss es aus unserer Sicht eine wahrnehmbare Antwort seitens der Apothekerkammern geben«, schreibt er an die Kolleginnen und Kollegen in der Geschäftsführung der Kammern.
Die Thüringer Kammerversammlung habe mit einem einstimmigen Votum klargestellt, »dass insbesondere diejenigen, die sich für den Berufsstand einsetzen und sich in ihrer Funktion öffentlich äußern, auch den berufsrechtlichen Schutzbereich beanspruchen können«. Neidel verweist auf Beispiele außerhalb der Branche, in denen auf verbale Attacken tatsächlich Taten folgten und findet, dass es jetzt an der Zeit ist, diffamierenden Äußerungen konsequent und aktiv entgegenzutreten.
Schon heute sei der zielgerichtete Hass eine Gefahr für die Demokratie, ist Neidel überzeugt. »Wenn sich Präsidentinnen, Vorsitzende oder Mitarbeitende der Geschäftsstellen vor bestimmten Themen fürchten, dann geraten Diskussionen und Entscheidungen in eine Schieflage«, warnt Neidel. Hinzu komme, dass sich das Nachwuchsproblem in der Berufspolitik verschärfe, wenn engagierte Kolleginnen in den Ländern gar nicht zur Wahl stellen.
Der Kammer sei bewusst, dass die eigenen Handlungsmöglichkeiten auf diesem Feld begrenzt seien und auch harsche Kritik ausgehalten werden muss. »Wir sind aber der festen Überzeugung, dass das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf freie Meinungsäußerung nicht dazu missbraucht werden darf, Berufskolleginnen und Kollegen zu beschimpfen und zu beleidigen, sondern die Würde des Menschen unantastbar bleiben muss.« Die Änderung der Berufsordnung soll ein erster Schritt sein.