Jede zehnte Apotheke ist defizitär, ein Drittel in Gefahr |
Daniela Hüttemann |
08.09.2023 12:10 Uhr |
Es sieht düster aus für die Vor-Ort-Apotheken: Laut Treuhand beschleunigt sich der Abwärtstrend zusehens und immer mehr Apotheken müssen schließen. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
»Den Apotheken geht es schlecht« – diesen Satz würden wohl alle Apothekeninhaber und -mitarbeitende unterschreiben. »Den Apotheken geht es doch gut«, denken jedoch immer noch viele in der Bevölkerung und vor allem in der Politik. Das Bild des gut verdienenden Apothekers ist tief in den Köpfen verankert, die »Apothekenpreise« geradezu sprichwörtlich.
Nur leider bleibt in der Realität der Apotheke nicht viel von den vermeintlichen Apothekenpreisen – im Gegenteil: Die Hochpreiser, also Medikamente, die mehr als 500 Euro kosten, machen den Apotheken zunehmend zu schaffen. Sie machen zwar nur 1,6 Prozent des Packungsvolumens in den Offizinen aus, jedoch knapp 48 Prozent des Umsatzes, erläuterte Sebastian Schwintek, Mitglied der Geschäftsführung der Treuhand Hannover Steuerberatung und Wirtschaftsberatung für Heilberufe, am Donnerstag beim »Zwischenahner Dialog« des Landesapothekerverbands Niedersachsen.
Der zunehmende Anteil der Hochpreiser lässt die Umsätze der Apotheken zwar seit Jahren steigen (zuletzt um 5,3 Prozent im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wenn man das erste Halbjahr 2022 mit 2023 vergleicht), doch die Betriebsergebnisse vor Steuern sanken zeitgleich um 5,6 Prozent.
Verschärft wird die Situation durch die Inflation sowie stark gestiegene Personalkosten. »Brandbeschleuniger ist das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz«, so Schwintek. Dadurch wurde der GKV-Abschlag, den die Apotheken pro abgegebener Packung den Krankenkassen leisten müssen, zum 1. Februar dieses Jahres um 19 Cent netto erhöht. Das ergibt für die Durchschnitts-Apotheke eine Belastung von minus 7200 Euro im Jahr für das Betriebsergebnis vor Steuern. »Den Apotheken mit niedrigen Betriebsergebnissen macht das überproportional zu schaffen«, so der Referent.
Sebastian Schwintek, Mitglied der Geschäftsführung der Treuhand Hannover Steuerberatung und Wirtschaftsberatung für Heilberufe, hier in Bad Zwischenahn. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Tatsächlich legen die Apotheken schon seit 2020 bei jeder abgegebenen Arzneimittelpackung zulasten der GKV Geld drauf statt zu verdienen. 2022 waren es 27 Cent pro Packung, dieses Jahr werden es nach Treuhandberechnungen durch den erhöhten Abschlag sogar 46 Cent.
Dass überhaupt noch schwarze Zahlen möglich sind, liegt laut Schwintek vor allem am OTC-Umsatz, geschickten Verhandlungen bei den Einkaufskonditionen, denen allerdings deutliche Grenzen gesetzt sind – und vor allem Selbstausbeutung.
Ein Drittel der Apotheken liegt mittlerweile bei einem Betriebsergebnis vor Steuern von unter 75.000 Euro. Diese Betriebe stufte Schwintek als gefährdet ein. »Da ist überhaupt kein Spielraum mehr, um noch in den Betrieb zu investieren«, verdeutlichte Schwintek. Die Inhaber hätten dann netto zum Teil weniger als ihre angestellten Approbierten, haben aber mehr Arbeit und Verantwortung und tragen das wirtschaftliche Risiko. Insgesamt zehn Prozent aller Apotheken schreibe derzeit sogar rote Zahlen.
Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres haben 238 Apotheken in Deutschland schließen müssen. »Früher hatten wir solche Schließungszahlen auf das ganze Jahr, es könnte aber noch schlimmer kommen«, prognostizierte Schwintek. Der Abwärtstrend beschleunige sich. Die Treuhand geht für dieses Jahr von insgesamt 410 Schließungen aus – optimistisch geschätzt.
Schwintek vermutet, dass das System nun seinen Kipppunkt erreicht hat. »Das ist kein individuelles Problem, weil jemand schlechte Einkaufskonditionen verhandelt – es besteht dringender Handlungsbedarf bei der Politik«, konstatierte Schwintek. Zwar sei jeder Apothekeninhaber selbst in der Pflicht, Kosten zu minimieren, aber auch die Lohnkostensteigerungen gehen weiter. Das könnten die Apotheken mit dem seit Jahren stagnierenden Honorar nicht mehr stemmen.
Der LAV-Vorstandsvorsitzende Berend Groeneveld zeigte sich bestürzt ob dieser neuen, detaillierten Zahlen. »Hier müssen wir politisch ansetzen.« Die Entwicklungen unterstrichen die Kernforderungen der ABDA an Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD). »Wir haben einen gesetzlichen Versorgungsauftrag, den wir auch gerne erfüllen möchten, aber das muss uns der Staat dann auch ermöglichen«, so Groeneveld.