Jeder zehnte Apothekeninhaber ist im Rentenalter |
Viele Pharmazeuten bedienen noch im Rentenalter die Kunden in der eigenen Offizin, manche sogar noch mit Anfang 90. Die PZ hat bei den Kammern nach den Gründen gefragt. / Foto: imago images / Westend61
12 Prozent der Apothekeninhaberinnen und -inhaber, die ihren Betrieb abgeben möchten, finden keinen Nachfolger. Das zeigte eine Ende Oktober veröffentlichte Umfrage der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank). Dies nahm die PZ zum Anlass, um nachzuforschen, wie es in den einzelnen Bundesländern aussieht: Wie viele Inhaberinnen und Inhaber sind bereits im Rentenalter oder kurz davor? Und geben sie ihre Apotheke nicht ab, weil die Nachfolgersuche erfolglos blieb, oder gibt es dafür noch andere Gründe? Wie alt sind die ältesten Pharmazeuten, die noch die eigene Offizin betreiben? Die PZ hat bei Apothekerkammern nachgefragt.
Das Ergebnis: Etwa jede dritte Apothekenleiterin oder jeder dritte Apothekenleiter ist über 60, etwa jeder zehnte oder in manchen Bundesländern sogar jeder achte ist 65 oder älter. Das trifft auf große Bundesländer genauso zu wie auf kleine. Die Zahl der Inhaberinnen und Inhaber im Alter zwischen 60 und 65 reicht von 13 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern bis 27 Prozent in Hessen. In den meisten Ländern ist etwa jeder fünfte Inhaber in dieser Altersgruppe, also kurz vor dem Ruhestand. Das trifft beispielsweise auf Westfalen-Lippe (20 Prozent), Schleswig-Holstein (20 Prozent) und Baden-Württemberg (22 Prozent) zu. In Bayern ist es fast jeder vierte (rund 24 Prozent).
Etwa jede zehnte Inhaberin beziehungsweise jeder zehnte Inhaber ist 65 oder älter, also im Rentenalter – auch das ergab die Nachfrage bei den Kammern. In Mecklenburg-Vorpommern sind es mit 6 Prozent und in Brandenburg mit 8 Prozent etwas weniger, in Nordrhein mit 14 Prozent etwas mehr. In Bayern ist sogar etwa jede achte Inhaberin oder jeder achte Inhaber (rund 15 Prozent) 65 oder älter. 323 der insgesamt 2185 Inhaberinnen und Inhaber in Bayern könnten also ihre Apotheke verkaufen und reisen oder sich ihren Hobbys oder den Enkeln widmen, statt hinter dem HV-Tisch zu stehen.
Manche betreiben ihre eigene Apotheke bis ins hohe Alter. In Westfalen-Lippe ist der älteste Inhaber 87 Jahre alt, die älteste Inhaberin 92. In Baden-Württemberg bedient noch eine 91-jährige Inhaberin die Kunden in der eigenen Offizin. Der älteste Inhaber, der noch die eigene Apotheke betreibt, hat nach Angaben der Landesapothekerkammer bereits das stolze Alter von 93 Jahren erreicht.
Doch warum setzen sich viele Apothekeninhaberinnen und -inhaber im Rentenalter nicht zur Ruhe? Die Gründe dafür seien vielfältig, würden jedoch nicht systematisch erfasst, heißt es aus den Kammern. Laut der Apothekerkammer Nordrhein dürften dabei private, familiäre und finanzielle Gründe eine Rolle spielen. »Aus Einzelgesprächen wissen wir, dass der spätere Eintritt in den Ruhestand mit der bisher erfolglosen Suche nach geeigneten Nachfolgern oder der Freude am Beruf insgesamt zusammenhängt«, informiert ein Sprecher der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Die Landesapothekerkammer Hessen bezieht sich ebenfalls auf Rückmeldungen einzelner Mitglieder. »Neben der persönlichen Lebensplanung oder der (Rest)-Laufzeit des aktuellen Mietvertrags wird häufig auch von Problemen berichtet, eine beziehungsweise einen Nachfolger für den Betrieb zu finden«, sagt Geschäftsführer Matti Zahn.
