Jeder Dritte mit Gesundheitssystem unzufrieden |
Melanie Höhn |
19.03.2025 15:00 Uhr |
Ein weiteres Ergebnis des TK-Meinungspuls 2025, das zur Unzufriedenheit führt: 62 Prozent sind mit den Wartezeiten auf Termine bei Fachärztinnen und -ärzten nicht zufrieden. / © IMAGO/Zoonar
Die Ergebnisse der bundesweit repräsentativen Forsa-Befragung »TK-Meinungspuls 2025« im Auftrag der Kasse zeigen eine Trendwende: Nur noch 23 Prozent der Deutschen sind mit dem Gesundheitswesen sehr zufrieden. 30 Prozent der Befragten sind weniger zufrieden oder unzufrieden. Die Analyse wurde heute in Berlin auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Die Unzufriedenheit hat sich seit 2021 verdreifacht.
»Leider kommt das nicht gut funktionierende Gesundheitssystem schlecht bei den Menschen an, die Unzufriedenheit wächst«, erklärte TK-Chef Jens Baas. Die Krankenkassen hatten ein Minus von etwa sechs Milliarden Euro Ende 2024 zu verzeichnen – damit setze sich eine Tendenz fort: »Die Einnahmen sind weit geringer in ihrer Steigerung als die Ausgaben«, so Baas. Die Lücke zwischen beiden werde immer größer, damit würden auch die Zusatzbeiträge immer weiter steigen. Er kritisierte, dass das Thema bei der Politik noch nicht angekommen sei. Die nächste Bundesregierung müsse sich den Herausforderungen in der Gesundheitspolitik dringend stellen. Die Finanzlage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei dramatisch und ein »Notfall«, auch, weil auf die immer deutlicher werdenden Alarmzeichen niemand reagiert habe.
»Die Politik hat zu viele drängende Fragen ausgesessen, darunter die finanzielle Schieflage in der Kranken- und Pflegeversicherung, den Reformbedarf in der Notfallversorgung oder die Kostenexplosion bei Arzneimitteln«, so Baas. Seit Jahren steige die finanzielle Belastung der Versicherten und viele hätten das Gefühl, dass dieses System, für das sie immer mehr zahlen, immer schlechter funktioniere. »Diese Warnsignale darf die Politik nicht ignorieren«, so Baas.
TK-Befragungsexperte Peter Wendt erklärte in Berlin, dass 94 Prozent der Befragten damit rechnen, dass die Beiträge weiter steigen werden. Fast 6 von 10 Befragten erwarten Leistungskürzungen. Zudem hat sich eine große Mehrheit (83 Prozent) der Befragten gegen die Zweiteilung in private und gesetzliche Krankenversicherungen ausgesprochen.
Ein weiterer Grund für die Unzufriedenheit der Menschen seien die Wartezeiten auf Termine bei Fachärztinnen und -ärzten: 62 Prozent sind laut der TK-Befragung damit nicht zufrieden – eine 50-prozentige Steigerung im Vergleich zu 2017.
Die Umfrage zeigt zudem, dass die Menschen in Deutschland auch bereit sind, sich auf Neues einzulassen. So finden es 89 Prozent der Befragten sehr gut oder gut, wenn Pflegekräfte oder medizinisches Fachpersonal bestimmte Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten übernehmen. 81 Prozent der Befragten buchen bereits Arzttermine online oder möchten dies in Zukunft tun. 77 Prozent würden ihre Krankengeschichte digital in einem Anamnesebogen vor einem Arzttermin erfassen.
»Dass die Menschen für Neues aufgeschlossen sind, ist eine wichtige Grundlage, um unser Gesundheitssystem voranzubringen. Doch auch hier ist die Politik gefordert. Sie muss dafür sorgen, dass Versicherte digitale Möglichkeiten so komfortabel wie möglich nutzen können«, kommentierte Baas. »Zum Beispiel indem Anmeldeverfahren für digitale Services wie E-Rezept oder elektronische Patientenakte vereinfacht werden. Das Video-Ident-Verfahren muss auch im Gesundheitswesen genutzt werden können, wie es bei der Kontoeröffnung bei Banken Standard ist.«
All das mache deutlich: Das Gesundheitssystem brauche Reformen – für eine kurzfristige finanzielle Entlastung, aber auch langfristige Strukturreformen für eine bessere Versorgung. 21 Prozent der Befragten sehen grundlegenden und umfassenden Reformbedarf im Gesundheitswesen, 73 Prozent zumindest stellenweisen Reformbedarf.
