Intensiv therapieren, intensiv begleiten |
Daniela Hüttemann |
10.04.2025 10:44 Uhr |
»Der Druck muss weg« – unter diesem Vortragstitel gab Dr. Isabel Waltering einen umfassenden Überblick über die aktuellen Empfehlungen zur Hypertonie-Therapie. / © AKWL/Michael C. Möller
120 zu 70 mmHg – das ist der neue, allgemeine Zielwert, den die im September 2024 veröffentlichte Hypertonie-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) empfiehlt. »Davon sind viele meilenweit entfernt«, kommentierte Dr. Isabel Waltering beim Westfälisch-lippischen Apothekertag. Sie ist überzeugt, dass Apothekerinnen und Apotheker hier viel für die Patienten erreichen können, wenn sie konsequent pharmazeutische Dienstleistungen wie die Blutdruckkontrolle und Medikationsanalysen anbieten; wenn sie helfen, die Therapie zu optimieren, und vor allem die Patienten bei der Umsetzung unterstützen.
Bluthochdruck selbst tut bekanntlich nicht weh, daher sei es immer wieder wichtig, den Nutzen der Therapie zu betonen. »Die Reduktion eines erhöhten Blutdrucks um 20/10 mmHg senkt das Sterberisiko um 50 Prozent«, nannte Waltering eine der beeindruckenden Zahlen aus Studien. Viele hätten Angst vor Demenz – ein starker Motivator, denn hier lohnt es sich zur Prävention, spätestens ab 45 Jahren den Blutdruck unter Kontrolle zu halten.
Wo nun der genaue Zielwert liegen sollte und wie genau die medikamentöse Therapie gestaltet wird, hängt von vielen Faktoren wie Alter, kardiovaskulärem Risiko, Komorbiditäten, Interaktionen und unerwünschten Wirkungen ab. »Es ist die Aufgabe des Arztes, gemeinsam mit dem Patienten den Zielwert festzulegen – das wissen viele Patienten aber gar nicht«, verwies die Apothekerin auf die Leitlinien. Grundsätzlich gelte das ALARA-Prinzip: As low as reasonably achievable, was in etwa bedeutet: so niedrig wie vernunftgemäß erreichbar. Auf keinen Fall sollte der Blutdruck über 160 zu 90 mmHg liegen, es sollte aber auch nicht zu Schwindel und damit erhöhter Sturzgefahr durch zu niedrigen Blutdruck kommen.
Erstlinientherapie sind weiterhin Änderungen im Lebensstil, die – konsequent umgesetzt – ebenso wirksam sind wie Medikamente. Eine Umstellung zu gesunder Ernährung kann den Blutdruck beispielsweise um bis zu 11 mmHg senken, informierte Waltering. Zum Thema Kochsalzreduktion merkte sie an, dass Pharmazeuten einen Blick auf die Tabletten ihrer Patienten werfen sollten: »Viele Brause-, Schmelz- und lösliche Tabletten enthalten viel Salz – so viel, dass man mit drei Tabletten pro Tag allein auf den Zielwert von maximal 5 bis 6 Gramm Kochsalz am Tag kommt.« Dann könne man über eine Umstellung der Arzneiform nachdenken.
Gestartet wird die medikamentöse Therapie nun nicht mehr mit einer Mono-, sondern grundsätzlich mit einer niedrig dosierten Zweiertherapie. Hier stehen Thiazide und Thiazid-ähnliche Diuretika, ACE-Hemmer/Sartane und Calciumkanalblocker zur Erstwahl. Das Anschlagen der Therapie soll nicht mehr erst nach drei Monaten, sondern bereits nach vier bis sechs Wochen bewertet werden. Reicht es nicht aus, wird nicht die Dosis der Zweierkombi eskaliert, sondern sofort eine dritte Substanzklasse hinzugefügt. Als nächster Schritt wird die Dosis der Dreierkombi erhöht, bevor gegebenenfalls ein vierter Arzneistoff hinzukommt.
»Vor jeder Therapieeskalation sollte man immer genau hinschauen, ob der Patient auch adhärent ist«, riet Waltering. Und auch ein Blick auf die Komedikation lohnt sich, die den Blutdruck erhöhen könnte, wie orale Kontrazeptiva (Drospirenon!), NSAR, bestimmte Antidepressiva, aber auch pflanzliche Mittel wie Ginseng, Ginkgo und Johanniskraut.
Betablocker werden als Blutdrucksenker nur noch bei Komorbiditäten wie Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern oder nach Herzinfarkt sowie bei stressbedingtem Bluthochdruck mit hohem Puls und bei (geplanter) Schwangerschaft eingesetzt.
Ob eine Bluthochdrucktherapie nun leitliniengerecht ist oder nicht, sei für Apotheker nicht immer einfach zu bewerten. Es gebe hier kein Schwarzweiß und die genaue Therapie hänge von vielen Faktoren ab, die die Apotheker nicht unbedingt alle kennen würden. Teilweise gibt es auch Unterschiede in Wirkung und Verträglichkeit innerhalb der einzelnen Wirkstoffklassen. »Sammeln Sie so viele Informationen, wie Sie bekommen können und urteilen Sie nicht vorschnell«, riet Waltering. »Aber seien Sie auch nicht zu schüchtern mit Vorschlägen – Studien zeigen, dass Apotheker besonders erfolgreich zur Blutdruckeinstellung beitragen können.«
Apotheker sollten auf jeden Fall Hinweise zur richtigen Anwendung (exakte Anweisungen) und Lagerung geben und bei der Adhärenz unterstützen. Lercanidipin beispielsweise müsse 15 Minuten vor dem Essen eingenommen werden, darf nicht in der Dosette oder auf der Fensterbank aufbewahrt werden und Grapefruitsaft ist tabu. Bei Thiazid-Diuretika sollte man auf die morgendliche Gabe und ausreichenden Sonnenschutz inklusive Lippenpflege hinweisen.
Hypertonie-Patienten sollen in der Regel auch selbst ihren Blutdruck messen. Hier lohnt sich zu prüfen, ob das Gerät geeignet ist, die Manschette richtig sitzt und der Patient mit gerader Haltung (Rückenlehne), den Füßen parallel auf dem Boden (Beine nicht überschlagen) und ausreichend Ruhezeit vor der Messung misst.
»Am besten wird morgens vor der Einnahme der Blutdrucktablette und dem ersten Kaffee gemessen«, erklärte Waltering. Vorher sollte der Patient auf die Toilette gehen, denn eine volle Blase könne den Blutdruck um über 30 mmHg erhöhen. Zur Therapiekontrolle empfiehlt sich auch die pDL standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck. »Diese pDL ist so wichtig – mit einer guten Blutdruckeinstellung retten Sie Leben!«, verdeutlichte Waltering.