Sehr unterschiedliche Gründe für den Weiterbetrieb der Offizin im Rentenalter nennt auch die Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Sie reichten von der Freude am Beruf über länger laufende Mietverträge bis hin zu fehlender Nachfolge aufgrund nicht mehr gegebener Wirtschaftlichkeit. Manche könnten nicht loslassen, andere warteten, bis Kinder oder Enkelkinder das Studium absolviert hätten, um die Apotheke in der Familie zu halten, erläutert ein Sprecher. Eine große Bandbreite an möglichen Gründen sieht auch eine Sprecherin der Landesapothekerkammer Brandenburg: »Neben der Tatsache, dass die Apotheke vielleicht nicht verkaufbar ist oder sich sehr oft schlicht kein Nachfolger findet, haben einige Inhaberinnen und Inhaber eventuell auch kein finanzielles Polster, um sich zur Ruhe setzen zu können. Vielen macht die Arbeit auch immer noch Spaß und sie stellt einen wichtigen Lebensinhalt dar«.
Infolge der schwierigen Bedingungen für Apotheken, des Nachwuchsmangels und des bevorstehenden Generationswechsels bei den Inhabern befürchten die Kammern, dass die Zahl der Schließungen in den nächsten Jahren noch zunehmen werden. Allein im vergangenen Jahr sank die Zahl der Apotheken bundesweit um 393 auf 18.086. Bis Ende Juni dieses Jahres erreichte die Zahl der Apotheken mit 17.830 einen neuen Tiefstand.
Für Jens Dobbert, Präsident der Landesapothekerkammer Brandenburg, liegt es auf der Hand, warum viele Apothekenleiter keinen Nachfolger finden. »Bei anhaltenden Arzneimittelengpässen, zunehmender Bürokratie, Honorarstreichungen durch die Krankenkassen, steigenden Kosten und einem seit 2013 stagnierenden Honorar wird es für junge Menschen leider immer unattraktiver, in der Apotheke zu arbeiten oder gar selbst eine eigene Apotheke zu betreiben«, sagt Dobbert. Er sieht die Politik in der Pflicht, »endlich Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Beruf in der Apotheke wieder attraktiv machen und eine echte Perspektive für die zukünftige Arzneimittelversorgung darstellen«. Der Personalbedarf in den brandenburgischen Apotheken sei sehr groß; schon jetzt hätten 126 Apotheken außer der Inhaberin oder dem Inhaber kein weiteres pharmazeutisches Personal. Er kritisiert, dass die Landesregierung die seit 2010 währenden Bemühungen der Landesapothekerkammer Brandenburg, einen Pharmaziestudiengang in Brandenburg zu etablieren, ignoriere. »So ist Brandenburg weiterhin das einzige Flächenbundesland ohne einen Pharmaziestudiengang, wodurch die Fachkräfteproblematik und damit die Suche nach Nachfolgern extrem erschwert wird«, moniert Dobbert.
Sorgen um die flächendeckende Versorgung durch die Apotheken macht sich auch Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein: »In einer Zeit, in der der Staat zwar nach wie vor die hoheitliche Aufgabe der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung auf die Präsenzapotheken überträgt, aber nicht mehr bereit ist, diese Aufgabe auch langfristig angemessen zu bezahlen, sinkt verständlicherweise die Bereitschaft der jüngeren Generation, sich selbständig zu machen«.
Die Folgen dieser Entwicklung seien katastrophal. »Nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern deutschlandweit werden ganze Regionen, Stadtteile und im Norden auch die Inseln unterversorgt sein. Deutschland wird bei der Arzneimittelversorgung ein Dritte-Welt-Land werden«, warnt Christiansen. Die menschliche Zuwendung, die die Patienten in jeder Vor-Ort-Apotheke tagtäglich millionenfach erführen, werde verlorengehen. Zugleich erlebe die Apothekerschaft in den Bundesländern »eine noch nie dagewesene Zustimmung aller politischer Parteien, die sich lautstark für den Erhalt einer wohnortnahen, niederschwelligen Arzneimittelversorgung durch inhabergeführte Apotheken mit freiberuflich tätigen Apothekerinnen und Apotheker aussprechen«. Die Politiker im Bund müssten den Forderungen der Landespolitiker und der Bürger nun nachkommen. »Wir brauchen die langfristige Verlässlichkeit einer attraktiven finanziellen Ausstattung der Präsenzapotheken, die Möglichkeit, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zumindest gleichwertig wie in der Industrie oder bei den Krankenkassen zu vergüten«, fordert Christiansen. Die Zeiten, in denen die Apotheker aus Berufung und heilberuflichem Handeln und unter Inkaufnahme finanzieller Einbußen Stillschweigen bewahrt hätten, seien vorbei, betont der Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein.