| Sven Siebenand |
| 01.12.2025 16:20 Uhr |
In Deutschland leben schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. / © Adobe Stock/Robert Kneschke
Lecanemab ist seit September 2025 auf dem deutschen Markt verfügbar. Zugelassen ist der Antikörper zur Behandlung von Erwachsenen mit klinisch diagnostizierter leichter kognitiver Störung (Mild Cognitive Impairment, MCI) und leichter Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit.
Das IQWiG hat in seiner Nutzenbewertung geprüft, ob der Arzneistoff in diesen Indikationen Vorteile gegenüber dem bisherigen Therapiestandard bietet. Für Betroffene mit leichter kognitiver Störung hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beobachtendes Abwarten als zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt, bei leichter Alzheimer-Demenz ist die Behandlung mit Acetylcholinesterase-Inhibitoren der derzeitige Therapiestandard. Für beide Patientenpopulationen kommt das IQWiG zu dem Ergebnis, dass ein Zusatznutzen von Lecanemab nicht belegt ist.
»Unsere Bewertung stützt sich auf bislang unveröffentlichte Daten, die der Hersteller in seinem Dossier vorlegen musste. Aufgrund der hohen Transparenz im deutschen AMNOG-Verfahren stehen diese nun auch der Öffentlichkeit zur Verfügung«, erläuterte Dr. Daniela Preukschat, Bereichsleiterin chronische Erkrankungen im IQWiG-Ressort Arzneimittelbewertung, in einer Mitteilung des Instituts.
Ausgewählte Ergebnisse der zentralen Lecanemab-Zulassungsstudie CLARITY AD wurden im Jahr 2023 veröffentlicht. Seither diskutierten Fachwelt und Öffentlichkeit vor allem diese ursprünglich veröffentlichten Daten zur Gesamtpopulation der Studie, schreibt das IQWiG. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) habe jedoch aufgrund schwerwiegender Nebenwirkungen den Anwendungsbereich von Lecanemab deutlich eingeschränkt, sodass diese ursprünglichen Ergebnisse nicht mehr ausschlaggebend seien. Preukschat informierte, dass die positiven Effekte von Lecanemab in der Gesamtpopulation der Studie vor allem auf Patienten zurückgehen, die nicht nach deutschem Therapiestandard behandelt wurden. In den interessierenden Auswertungen zeige sich hingegen kein Vorteil von Lecanemab.
Das IQWiG teilte mit, es sei auffällig, dass die Studie die wichtige Frage einer Überlegenheit von Lecanemab gegenüber den Acetylcholinesterase-Hemmern bei leichter Alzheimer-Demenz gar nicht untersuchte. Durch das Studiendesign sei lediglich die Zusatztherapie von Lecanemab bei bereits bestehender Behandlung mit Acetylcholinesterase-Hemmern untersucht worden, nicht aber die Monotherapie von Lecanemab im Vergleich mit Acetylcholinesterase-Inhibitoren. Eine wesentliche Frage der Versorgung werde daher von der CLARITY-AD-Studie gar nicht adressiert.
Last, but not least wird vom IQWiG bemängelt, dass im Dossier immer noch wichtige Daten fehlten. So lägen für die interessierenden Populationen insbesondere keine Auswertungen zu wichtigen Nebenwirkungen, den symptomatischen ARIA-Ereignissen, vor. Im Rahmen eines Pressebriefings des Science Media Centers nannte Preukschat auch fehlende Subgruppenanalysen nach Alter und Geschlecht, die der Hersteller im Stellungnahmeverfahren nachreichen solle.
Bei der Veranstaltung kritisierte Professor Dr. Jörg B. Schulz, Leiter der Klinik für Neurologie an der Uniklinik der RWTH Aachen, die Methodik des IQWiG. Insbesondere die rigiden Vorgaben zur zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) seien realitätsfern: »Ich hätte mir gewünscht, dass die zVT eine Therapie im Ermessen des behandelnden Arztes gewesen wäre«, sagte Schulz. Auch an der gewählten Bewertungsskala übte er Kritik. Nach der für den Hersteller sicherlich enttäuschenden Nutzenbewertung hofft der Experte, dass in den Preisverhandlungen ein Ergebnis erzielt werden kann, das dazu führt, dass Lecanemab in Deutschland auf dem Markt bleibt. Ansonsten drohe eine Zwei-Klassen-Medizin, in der sich manche Patienten die Behandlung leisten könnten und andere – gesetzlich Versicherte – nicht.
An die IQWiG-Bewertung schließt sich nun zunächst ein Stellungnahmeverfahren an. Abschließend wird der G-BA über das Ausmaß des Zusatznutzens entscheiden. Das wird vermutlich Mitte Februar 2026 geschehen.
Für den zweiten, mittlerweile auf dem Markt eingeführten Alzheimer-Antikörper Donanemab (Kisunla®) läuft die IQWiG-Nutzenbewertung bereits. Preukschat informierte, dass der Hersteller das Dossier eingereicht hat. Sie rechnet damit, dass die IQWiG-Bewertung für diesen Antikörper Anfang Februar 2026 veröffentlicht werden wird.