Beunruhigend ist laut TK-Chef Baas nicht nur eine schlechtere Versorgung, sondern man müsse das Problem auch unter dem Gesichtspunkt der Stabilität einer Demokratie betrachten: »Ein solches Thema kann sehr emotionalisieren, wenn es nicht mehr funktioniert«, sagte er.
Der Politikwissenschaftler und Demokratieforscher Professor Wolfgang Schroeder erklärte, warum das Gesundheitssystem eine hohe Priorität für die Politik haben muss: »Ein funktionierendes Gesundheitssystem ist eine tragende Säule unseres Sozialstaats und damit enorm wichtig für das Vertrauen in die Demokratie. Wer Missstände im Gesundheitswesen zu lange ignoriert, spielt dem Populismus in die Hände.« Für eine stabile Demokratie sei es enorm wichtig, dass alle Menschen gleichermaßen an einer guten Versorgung teilhaben können. Gleichzeitig müssten die Kosten für sie gut tragbar sein. »Die stark steigenden Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung sind daher Grund zur Sorge«, so Schroeder.
»Die Umfrage sollte für die Sollbruchstellen des Systems sensibilisieren«, warnte Schroeder. »Ein leistungsfähiges Gesundheitssystem für alle ist eine der besten Medikamente im Kampf gegen Populismus und im Kampf gegen die Erosion von Vertrauen.«
Die Ideen der TK, um diese Probleme anzugehen: Eine grundlegende Änderung des Gesundheitssystems. »Unser Ansatz ist das Konzept digital vor ambulant vor stationär«: Damit Patientinnen und Patienten schneller einen Termin bekommen, sei eine digitale Ersteinschätzung sinnvoll, die den Behandlungsbedarf ermittelt und die Betroffenen dahin vermittelt, wo sie am besten behandelt werden – noch bevor ein Arzttermin überhaupt vereinbart wird.
Eine Ersteinschätzung könne gesundheitliche Probleme schnell einordnen und einen geeigneten Behandlungspfad empfehlen. Je nach Situation könne dies eine digitale Selbstversorgung oder ein Termin in einer Haus- oder Facharztpraxis sein. Wer dringend behandelt werden müsse, soll über eine digitale Terminplattform schnell einen Termin bekommen. »Wir müssen Patientinnen und Patienten mehr Orientierung im Gesundheitssystem bieten, damit sie in die Arztpraxen kommen, in denen sie gut versorgt werden können. Eine zielgenauere Versorgung entlastet auch die Ärztinnen und Ärzte«, so der TK-Chef.
Für die Apotheken könne sich Baas durchaus Rollen vorstellen, »die über die heutigen hinausgehen« – konkreter wurde er an dieser Stelle nicht. Er betonte, dass diese Rollen klar definiert sein müssten. Man müsse klar überlegen, wie ein System so aufgestellt werden könne, dass der Patient die beste Versorgung für den ökonomischsten Preis bekommt.
Ein Sofortprogramm bei den GKV-Finanzen mit schnellen Ergebnissen sei zudem nötig, um immer weiter steigende Beiträge zu begrenzen. Ein höherer Herstellerrabatt auf neue Arzneimittel könnte zwei Milliarden Euro pro Jahr bringen. Die ungebremsten Preisentwicklungen bei Pharmazeutika seien auf Dauer nicht finanzierbar: »Ein Spiel, was irgendwann zu Ende ist«.
Wenn der Bund seiner Verpflichtung zur Finanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger nachkomme, könne dies eine Entlastung von über neun Milliarden Euro jährlich betragen.