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US-Studie

Jeder vierte Intensivpatient hat undiagnostizierte genetische Erkrankung

Genomsequenzierungen bei kritisch kranken Erwachsenen fördern in überraschend vielen Fällen klinisch relevante genetische Diagnosen zutage. Das zeigt eine Untersuchung mit Intensivpatienten aus den USA. Die Ergebnisse sprechen für eine breitere Anwendung der Testverfahren über die Pädiatrie hinaus.
Theo Dingermann
14.07.2025  14:30 Uhr

Sequenzanalysen genomischer Daten sind in den letzten Jahren nicht nur deutlich günstiger, sondern auch sehr viel weniger zeitaufwendig geworden. Das hat dazu geführt, dass bei pädiatrischen Patienten, bei denen der Verdacht auf eine genetische Erkrankung oder auf eine komplex verlaufende Krankengeschichte besteht, Genomsequenzierungen entweder in Form einer Gesamt-Exom-Sequenzierung (WES) oder einer Gesamt-Genom-Sequenzierung (WGS) immer häufiger zur diagnostischen Abklärung herangezogen werden. Trotz der gut dokumentierten Vorteile dieses Vorgehens bei pädiatrischen Populationen werden genomische Tests bei der Versorgung von Erwachsenen nach wie vor eher selten eingesetzt.

Dies war die Ausgangslage für Forschende um Professorin Dr. Jessica I. Gold vom Department of Pediatrics des gemeinnützigen Gesundheitsdienstleisters Northwell Health in Great Neck, USA, um in einer groß angelegten retrospektiven Studie das diagnostische Potenzial einer Sequenzierung des gesamten Exoms (aller Protein-codierenden DNA-Regionen) bei 365 nicht vorselektionierten Erwachsenen im Alter von 18 bis 40 Jahren systematisch zu analysieren.

Die eingeschlossenen Patienten waren aus 43.612 Teilnehmern der Penn Medicine BioBank (PMBB), bei denen qualitätskontrollierte Exomdaten vorlagen, rekrutiert worden. Alle diese Patienten waren auf Intensivstationen (ICU) behandelt worden. Ziel war es, die diagnostische Ausbeute, medizinische Implikationen und etwaige gesundheitliche Benachteiligungen der Sequenzierung aufzudecken. Zwei Ärzte hatten unabhängig voneinander evaluiert, ob die gefundenen genetischen Varianten in kausalem Zusammenhang mit der jeweiligen ICU-Aufnahme standen. Die klinische Relevanz wurde dabei anhand des konkreten Beschwerdebildes (zum Beispiel pulmonale Hypertonie) und der bekannten Genfunktion beurteilt.

Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte das Team im Fachblatt »The American Journal of Human Genetics«. Auf diese Studie weist aktuell ein News-Artikel im Fachjournal »Science« hin.

Bemerkenswerte Resultate, die zum Handeln auffordern

Die Ergebnisse waren bemerkenswert, denn bei fast einem Viertel der untersuchten Patienten (89 von 365) wurden genetische Mutationen identifiziert, die potenziell verantwortlich für die jeweilige akute Erkrankung waren. Mehr als die Hälfte dieser Patienten (44 Personen) hatten bis zur Diagnose nichts von ihrer genetischen Prädisposition gewusst. Und für 75,5 Prozent der positiv getesteten Personen hätte ein frühzeitiger Kenntnisstand zu spezifischen Therapieempfehlungen führen können, da der diagnostische Befund Gene betraf, für die medizinische Empfehlungen laut der internationalen Point-of-Care-Ressource »GeneReviews« etablierten sind.

Es wurden fast alle bekannten Mutationstypen identifiziert, darunter Missense-, Nonsense-, Splice-Erkennungs- und Frameshift-Varianten sowie große Deletionen und Kopienzahl-Varianten. Von den 187 auffälligen Varianten betrafen 76,5 Prozent Gene mit autosomal-dominanter Vererbung. Besonders hohe diagnostische Raten wurden bei pulmonalen (81,8 Prozent), vaskulären (39,1 Prozent) und renalen (36,8 Prozent) Erkrankungen beobachtet.

Hauptsächlich betroffen waren Gene wie FBN1 (Fibrillin-1), das am Marfan-Syndrom und einer Reihe von anderen Krankheiten beteiligt ist, das Gen für den Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator (CFTR), dessen Varianten ursächlich für eine zystischen Fibrose (Mukoviszidose) sind, das Titin-Gen (TTN), dessen Varianten gefährliche Kardiomyopathien verursachen können, das Bustkrebsgen BRCA2 und das VHL-Gen, dessen Varianten das Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom verursachen.

Diese Ergebnisse unterstreichen die strukturellen Defizite in der genetischen Diagnostik erwachsener Patienten, insbesondere im akutmedizinischen Kontext.

Schwarze Patienten waren häufiger undiagnostiziert

Ein Aspekt der Studie bezog sich auch auf gesundheitliche Ungleichheiten zwischen Ethnien. Obwohl die Häufigkeit genetischer Diagnosen bei schwarzen und weißen Patienten gleich war, bestanden erhebliche Unterschiede im Vorwissen. Während bei 63 Prozent der weißen Patienten die genetische Diagnose bereits in den Krankenakten dokumentiert war, traf dies nur auf 23 Prozent der schwarzen Patienten zu.

Diese Studie stellt paradigmatisch dar, dass kritisch kranke Erwachsene – analog zur pädiatrischen Bevölkerung – ein hohes Risiko für bislang unerkannte genetische Erkrankungen tragen. Exom-basierte Diagnostik kann nicht nur Diagnosen stellen, sondern auch konkrete therapeutische Maßnahmen ermöglichen. Besonders bemerkenswert ist die hohe diagnostische Rate in einem unselektierten Patientenkollektiv ohne vorherige genetische Beratung.

Die Autoren fordern, genetische Diagnostik als standardisierte Komponente auch in der Erwachsenenmedizin zu etablieren. Neben dem Mangel an klinischen Genetikern gilt mangelndes Bewusstsein in der Allgemein- und Notfallmedizin als zentrales Hindernis für einen breiteren Einsatz. Zudem mahnen die Forschenden mehr gesundheitliche Chancengleichheit an, von der das Gesundheitssystem derzeit weit entfernt ist.

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